Von mir zu Dir über #StopAsianHate

Ich sitze an meinem Küchentisch, die Fenster sind geöffnet und eine warme Brise weht mir ums Haar. Ich mache es mir behaglich, denn über meine Erfahrungen mit Rassismus als in Deutschland geboren und aufgewachsene Frau mit koreanischem Hintergrund zu schreiben, holt mich komplett aus der Komfortzone heraus. Und doch mache ich es gerne, weil ich weiß, dass es relevant und für einige Leser*innen aufschlussreich sein wird.

In den Diskussionen, die in letzter Zeit um Diskriminierung gegen asiatisch gelesene Menschen geführt wurden, begegnete mir oft eine gewisse Ratlosigkeit darüber, welche Sprache und Handeln anti-rassistisch sein könnten. Wenn Ausdrücke wie „asiatisches Essen“ und „Chinamann“ oder auch nicht böse gemeinte Verulkungen von nicht-deutschen Namen als rassistisch gelten, wo ist dann die Liste von politisch korrekten Alternativbegriffen zu finden? Könnte man eine genaue Anleitung darüber bekommen, wie die Interaktionen abzulaufen haben, ohne am Ende als diskriminierend zu gelten? Darf man überhaupt noch fragen, wo jemand wirklich herkommt? Und bin ich erst Anti-Rassistin, wenn ich K-Pop Fan bin? Diese und noch viel mehr Fragen können eine*n verunsichern und frustrieren. Auch mir wird ebenfalls oft genug Ignoranz vorgeworfen – manchmal zu Recht und manchmal auch nicht. Ich überprüfe dann gerne meine eigene Haltung. Habe ich mein Gegenüber stereotypisiert? Habe ich jemanden objektifiziert und vielleicht gelabelt? Oder habe ich stattdessen doch den komplexen Menschen mit eigener Persönlichkeit gesehen, der seine guten und schlechten Tage haben darf, Wünsche und Fehler? Sobald wir versuchen, uns auf Kosten des Wohlbefindens anderer besser zu fühlen, verlassen wir den moralisch sicheren Pfad. Und in bestimmten Fällen reicht dafür auch schon eine gönnerhafte Haltung, ein nicht ernst nehmen oder ein nicht Sehen aus. 


Der Begriff „asiatisches Essen“ ist durchaus angebracht, wenn damit die gesamte Kulinarik des Kontinenten Asien gemeint war – von der Türkei nach Japan, von Russland bis nach Indonesien. Präziser Ausdruck ist die Kunst jeder Sprache. Eine Kunst bei der ich auch nicht ständig unter Beobachtung stehen möchte, aber bei der es sich lohnt, anspruchsvoll zu bleiben, um seine Gedanken mit der Zeit immer treffender formulieren zu können.
Die sehr persönliche Frage, wo man ursprünglich, genetisch, wirklich herkommt, ist irrelevant, wenn sie nicht aus dem Kontext des Gesprächs entsteht oder dem Nutzen der Situation dient. Wenn der Befragte aber zögert sollte man sie höflich zurückziehen. Ich empfinde die Befragung öfters als ungeschickt. „Guten Tag, mein Name ist […], woher stammen sie ursprünglich?“ Wenn ich mich in der Situation wohl damit fühle, antworte ich derzeit: „Ich komme aus Köln und Korea.“
Sehr oft wird mir im Small Talk gesagt: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Und in der Regel ist vom anderen damit nicht meine raffinierte Syntax oder Rhetorik gemeint, aber ich beende das Thema charmant mit „Ja, das finde ich auch.“ 

