Dass dieser Wahlkampf schmutzig werden würde, war abzusehen. Zu umfassend ist das Missmanagement der Regierung in Bezug auf die Coronakrise, zu deutlich die Zeitenwende, die Angela Merkels Rückzug aus der Politik einleitet. Und zu erfolgreich auch die Anbiederung rechter Positionen und Strategien an eine dafür viel zu offene und dankbare Mitte. Allerdings ist es dann doch einigermaßen überraschend, wie gezielt Denunziation und bewusstes Missverstehen als Mittel eingesetzt werden, um den Fokus auf angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten der politischen Konkurrenz zu legen, damit möglichst wenige den Dreck vor der eigenen Haustür sehen. Wahlkampf folgt damit weniger einer wie auch immer gearteten Programmatik als vielmehr den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie. Die hat zwar immer schon eine gewichtige Rolle gespielt, nimmt aber im Fahrwasser der globalen Rechten zunehmend an Geschwindigkeit und Wucht zu.
Das hat Folgen: Mittlerweile können Politiker*innen wie Jens Spahn, Andreas Scheuer oder Julia Klöckner trotz kläglicher Amtsbilanzen, zahlloser Fehler und folgenschwerer Wirtschaftsverstrickungen ihre Posten behalten. Und zwar indem sie die Situation so lange aushalten oder sich wegducken, bis sich die allgemeine Aufmerksamkeit anderen Dingen zugewendet hat: Maskenskandale, Korruption, Beeinflussung durch Lobbyverbände, Steuergeldverschwendung, Inkompetenz – warte mal: Haben die Grünen nicht gerade was über Gendern gesagt?!
Und dann wird am Aufmerksamkeitsrad gedreht. Immer schneller, immer schneller, bis kaum jemandem mehr auffällt, dass schon seit geraumer Zeit eigentlich nur noch die rechtskonservativen Kräfte vom Gendern, von Verboten und Sprachbeschränkungen sprechen. Bis alle über den beschönigten Lebenslauf von Annalena Baerbock reden und niemand mehr über den geradezu grotesken Lebenslauf von Armin Laschet, der mithilfe seines Schwiegervaters und zahlreicher katholischer Verbindungsbrüder die Karriereleiter nach oben geklettert ist, während er als Lehrbeauftragter Klausuren „verliert“ und später mehr Noten vergibt als zu benotende Arbeiten eingereicht wurden. Bis auch in das letzte Mikrofon über die „hysterische“ Politik der Grünen geraunt, geunkt und gespottet wurde, während die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft für mehrere hunderttausend Euro Anzeigen in großen Zeitungen schalten lässt, die die Spitzenkandidatin der Grünen persönlich diskreditieren sollen, und sich dabei auch nicht entblöden, auf antisemitische Stereotype zu setzen.
Und genau das ist der springende Punkt: Sehr reiche Menschen geben viel Geld für Kampagnen und Berichterstattung aus, die sich – oh Wunder – überdurchschnittlich häufig gegen Frauen …
… und marginalisierte Gruppen richten, um der nach rechts offenen Mitte der Gesellschaft zu suggerieren, mit dieser oder jener Partei oder durch das Anliegen dieser oder jener Gruppe wäre nun wirklich alles vorbei: Unfreiheit, Verelendung, gespaltene Gesellschaft – gute Nacht, Deutschland. Wenn wir jetzt auch noch die Forderungen der „Trans-Lobby“ nach einem Selbstbestimmungsgesetz erfüllen, dann ist der Linksruck endgültig vollzogen. Hätten wir uns lieber mit „wichtigeren“ Themen beschäftigt.
Leider passiert genau das. Während die SPD vor der CDU dem Koalitionsfrieden zuliebe einknickt und an der bestehenden Gesetzgebung festhält, die trans, inter und nichtbinären Personen weiterhin vermittelt, dass ihre Existenzen nicht genug wert sind, stimmt sie für einen umfassenden Einsatz von Staatstrojanern. Während Hans-Georg Maaßen für einen CDU-Sitz im Bundestag kandidiert und der FDP-Kurzzeitministerpräsident von Gnaden der AfD in Thüringen erneut zum Landeschef gewählt wurde, ereifert sich der CDU-Generalsekretär über angeblich antisemitische Entgleisungen der Autorin Caroline Emcke, die als Gastrednerin auf dem Parteitag der Grünen sprach. Derselbe CDU-Generalsekretär, der findet, dass der Umgang seiner Partei mit Maaßen „keine wichtige Frage für Deutschland ist„.
Es ist, wie wir an anderer Stelle schon beschrieben haben, diese absichtsvolle Ignoranz, dieses ganz bewusste Missverstehen mit dem Personen gezielt verunglimpft, diskreditiert und zerstört werden sollen: Frauen und Minderheiten zuerst.
Freuen tun sich die darüber, die sich wie so oft pünktlich vor Wahlen mit dem Märchen vom Linksruck munitionieren, um einen Rechtsruck vorzubereiten.
Denn es geht eben schon längst nicht mehr um einen fairen Austausch und ein Gegeneinander politischer Konzepte, auf dass das beste die meisten Stimmen finden möge. Sondern um Machterhalt auf Kosten marginalisierter Gruppen ohne jedes Gespür dafür, wie weit dieses Land mittlerweile in offen rechte, menschenverachtende Positionen abgedriftet ist. Manchmal blitzt er noch durch, dieser Wahlkampf wie er sein könnte: Streit der Ideen, Fehlerkultur, sachbezogene Politik. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle ist dafür ein gutes Beispiel.
Dass Wahlkampf auch mal hitzig geführt wird, ist nicht das Problem. Aber sobald Aussagen den Bereich der Zuspitzung verlassen und sich in öffentlicher Diskreditierung und Diskriminierung ergehen, um sich Applaus von den Leuten zu sichern, die „auch mal wieder was gegen XY sagen wollten“, ist die rote Linie überschritten. Leider hat genau diese Art von Wahlkampf gerade erst so richtig begonnen.
Bildquelle: Laschet: Raimond Spekking via Wikimedia Commons
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