Ungeschminkte Wahrheit

 

Manchmal kriege ich solche Emails von Nils: „Stevie, was sagst du dazu? Als Mann sollte ich mich da besser zurückhalten!“ Richtig, lieber Nils. In der letzten Email ging es nämlich um Schminke, und die ist vorrangig Mädchensache: Die werden mit dem Zeug schon als Beigabe zu den ersten Mädchenmagazinen zugemüllt. Boris Entrup erklärt ihnen bei GNTM, wie es perfekt aufzutragen ist, und die erfolgreichsten weiblichen Youtuberinnen erklären Jugendlichen nicht – wie ihr männlicher Kollege LeFloid – die aktuellen Nachrichten, sondern die Vorzüge von Maybelline Jade.

Pinkstinks entstand unter anderem, nachdem ich ein Video von einer Londoner Konferenz gesehen hatte, auf dem Pinkstinks UK, Susie Orbach und andere auftraten, die gegen die Bombardierung von Kindern mit Kosmetikartikeln protestierten. Eine Gruppe junger Mädchen sagte, dass sie lange nicht ohne Make-Up aus dem Haus gegangen seien: Jetzt agieren sie gegen den Schönheitswahn. Dieses Video, in dem Bratz- und Barbie-Puppen von einer Neuseeländerin abgeschminkt worden waren, wurde dieses Jahr weltweit gefeiert. Wir sind uns einig: Der Druck auf Mädchen, stets perfekt geschminkt und lächelnd vor die Tür zu gehen, hat seit GNTM zugenommen.

Nils Email enthielt aber einen zweiten Satz: „Ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll. Ist das jetzt Empowerment oder das Perfideste, was ich je gesehen habe? Oder beides?“

Der Link in der Email verwies auf die neueste Kampagne von Vichy, diese hochwertige, oft allergenfreie Kosmetik, die wahnsinnig gut riecht und nur in Apotheken zu bekommen ist. Es ging um die Deckkraft eines neuen Make-Ups, das sogar hartnäckige Akne, Pigmentstörungen oder Tattoos zum Verschwinden bringen kann. Maren, die seit Kindheit weiße Flecken im Gesicht aufweist, sieht Make-Up als Chance: Mal nicht im Mittelpunkt zu stehen, weil man anders ist. Denn auch, wenn sie diskriminierende Äußerungen sich gegenüber als solche erkennen und Wut darüber aufbauen kann, ist es verdammt anstrengend, stets zu seinem Gesicht stehen, ständig stark sein zu müssen.

https://www.youtube.com/watch?v=rMC_VdgZa20

„Seht Make-Up als Chance“, schließt sie ihren kurzen Vortrag. Es war genau hier, dass Nils und ich stutzten, die ihrer Begründung ansonsten sehr gut folgen konnten. Ganz anders hatte es nämlich Sebastian in einem weiteren Vichy-Werbevideo ausgedrückt, der wegen seiner vielen Tattoos seinen Job verlor. „Wenn ich zur Bank gehe, um mir einen Kredit für meinen eigenen Laden zu holen, werde ich meine Tattoos überschminken. Die Chance will ich nicht verpassen.“

https://www.youtube.com/watch?v=dXNa0m7IAkc

Dir dritte Person, die in einem Video als Testimonial für das Produkt spricht, ist ein Model, die mit schwerer Akne kämpft. Auch, wenn sie erwähnt, wie wichtig das Abdecken der Akne für ihren Job ist, betont sie: „Wenn auch ihr euch nicht wohl in eurer Haut fühlt, nutzt die Chance von Make-Up.“ Ja, wir sind kleinlich: Auch, wenn Make-Up ermächtigend sein kann, ist die Kampagne sexistisch. In allen drei Fällen geht es um die Erfahrung von Diskriminierung. Aber während Michaels Hauptproblem sein Einkommen ist, appellieren die Frauen an die Möglichkeiten der Anerkennung von jedermann, die wir Frauen durch Make-Up bekommen.

Auch ich nutze Make-Up als Chance. Wenn ich geschminkt aus dem Haus gehe, wissen meine Kinder, dass ich einen wichtigen Arbeitstermin habe: Einen Vortrag, ein Gespräch mit eine*r Politiker*in oder ein Fernsehinterview. Sie wissen, dass es mein Ziel ist, dass sie, wenn sie groß sind, nicht fünf Minuten extra im Bad brauchen, um im Mainstream ernst genommen zu werden. Dass es dann nur noch auf den Inhalt und nicht die Verpackung ankommen soll. Manchmal experimentieren wir zu Hause auch einfach nur mit Farben und haben Spaß am Schminken. Aber meine Kinder kennen auch das genervte Gefluche von mir aus dem Bad, weil ich einfach keine Lust habe, mein Gesicht für einen Termin anzumalen.

Dass ich mich gut schminken kann, keine Akne und keine Pigmentstörungen und dazu aktive Gesichtszüge habe, ist in dieser Welt eine Chance. Um diese Privilegien weiß ich und nutze sie, um unsere Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Umso mehr macht es mich traurig, wenn Firmen diese Chance als etwas Positives verkaufen. Da gefällt mir Michaels Testimonial einfach am besten: Er findet sich wunderschön mit seinen Tattoos. Nur wenn er konkret etwas will, von Menschen, die in Klischees denken, schminkt er sich. Die Frauen hingegen finden es schwer, die Kritik an sich auszuhalten, weil sie sie persönlich trifft. Weil sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlen. Das Recht und den Schmerz will ich ihnen überhaupt nicht absprechen. Aber es wurde kein Mann mit Pigmentflecken, keine Frau mit Tattoos gezeigt: Weil der Mann wahrscheinlich selten diskriminierende Äußerungen erhalten würde, und weil eine Frau, die sich schön findet und nur aus Strategie das glattgeschminkte Spiel mitspielt, viel zu selten und keine Zielgruppe ist.

Werbung reproduziert und spiegelt gesellschaftliche Realität. Deshalb lieber Nils, produziert die Vichy-Kampagne Ermächtigung leider nur innerhalb der patriarchalen Strukturen, in denen wir leben. Und die sind, genau wie du sagst: perfide.