Nun gibt es aber auch jene aggressiven Übergriffe, die wirklichen Schaden anrichten können.
Das Gefühl, diskriminiert zu werden, ist für mich schwer in Worte zu fassen, darum möchte ich zwei Geschichten dazu erzählen.
Die erste handelt von einer engen Freundin. Als Jugendliche zog sie im Schüleraustauschprogramm für ein halbes Jahr nach Amerika. Sie wurde zusammen mit einem deutschen Jungen in eine Schule in Oklahoma eingeteilt. Seine Schwerhörigkeit kommunizierte er von Anfang an offen mit Lehrenden und Schüler*innen, damit sie darauf Rücksicht nehmen konnten. Eine Gruppe von Jugendlichen machte es sich allerdings in diesen sechs Monaten zur Gewohnheit, sich im Speisesaal hinter ihn zu stellen und abwechselnd seinen Namen zu grölen, dabei Grimassen zu ziehen und sich gemeinschaftlich darüber kaputt zu lachen.
Meine Freundin beobachtete das Ganze stets aus der Ferne, sie involvierte sich nicht, sie hatte ja irgendwie auch nichts damit zu tun. Doch immer, wenn sie diese Geschichte erzählte, hatte ich den Eindruck, dass sie jenes Erlebnis traumatisierte. Allein die Tatsache, dass sie Zeugin dieses Fehlverhaltens wurde, ließ sie mit einem unguten Gefühl zurück und endlosem Grübeln darüber.
In einer idealen Welt, die es nicht gibt, wären Menschen nicht übergriffig. Aber in einer zweit-idealen Welt werde ich Mitgestalterin meiner Umgebung. Ich will niemanden entmündigen und ich kann keinem meine Wahrheit aufzwingen, aber ich spreche für mich und für meine Welt und bringe diese Perspektive ein.
So kann ich, erstens, negativen Einfluss um mich herum reduzieren. Das kann eine Serie sein, die rassistisch ist. Dann schalte ich sie aus, thumbs down, damit mein Algorithmus dazulernt und gucke was anderes, wie z.B. eine Serie, die so kreativ geschrieben oder synchronisiert ist, dass sie nicht hilflos auf rassistische Diskriminierung zurückgreifen muss.
Zweitens unterscheide ich zwischen relevanten und belanglosen Konflikten. Manchmal begegnen mir auf der Straße einfach wütende Menschen, die willentlich fremde Passanten beleidigen. Dieses merkwürdige Verhalten sollte man allenfalls laut mit „na, na, na!“ kommentieren und weitergehen.
Bei der Arbeit und im privaten Kreis, also dort, wo es im Alltag eine Rolle spielt, spreche ich ungestüme Grenzüberschreitungen gezielt an. Das mache ich weder routiniert, noch besonders mediatorisch. Wenn ich mein Anliegen und meine Gefühle vortrage, wirkt das manchmal auch unbeholfen. Vielleicht wird das noch, ich lerne schließlich jeden Tag dazu. Aber wichtig ist vor allem, dass ich eine Position eingenommen habe. Für mich. Auch wenn ich Unrecht anspreche, welches jemand anderem widerfahren ist, spreche ich für mich und meine Gefühle, weil ich Kränkung und Scham nicht ertragen und aussitzen möchte. 

Die zweite Geschichte handelt von mir. In der neunten Klasse hatte ich einen Mathelehrer, der sich so manche Stunde entschied, nicht zu unterrichten, sondern durch den Raum zu schlendern, mit seinen Händen hinter dem Rücken. Er erzählte uns, wie undankbar und verwöhnt wir seien und dass er nur Lehrer geworden sei, weil er Kinder nicht ausstehen konnte. Er war schon lange im Pensionsalter, doch durch akuten Fachkräftemangel wollte die Schule nicht auf ihn verzichten. Eines Tages lief er durch unsere Sitzreihen und sein schweifender Blick blieb an mir hängen. Mit seinem Wissen über meine Herkunft und einer offensichtlich rassistischen Abneigung gegen mich, sagte er: „Koreaner können sich anstrengen wie sie wollen. Die werden am Ende eh nur [Berufe, die er als besonders minderwertig labelte].“
Eine Mitschülerin, die genau vor mir saß, drehte sich zu mir um, starrte mir ins Gesicht und brach prustend in Gelächter aus. Sie lachte so ungehemmt in die schwere Stille hinein, den Blick nicht von mir abwendend, dass ihr nach einer Weile Tränen in die Augen traten.
Jahre später begann ich mit meinem Architekturstudium. Statik war für mich das Horrorfach. In den Schuljahren mit diesem Lehrer hatte ich fast nichts in Mathe gelernt und somit gravierende Wissensdefizite. Aber von meinen liebenden Menschen hatte ich gelernt, dass Angst vor Fehlern und Versagen keine gültigen Ausreden sind, um sich nicht ehrlich zu bemühen. Also konzentrierte ich mich, suchte mir Hilfe und hängte mich bis zur Leistungsgrenze rein.
Ein Monat nach der letzten Klausur hing der Notenspiegel aus. Ich hatte die zweitbeste Note in Statik unter zweihundert Studierenden in einer renommierten technischen Universität erhalten.
Ich war und bin wirklich stolz darüber, vor allem weil mein Leben nicht für diesen Erfolg geebnet war. Aber es gab starke Menschen, die mich unterstützt und motiviert haben und somit dazu beitrugen, dass nicht zuletzt die Bauherr*innen heute auf mein Verständnis für Tragwerke vertrauen können.
Die Welt ist voll von Möglichkeiten und wir entscheiden, wie wir uns in Zukunft beteiligen, welche Rolle wir einnehmen wollen. Welcher Mensch würdest Du gerne dabei sein?

Bild: Unsplash

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