Wie aus verunsicherten Jungen Pick-Up-Artisten gemacht werden sollen, erfuhren feministische Aktivist*innen beim Intervenieren in einer Chatgruppe. Der Gruppenchef predigt Homophobie und Rechtsradikalismus. Von Veronika Kracher.
Während auf der einen Seite die Akzeptanz für queere Lebensentwürfe zunimmt, radikalisieren sich andererseits immer mehr junge, sich gekränkt fühlende Männer im Internet. Anstatt zu erkennen, dass patriarchale Geschlechtervorstellungen auch Jungen und Männern gewaltigen Schaden zufügen, investieren einige lieber mehrere hunderte Euro in Seminare, in denen man beigebracht bekommt, besonders männlich zu sein – also: hart, chauvinistisch, diszipliniert, gefühlskalt, und natürlich ein Frauenhasser. Einige Männer wie die der Maskulinist und Autor Jack Donovan, Pick-Up-Artist Julien Blanc oder der Rapper Kollegah sind mit dieser Masche richtig wohlhabend geworden.
Einer der Versuche, von der Unsicherheit junger Männer zu profitieren und antifeministische Verschwörungstheorien zu verbreiten, ist die Telegram-Chatgruppe „Boss und Alpha“. Dort versucht ein gerade mal 17 Jahre alter Gruppenchef namens Mergim Lloga seinen ebenfalls minderjährigen Jüngern zu erklären, wie man denn zu einem richtigen Boss und Alphatypen wird. Wenig überraschend: durch die Abwehr von Weiblichkeit durch Homophobie und Hass.
Das komplette Denken und Handeln ist auf eiserne, soldatisch anmutende Selbstdisziplinierung und -Optimierung ausgerichtet: alles, was nicht einem wirtschaftlichen oder sexuellen „Erfolg“ zuträglich ist, muss aus dem Leben geschnitten werden. Der regelmäßige Gang ins Fitnessstudio scheint unumgänglich. Wer Videospiele spielt oder Feiern geht, wird als „Loser“ bezeichnet, einem Schicksal, dass mit aller Gewalt (gegen sich und andere) entkommen werden muss. Kein Loser sein bedeutet natürlich auch, eine Beziehung zu haben, „wo sich seine Frau unterwirft auf romantische Art und Weise“ (sic).
Die ideale Partnerin ist submissiv, bleibt brav zuhause, anstatt in den Club zu gehen, hat nur Augen für ihren eigenen Partner, und ist niemals mit feministischem Gedankengut in Berührung gekommen. Profeministische Männer werden als „Soyboys“ und „Beischlafbettler“ tituliert, beides Begriffe aus der Alt-Right. Männlichkeit kann nur als hart, gestählt, selbstdiszipliniert und kaltschnäuzig erfahren werden, es gibt kaum was schlimmeres als Frauen auch nur ansatzweise gleich zu sein. Kurz, es handelt sich um eine Gruppe, in der zahlreiche verunsicherte pubertierende Jungen unter dem Label neoliberaler „Selbstverbesserung“ zu Frauenhass und Selbstzurichtung gepolt werden. Wer daran scheitert einem extrem toxischen Bild von Hypermaskulinität zu entsprechen, ist selbst daran schuld und muss härter an sich arbeiten. Besonders bitter ist dies angesichts der Tatsache, dass viele dieser Jugendlichen Lloga tatsächlich als Vorbild betrachten und sich hilfesuchend an ihn wenden. Anstatt die Empathie und Solidarität, die gerade Jugendliche benötigen, zu erfahren, wird ihnen lediglich eins angeraten: wie ein braver Soldat zu folgen.
Des Weiteren versucht Lloga, über die Gruppe Geschäfte abzuwickeln – mit, um das noch einmal zu betonen: Minderjährigen. Über die Seite „Marketpeak“ werden Minderjährige zu kostenpflichtigen „Webinaren“ eingeladen und dazu angehalten, in Bitcoins zu investieren. Auf seinem Instagram-Profil suggeriert Lloga, der mit dem gewollt grimmigen Blick eines Haftbefehl-Imitators zwischen protzigen Autos steht, den finanziellen Erfolg seiner Masche. In einer „Investment-Gruppe“ kann man mehr darüber erfahren, wieso man das eigene Taschengeld in einen Bitcoin-Betrug investieren sollte, finanzieller Erfolg ist schließlich einer der obersten Prämissen, um Alpha zu werden.
