Schluss mit Retusche

Es ist eine kleine Revolution:

Der US-amerikanische Pharmaziekonzern CVS hat bekannt gegeben, dass er ab April dieses Jahres nicht mehr mit Models werben wird, die mit grafischen Nachbesserungen durch Photoshop und ähnliche Programme „aufgehübscht“ werden. Und CVS ist nicht irgendwer: Mit über 9000 Geschäften, einer Viertelmillion Angestellter und einem Umsatz von über 150 Milliarden Dollar jährlich ist der kleine Drugstore aus den 60ern mittlerweile zu einem Schwergewicht der Branche herangewachsen und gehört zu den 20 umsatzstärksten Konzernen weltweit. Wenn CVS eine solche Entscheidung trifft, dann ist das keine Nebensache. Und der Konzern geht noch weiter: Da CVS nicht nur Produkte aus dem eigenen Haus verkauft, sondern auch internationale Marken wie Maybelline, L’Oréal, Shiseido und andere vertreibt, werden die Hersteller aufgefordert, bis 2020 ebenfalls die digitale Nachbearbeitung einzustellen beziehungsweise einzuschränken. Andernfalls wird CVS die Verpackungen mit deutlichen Kennzeichnungen versehen, dass die abgebildeten Models entsprechend retuschiert sind. Die Beispiele, die CVS ihrer Presseerklärung beigefügt hat machen ziemlich deutlich, worum es geht.

Hier soll nicht gegen die Haarlocke, die nachträglich aus der Stirn entfernt wurde, oder gegen den gebrochenen Fingernagel, den man in der Postproduktion repariert hat, vorgegangen werden, sondern gegen die inzwischen schon standartisierten Schönheitsnormierungen: Veränderungen an Hautton, Gewicht, Falten, Augenfarbe, Größe und so weiter. All das also, was uns als physische Individuen ausmacht. Das uns kennzeichnet und ausweist als Menschen, die leben und altern. Mit Gesichtern, die unsere Geschichte erzählen anstatt die eines austauschbaren Produkts.

Die Präsidentin von CVS Pharmacies und Vizepräsidentin von CVS HealthHelena Foulkes,  spricht davon, dass die innere Gesundheit von Frauen auch damit zusammenhängt, wie sie sich äußerlich wahrnehmen, und dass gegenwärtige Körpernormierungen starken Druck aufbauen können. Sie gebraucht in diesem Zusammenhang tatsächlich das Wort Verantwortung.

Nun sind wir weit davon entfernt, in unkritische Jubelgesänge auszubrechen. Selbstverständlich hat CVS diese Entscheidung auch und vor allem unter marktstrategischen und zielgruppenorientierten Gesichtspunkten getroffen. Als Konzern werden sie nach wie vor davon profitieren, dass Frauen Kosmetika nicht nur aus Lust an Verschönerung und zur Pflege kaufen, sondern weil sie darauf getrimmt wurden, sich ohne schlecht zu fühlen und sie gefälligst zu konsumieren. Daher auch die doch sehr bemüht wirkende und eher fadenscheinige Erklärung von Helena Foulkes dazu, warum man sich gerade jetzt dafür entschieden hat.

Die Debatte um Schönheitszwänge, Diätdiktate und den weiblichen Körper als Schlachtfeld existiert natürlich schon sehr viel länger als  „seit letztem Jahr“. Und natürlich lässt sich festhalten, dass CVS hier einem Trend folgt, der sich wahrscheinlich mehr am Gewinnen als an ehtischen Überlegungen orientiert. Was das angeht, gilt immer noch das bekannte Zitat von Laurie Penny:

Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen.

Trotzdem ist es eine kleine Revolution. Und zwar weil CVS nicht nur eine der üblichen wohlmeinenden Imagekampagnen fährt, die sie als die Guten™ inszeniert oder zumindest besser als die anderen aussehen lassen soll, sondern ihre Entscheidung mit marktwirtschaftlichen Konsequenzen versieht. Wenn der Konzern seine Ankündigungen wahr macht und weibliche Körper nicht länger bis zur Produktfassade verändern lässt,

dann wird das Folgen haben. Ganz konkrete Folgen: Für Mitbewerber, Kund*innen, die eigenen Gewinnerwartungen, Sehgewohnheiten und vieles mehr. Wir sind gespannt, was dadurch alles in Bewegung kommt.

Quelle Bild und Videomaterial: cvs health