Seit ich Männer davon zu überzeugen versuche, dass Gleichberechtigung und durchaus feministisch verstandene Selbstermächtigung etwas für sie sein könnten, bin ich auf der Suche nach guten Beispielen. Meiner Erfahrung nach gibt es nicht viele, die Männer gelten lassen. Studien, Statistiken, gesellschaftliche Entwicklungen – das alles scheint vor allem die Männer zu interessieren, die sich sowieso schon auf den Weg zu einem Verständnis von Männlichkeit gemacht haben, das sie und andere nicht ständig verletzt. Was hingegen häufiger funktioniert, sind Veranschaulichungen an der eigenen Person. Ich spreche also von mir anstatt „den Männern“ und lade sie dazu ein, anhand meines Scheiterns ihr eigenes Scheitern zumindest in Betracht zu ziehen. Und dann gibt es noch die seltenen Beispielfallen. Beispiele also, die zunächst harmlos und zusammenhangslos daherkommen, am Ende aber verdeutlichen, dass im Patriarchat die Freiheit von Männern nicht nur verhandelt wird, sondern immer auch auf dem Spiel steht und zur Disposition gestellt wird. Mein momentanes Lieblingsbeispiel geht ungefähr so:
Wissen Sie, was Dildopoarties sind? Das ist wie eine Tupperparty nur mit Sextoys. Vielleicht haben Sie so etwas schon mal bei Sex and the City oder in einer anderen Serie gesehen. Eine Gruppe von Frauen lädt eine Verkäuferin ein und verbringt einen Nachmittag oder Abend miteinander, wo Sextoys, Dessous und Pflegeprodukte vorgestellt und ausgiebig begutachtet werden können, um sie anschließend gegebenenfalls zu kaufen. Meist wird dabei Alkohol getrunken und viel gekichert und gelacht. Und jetzt stellen Sie sich das Ganze mit heterosexuellen Männern vor. Freitagabend, kurz vor 19 Uhr. Eine Gruppe von 8 bis 12 Männern sitzt leicht angeschickert und ein bisschen aufgeregt im Wohnzimmer des Gastgebers und lässt sich Sextoys für Männer vorführen: Masturbatoren, Luxus Cockringe, Masturbationseier, Buttplugs, Analvibratoren, Strap-Ons für Peggingspiele und die neuesten Fleshlightmodelle. Die Männer fachsimpeln und reißen Witze. Mann spricht über Prostatamassagen, String Tangas und Sinn oder Unsinn von Nippelvibratoren. Am Ende kauft mann ein paar Produkte und hatte einen gelungenen Abend.
Niemand scheint sich das so richtig vorstellen zu können oder zu wollen. Und die Gründe dafür verraten einiges über unser gegenwärtig vorherrschendes Männerbild.
Da wäre zum einen die Ausgrenzung und Verächtlichmachung von allem, was mit dem Label schwul assoziiert wird. Eine solche Party und das Interesse sowie der Kauf von Sextoys würde als „verweiblichtes“ Verhalten wahrgenommen werden. „Richtige“ Männer haben sich nicht auf diese Art und Weise nahezukommen, sie dürfen nicht so genau wissen wollen, wie ihre Freunde sexuelle Lust erfahren möchten und was sie dafür tun. Dieses Phänomen lässt sich auch an einem Pornografieklischee beobachten, das erst ganz allmählich aufgeweicht und verändert wird: Diesem Klischee zufolge, sind heterosexuelle männliche Pornodarsteller nur Stellvertreterschwänze, die in der Sexszene als Person möglichst wenig in Erscheinung treten sollen. Sie sollen nicht stöhnen, nicht zu viel reden und die eigene Lust abseits von Blowjobs und Gerammel möglichst nicht zu deutlich zur Schau stellen. Es ist kein sexuelles Miteinander, sondern mehr ein an, auf und in ihr, performt durch einen entsprechenden Erektionsträger. Deswegen fehlt auch oft so viel.
Zum anderen umgibt das Thema „Männer und Sextoys“ eine komplexe Tabuisierung. Eine Stigmatisierung, der zufolge weibliche Masturbation mit Spielzeugen nachvollziehbar, sexy und heiß ist, während Männer mit Masturbatoren als creepy, eklig und einsam gelten. Männer, die solche Produkte benutzen, werden gesellschaftlich als „verzweifelte Verlierer“ einsortiert, die sich mit Spielzeugen Befriedigung verschaffen müssen, weil sie es nicht schaffen, mit echten Frauen Sex zu haben.
