„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“, lautet ein Mark Twain zugeschriebenes Zitat, das in Deutschland sehr populär ist. Etwas ganz Ähnliches denke ich immer mal wieder, wenn ich in den vergangenen Tagen die Abendsonne genieße und meinen Kindern beim Spielen zuschaue. Denn da ist er wieder: Ein kleiner Kerl in Kleid oder Rock, der insbesondere, wenn es warm ist, einfach das anzieht, was ihm am geeignetsten erscheint. Und für ihn malt es sich bei angenehmen Temperaturen anscheinend am besten in einem Schmetterlingskleid mit Kreide.
Das hatten wir doch alles schon mal. So oder so ähnlich. Die Ähnlichkeit in der angeblich für einen Jungen so abwegigen Wahl sich nach Lust und Laune auch Röcke und Kleider anzuziehen, ist bei meinen beiden Söhnen deutlich genug, dass einige bereits damit beginnen, mir vorsätzliche „Genderumtriebe“ vorzuwerfen. Also eine Art geplante Rockdiktatur, der ich meine männlichen Nachkommen unterwerfe, um der Welt zu beweisen, wie fortschrittlich, aufgeklärt und feministisch ich bin. Gerade als Mann kann man in Sachen Feminismusperformance und -kredibilität ja durchaus immer noch eine Schippe drauflegen. Außerdem kommt noch hinzu, dass der erste „Zwischenfall“ beinahe 10 Jahre her ist, ich auch nicht mehr der Jüngste bin und langsam aber mal sicher etwas gegen meinen sich anbahnenden Bedeutungsverlust unternehmen muss. Ich meine so ein One Trick Pony wie ich, das immer nur mit der gleichen Nummer auf Tour geht und sich nichts anderes einfallen lassen kann, muss irgendwann Zubehör und Punchlines aufhübschen, sonst bleibt das Publikum weg. Und was dann?
Tja, was dann? Einige Männer in den sozialen Netzwerken und meinem E-Mail-Postfach scheint diese Frage ziemlich zu beschäftigen. Manche von ihnen sind dieselben, die mich zuvor als „Beischlafbettler“ beschimpft haben, davor als „Pussy“ und ganz am Anfang natürlich als „Schwuchtel„, die über den Druck auf die Kleiderwahl der Söhne seine eigene latente Homosexualität ausübt. Jetzt also als Karrierepapi, dem nichts Besseres einfällt, als auf dem Rücken seiner Kinder irgendwelche Medienstunts durchzuziehen, um im Gespräch zu bleiben. Mal wieder. Denn das mag sich nicht wiederholen, reimen tut es sich aber auf jeden Fall. Unter anderem mit einem Interview, das ich damals dem Lokalradio in Villingen gegeben habe, bei dem mir die beiden Moderatoren genau das während der Aufzeichnung unterstellt haben und anschließend doch sehr enttäuscht waren, dass ich ihnen keine weiteren Fotos von meinem damals noch sehr kleinen Großen und mir zur Verfügung gestellt habe. Wirklich frech, dass die mir unterstellte Mediengeilheit dafür dann irgendwie doch nicht gereicht hat.
Ehrlich gesagt interessiert es mich wenig, ob Röcke und Kleider in meinem zukünftigen Berufsleben noch eine Rolle spielen werden. Für eine Karriereplanung dieser Art war ich immer zu unambitioniert, zu verplant und zu beschäftigt – mit Dingen, die sich erst im Nachhinein und sehr viel später mit einigem Wohlwollen als „Karriereschritte“ bezeichnen lassen. Mich treiben vor allem zwei Dinge um:
Zuerst und vor allem anderen natürlich mein kleiner Kerl: Wie geht es ihm, was kann ich für ihn tun, wo muss ich ihn schützen, wo kommt er allein zurecht. Und wieder einmal: Was muss ich tun, um sicherzustellen, dass er für ein gelegentliches Kleid oder sporadisches Rocktragen nicht angefeindet wird? Denn wie bei meinem ersten Sohn gilt, dass ich überhaupt nicht zu bewerten habe, was er trägt, solange es einigermaßen wettertauglich ist. Wie bei meinem ersten Sohn gilt, dass ich niemandem Röcke oder Kleider aufzwinge oder es gar darauf anlege, durch Crossdressing meine Töchter „zu Jungen“ und meine Söhne „zu Mädchen umzuerziehen“. Wofür zur Hölle sollte das denn bitteschön gut sein?! Das wären ja wieder Zuschreibungen, Rollenklischees, Kleiderfixierungen. Das wäre wieder Einfalt statt Vielfalt.
Was mich zum zweiten Punkt bringt: Ich finde es schon bemerkenswert, dass nach fast zehn Jahren, in denen zu diesem Thema viel erklärt wurde und einiges passiert ist, immer noch Menschen der Meinung sind, man müsste Jungen aktiv dazu anhalten und/oder zwingen, Röcke und Kleider zu tragen, sonst würden sie es niemals tun. So als hätte Kleidung ein Geschlecht und Hosen wären der Naturzustand für Jungen. So als wäre die ganze Sache nicht längst klar.
Wenn man sie lässt, werden die meisten Jungen früher oder später Röcke und Kleider ausprobieren. Einfach, weil es möglich ist. Sie werden es gut finden oder nicht, wiederholen oder nie wieder tun. Tatsächlich ist mein Kleiner davon nicht annähernd so begeistert wie mein Großer es damals war. Er wiederholt seinen Bruder nicht, sondern macht sich seinen eigenen Reim auf die Welt. Manchmal bekleidet ihn dieser Reim und manchmal rockt er. Und es ist immer noch nicht an mir, das zu bewerten. Es ist immer noch nicht an mir, seine Freiheit einzuschränken, sondern ihm dazu zu verhelfen, solange er dabei nicht sich oder andere verletzt.
Es kann also gut sein, dass ich mich hier und da noch als „dieses One Trick Pony“ betätigen werde. Wenn es sein muss, auch noch mit 89 für meine Urenkel. Das hat die „echte Männer dies das“ Fraktion jetzt davon. Die können sich jetzt schon mal auf meine Stachelbeine freuen.
Ich finde Reime auf Röcke und Kleider.
Denn es ist immer noch nötig. Leider.
Bildquelle: iStock, Orbon Alija
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