Cis Frauen und Männer werden im Fitnessbereich oft genau gleich trainiert – aber Menstruationszyklus und Wechseljahre geben andere Bedürfnisse und Potentiale vor. Die sollten wir nutzen! Nach Gendermedizin ist Gendersport das nächste wichtige Thema.
„Komm, gib noch mehr!“ schreit mich ein Trainer an, während ich – hochrot – nach Luft schnappe. Wusstet ihr, dass ihr in der Progesteron-Flaute kurz vor der Menstruation weniger schnell Sauerstoff in den Zellen verfügbar habt? Der Trainer weiß es anscheinend nicht. Wie so viele Fitnesstrainer*innen bundesweit, die sich mit dem weiblichen Zyklus noch nicht befasst haben.
Wer menstruiert, pumpen geht oder das Fitnesscenter um die Ecke besucht, findet außer Beckenbodentraining leider kaum ein Angebot, das auf sein Geschlecht abgestimmt ist. Und viele brauchen das auch nicht – ihr Zyklus läuft „wie geschmiert“, von der Menstruation bekommen sie kaum etwas mit, prämenstruelles Syndrom ist ihnen unbekannt und die Wechseljahre sitzen sie auf einer Pobacke aus. Aber das sind weitaus nicht alle. Um die 90% der Frauen erleben Menstruationsbeschwerden, um die 60% aller Frauen haben Beschwerden in den Wechseljahren. Die müssen beide nicht so stark sein, dass man keinen oder anders Sport machen sollte. Aber viele würden davon profitieren, wenn sie es täten.
Sport an sich ist bei allen hormonbedingten Schwankungen gut – auf den Inhalt und die Dosis kommt es jedoch an. Das hört eine Seite von mir ungern und damit bin ich sicher nicht alleine. Es klingt für mich nach einer Naturalisierung des Weiblichen und nach neuen „Schwächen“, die Menschen mit Gebärmutter zugeschrieben werden sollen. Als gäbe es die nicht schon genug – alleine das Potenzial, Kinder zu gebären, kann uns manch eine Karrierechance verhageln. Außerdem bin ich sportlich sehr ehrgeizig und als serienmonogame Hete in meinem Leben meist in Konkurrenz mit männlichen Sportpartnern gewesen. Wenn mein Mann schon wieder Klettern oder Joggen geht, während ich pausieren sollte, finde ich das mehr als ungerecht.
Und genau hier sitzt das Problem: Wenn wir Sport immer nur nach Kriterien bemessen, die Nicht-Menstruierende am ehesten erfüllen, sind Hormonschwankungswesen potenziell die Verlierenden. Warum definieren wir „erfolgreichen“ oder „effektiven“ Sport nicht mal anders?
Kreativität und Spontanität sind Gold wert
In der Vogue habe ich eine Anleitung gefunden, den Hormonzyklus effektiv zu nutzen – also Kraft aufzubauen, wenn hormonell die besten Vorrausetzungen dafür vorhanden sind. Mit genauem Hinhören, was unser Körper wann zur Verfügung stellt, können wir ihn optimal unterstützen. Wie cool ist das? Vor allem können wir diese Achtsamkeit für viele andere Dinge nutzen: Wann ist die passende Energie da, um den verrückten Kurztrip zu machen oder um den Konflikt mit der besten Freundin zu klären? Wann wäre es besser, sich zum gemütlichen Kinoabend zu verabreden?
Schwierig wird es, wie bei mir, wenn der Zyklus reines Chaos ist. In den Wechseljahren kommt die Regel gerne mal alle zwei, dann wieder erst nach sechs Wochen. Während man vorgestern noch beim Box-Workout Kannen geschwitzt hat und im Endorphin-Rausch breit grinste, wäre heute vielleicht eher eine Yoga-Einheit angebracht, obwohl man doch genau da weitermachen wollte, wo man aufgehört hat. Oder vielleicht doch lieber ein sanftes Joggen oder Walken mit Tanzeinlagen? Hier spontan zu bleiben und genau hinzuhören ist nicht einfach, aber auch eine große Chance. Anstatt sich mit Bauchkrämpfen oder Gesichtsblässe zur Hochleistung zu pushen, kann ein leichtes Ausdauer- oder Muskel-Ausdauertraining genau diese Krämpfe auch beseitigen – und ebenso befriedigend sein.