Das haben sich Männer zunächst einmal selbst eingebrockt. Die Enttabuisierung von Sextoys für Frauen wurde nicht zuletzt auch durch den Male Gaze vorangetrieben. Durch die aufgeforderte Inszenierung weiblicher Lust für den männlichen Betrachter: Mach für mich mit einem Vibrator rum, Baby! Diesem heteronormativen, durchaus auch übergriffigen Impuls trat jedoch eine Form weiblicher Selbstermächtigung entgegen, bei der das Gespräch über und die Benutzung von Sextoys ohne Männer stattfand. Und spätestens ab den 00er Jahren gab es Dildoparties, Gespräche und immer wieder Texte und Bücher, in denen sich Autorinnen mit ihrer eigenen Lust und Sexualität auseinandersetzten, ohne sich dafür weiterhin von der patriarchalen Gesellschaft beschämen zu lassen oder das eigene Empfinden und den eigenen Körper dabei für Männer nutzbar zu machen. Während in Frauenzeitschriften „Mindful Masturbation“ und „Solosex mit Spielzeugen“ schon länger keine große Sache mehr sind, ist davon in Männerzeitschriften nicht viel zu sehen. Männer reden und schreiben darüber auch kaum. Im Zuge der immer deutlicher werdenden sexuellen Selbstermächtigung von Frauen wurde das Schweigen der Männer über ihre eigene Sexualität immer dröhnender. Damit wir uns nicht missverstehen: Damit meine ich natürlich nicht das immer noch anhaltende Hampelmanngeprahle darüber, mit wie vielen Frauen Mann schon was für krassen Sex hatte. Es geht mir nicht um das, was ich an dieser Stelle mal als Sportfickersquash bezeichnet habe. Also das verbrämte Reden über die eigene Sexualität durch die Körper von Frauen und die zur Chiffre degradierte weibliche Sexualität. Ich spreche von einer ermächtigenden, befreienden, schambefreienden Kommunikation über männliche Sexualität. Texte à la
„Seit ich es mir zur Prostatakrebsvorsorge zweimal täglich selbst besorge, bin ich viel ausgeglichener und konzentrierter.“
„Ich hatte gestern zum ersten Mal erektionslosen Sex und es war das Paradies.“
„Warum Männernippel der Schlüssel zum ultimativen Orgasmus sind.“
„Mein Boy Crush ist 56 und einfach ein unfassbar gutaussehender, talentierter Mann (Looking at you, Jeffrey Dean Morgan!)
Das alles findet jedoch in heteronormativen Räumen nicht statt. Oder wie der Journalist und Autor Max Scharnigg einmal auf die Frage „Jungs, was ist euer Gegenstück zum Girl Crush?“ schrieb: „Jetzt habe ich wirklich lange über deine Frage nachgedacht und muss trotzdem sagen: Nein, also eine genaue Entsprechung zu diesem Phänomen, einen Boy Crush, gibt es eigentlich nicht.“
Dass es all das nicht gibt, haben aber nicht nur Männer verbockt. Es gibt auch eine gesamtgesellschaftliche, geschlechtsübergreifende Verabredung darüber, wie männliche Sexualität auszusehen hat und wie auf gar keinen Fall. Es sind nicht nur Männer, die andere Männer als Loser abstempeln, wenn sie Masturbatoren benutzen.
Es sind auch Frauen, die so lange auf eine eindimensionale, penisorientierte, aufdringliche, übergriffige und ejakulationszentrierte männliche Sexualität gedrillt wurden, dass sie ziemlich ratlos, um nicht zu sagen verunsichert und beleidigt wirken, wenn es sich bei einem Mann mal nicht darum dreht.
Höchste Zeit also, diese einschränkende, sexistische Verabredung aufzukündigen und das Ganze mit Vielfalt und Spaß zu etwas Besserem zu transformieren.
Weitere Links und Infos zum Thema:
Hier gibt’s eine Auswahl an Sextoys für Penisse vom Fuck Yeah Sexshopkollektiv.
Weitere Gedanken über das soziale Stigma rund um Sexspielzeug findest du im Essay von Donna Mwiria “ It’s Time We Let Go of The Stigma Around Sex Toys“ (englisch).
Mehr zu möglichen Gründen eines negativen Images von Mastubatoren & Co. für Männer im Artikel der Vice: „Männer sollten sich nicht dafür schämen, sich mit Sexspielzeug selbst zu befriedigen“.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich“ oder „männlich“ benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.
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Bildquelle: Taisiia Stupak / unsplash