Diese Mischung aus Frauenhass und Bereicherung ging so lange gut, bis ein paar Feminist*innen Wind von der Sache bekamen und beschlossen, zu intervenieren. Man schloss sich online zusammen und meldete sich in der Gruppe an. Sexistische Aussagen wurden gekontert, das reaktionäre Frauenbild wurde hinterfragt, und vor allem wurde den Usern der Gruppe vermittelt, dass Zweifel oder Scheitern vollkommen normal sind, und dass die Alpha-Mentalität sowohl einem selbst als auch dem eigenen Umfeld mehr schadet als Gutes tut.
Ein*e feministische*r Aktivist*in (non-binär, persönlicher Kontakt, Name wird aus Schutzgründen nicht genannt), war an vorderster Front mit dabei: „Egal wo Leute sich befinden, ist es wichtig menschenfeindliche Rhetorik zu kontern, online wie offline. Und bei anscheinend Minderjährigen ist es besonders wichtig aufzuzeigen, dass diskriminierendes Verhalten nicht toleriert wird. Man muss aufzeigen, dass Gleichberechtigung für alle etwas Erstrebenswertes ist, wie empowernd das auch für junge Männer sein kann und wie positiv Ebenbürtigkeit in einer Beziehung ist. Das geht aber nur langsam und braucht Zeit. Daher ist es wichtig am Ball zu bleiben, dabei möglichst kollektiv zu agieren und die eigene Selfcare nicht zu vergessen“, so die*der Aktivist*in.
Hart und soldatisch genug, um sich die feministische Kritik auf Dauer anzutun, waren Lloga und seine Alpha-Kumpels dann doch nicht. Sie begannen, sich in eine „private“ Chatgruppe zurückzuziehen. Der Tenor dort ist ein ganzes Stückchen härter und zeigt auf, wie gut maskulinistisches Denken als Einstieg in rechtsradikale Ideologie funktioniert: neben Tipps zum Muskelaufbau werden Verschwörungstheorien und Holocaust-„Witze“ geteilt, und auch der österreichische Rechtsinfluencer-Wannabe Roman Möseneder zählt zu den Mitgliedern. Doch die Mitgliederanzahl in der privaten Gruppe ist dank der Intervention ein gutes Stück gesunken, so die*der Aktivist*in: „Nicht alle, besonders nicht die ideologisch gefestigten, lassen sich durch logisches Argumentieren überzeugen. Es gilt vor allem weniger indoktrinierte Mensch von besonders faschistischer Ideologie abzubringen, und die Indoktrinierung zu unterbrechen. Das kann durch Störaktionen passieren, Spam, gutes Zureden, melden und fluten von Chatgruppen. Immer wieder kommt es dazu, dass Mitglieder sich aktiv von diskriminierender Denkweise abwenden. Unser permanentes Stören und Hinterfragen in der Alpha-Gruppe hat letztendlich dazu geführt, dass nur noch ein Viertel wirklich aktiv in Nachfolgegruppen dabei sind. Wir können also von einem Erfolg sprechen“, erzählt die*der Aktivist*in, der*die in beiden Gruppen recherchiert hat, weiter.
Es gehört zur Strategie von Rechten, zu denen man Maskulinisten zwingend zählen muss, politischen Gegner*innen das Gefühl der Unterlegenheit und Ohnmacht zu vermitteln und uns von weiteren feministischen Interventionen abzuhalten. Davon dürfen wir uns nicht aufhalten lassen. Jeder einzelne unserer Kämpfe bringt etwas – und sei es auch nur, einen verunsicherten Jungen davon abzuhalten, zum Pick Up-Artist zu werden.
Veronika Kracher ist freie Journalistin und arbeitet hauptsächlich zu Antifeminismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Ihr Hauptfokus liegt dabei auf gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Internet, der Alt-Right und der sogenannten „Incel“-Subkultur.