Sport in den Wechseljahren
Nicht jede kann Sport machen und nicht jede braucht regelmäßigen Sport. Mir tut er jedoch enorm gut, ich schlafe besser und mag es, Muskelkraft zu haben. Außerdem türmen sich bei manchen Menschen in den Wechseljahren die Kilos auf, wenn sie die in dem Alter schnell schrumpfende Muskelmasse nicht erhalten. Zu viel Bauchfett kann ab einem bestimmten Alter und familiärer Vorgeschichte Diabetes und Brustkrebs begünstigen. Auch den Knochen hilft Sport, insbesondere Gewichtstraining, um Calcium zu halten und Osteoporose entgegen zu wirken. Viele meiner Freundinnen machen aber Sport ohne Ende und nehmen trotzdem nicht mehr ab. Im Gegenteil, manche nehmen sogar an Bauchfett zu – mehr als das gesunde Maß, das wir zur Produktion von Östrogen brauchen. Woran liegt das?
Wenn wir knallhart unseren Stiefel durchziehen und wie mit 30 oder 40 Jahren täglich eine Stunde joggen gehen, kann das in den Wechseljahren kontraproduktiv sein. Bringt der Sport nämlich keinen Spaß, langweilt oder strengt er uns zu einseitig an, ist auch Sport reiner Stress. Stress haben wir in den Wechseljahren genug und er zeigt sich durch hohe Cortisol-Level. Wenn wir nun beim Sport noch mehr Cortisol produzieren, puscht das Insulin in unserem Körper nach oben. Zu viel Insulin macht dick, weil es Fett im Körper festhält. Was also tun?
Mein persönlicher Tipp: Intervall-Training. Nach extrem hoher Belastung – an Geräten oder durch Sprints, Squats, Sprünge und Kicks – so lange pausieren, bis der Herzschlag wieder unten ist. Das können Wechsel von zwei Minuten Anstrengung und einer Minute Pause sein. Das fördert Serotonin, vor allem bei der Vorstellung, dass 20 Minuten davon so effektiv sind wie früher eine Stunde joggen. Du kannst dich an anstrengenden Übungen dabei kreativ austoben und dann die Stille in deinem Körper zwischen den Anstrengungen genießen. Ich liebe dabei besonders, dass man spüren kann, wie in jeder Pause der Cortisolwert herunterrast. Wie sich das aktive Loslassen von Stress anfühlt, kannst du somit für den Alltag speichern und hoffentlich beim nächsten stressigen Termin abrufen!
Unsere Hormone und der passende Sport können uns also nicht nur helfen, achtsam und spontan zu werden, sondern auch, Stress schneller loszulassen. Das sollten wir unbedingt nutzen! Und wenn euer Partner stur sein Trainingsprogramm durchzieht, fragen, ob er heute nicht mal Bock auf Beckenbodentraining hätte. Warum das auch für Männer wichtig ist und ihnen viel zu selten angeboten wird, ist auch ein wichtiges Gendersport-Thema. Gerne beim nächsten Mal!
Eure Stevie
PS: Bäuche sind schön! Die hier gegebenen Tipps sind keine Aufforderung zum Abnehmen. Ich plädiere auch nicht dafür, Bäuche nicht zu zeigen, vor allem in den Medien. Es geht hier lediglich um Tipps für jene, die gesundheitlich von weniger Bauchfett profitieren und sich fragen, warum ihr bisheriges Training nicht funktioniert.
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