Nach der Demo ist vor der Demo

Die Aufschrei-Aktivistin Kathy Meßmer ist wütend. Sie spricht zweimal hintereinander ganz langsam und deutlich das Resultat der diesjährigen BRAVO-Studie aus: „Jedes dritte Mädchen in Deutschland hat ein schlechtes Gewissen, wenn sie isst.“ Über tausend Menschen hören ihr zu, stille Konzentration vor dem Brandenburger Tor. Dann tosender Applaus für ihren gemeinsamen Auftritt mit Piratin Julia Schramm, die eine erkrankte Anne Wizorek gebührend vertrat. Auch Birte Rohles (TERRE DES FEMMES) erntet rasenden Beifall als sie, nicht so beherrscht wie Kathy, eine laute und klare Ansage macht: „Sexuelle Verfügbarkeit und überzogene Geschlechterstereotypen sind die Basis von Diskriminierung. Und Diskriminierung ist die Basis von Gewalt.“ Als Sookee anfängt zu spielen, berichten uns später viele, sind ihnen die Tränen gekommen – und das bei diesen Beats, die Beine zum tanzen bringen. Denn ihre Worte fassen zusammen, was die vielen Menschen auf der ersten Demo gegen Sexismus in der Werbung wollen: „No rape in keiner Form, in keiner Gestalt…Wir stehen nicht zur Verfügung: Lasst uns tanzen!“

Wir sind glücklich, und berauscht. Jeder einzelne Rede- und Musikbeitrag rockte das Publikum, die Demonstrant*innen waren zweieinhalb Stunden hellwach, aktiv und partizipierten mit einem Schildermeer, euphorischen Zurufen und – danke! – Lächeln, auch wenn uns die Technik eine Stunde verspätet starten ließ. Das Pinkstinks-Team ist inzwischen so eingespielt, dass jede/r einzelne zwischendurch einfach mal nur tanzen konnte, weil die anderen Musiker mit Wasser versorgten, der Presse zur Verfügung standen oder nicht angemeldete Menschen, die unbedingt auf die Bühne und reden wollten, erklärten, dass das Programm knacke voll ist. Vielfalt zeigten auch die traumhaften Musiker*innen, die uns unterstützten: Von Hamburger Schule bis Rap war für alle was dabei. Danke, Sookee, Doctorella, Dirk von Lowtzow und Bernadette La Hengst! Und so tanzten und freuten sich blutjunge Väter neben Altfeministinnen, während die Babies mit Ohrschützern im Tragesack schliefen.


Petition-Übergabe

Nun ist es vorbei. Am Tag nach der Demo wachte ich früh auf und überlegte, wie eine Abschieds-Demo für GNTM im nächsten Mai in Köln wohl aussehen könnte. Und zog mich dabei an, um mit Ingrid Holzmayer, Nils Pickert und Berit Völzmann, unserer Juristin, zur Pressekonferenz mit dem Werberat zu marschieren. Syrien, Kanzlerduell und zu viele wichtige Demos an einem Wochenende, da konnten wir nicht Massen an Presse erwarten. Dafür machte unsere Moderatorin Ines Pohl ihre Sache grandios und stellte die richtigen Fragen. Wir hatten ein gutes und wichtiges Gespräch. Viele der Argumente des Werberats hörten wir nochmals und haben sie an anderer Stelle schon kommentiert. Interessant war diesmal, dass Julia Busse, die Geschäftsführerin des Werberats, öfter betonte, dass Pinkstinks und Werberat in einem einig seien: Beide wären gegen Sexismus in der Werbung. (Die taz berichtete.)

Nun sehen wir Pinkstinker das Problem, dass der Werberat Sexismus lediglich mit einer „Herabwürdigung der Frau“ gleichsetzt. Während auch wir keine überzogene Zensur von Werbung wünschen, sehen wir des Werberats Definition von „Herabwürdigung“ weit entfernt von vielen Fällen, in denen wir eine starke sexuelle Verfügbarkeit erkennen, eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, oder stereotype Darstellungen, die Mädchen und Jungen in ihrer Entfaltung einschränken. Während der Werberat die Petition (16.000 Unterschriften!) also dankend entgegen nahm, bekräftigte, dass er unsere Petition ernst nimmt und sich auf unseren gemeinsamen Nenner bezog, mussten wir abschließend noch einmal ausdrücken, dass wir nicht glauben, dass der Werberat, als Gremium der werbeführenden Industrie, erkennen kann, was sexistisch ist, und was nicht.

Beispielhaft hierfür war die Diskussion um die Henne und das Ei. Während der Werberat Werbung eher als Ei sieht, sehen wir sie als Henne. Werbung würde Trends nur wiederspiegeln, erklärte Frau Busse. Wir sagen: In einer ökonomisch instabilen Zeit, in der nichts Neues riskiert wird, wird eine relativ erfolgreiche Dove-Werbung eher eingestellt, weil das Bewährte (schlanke, junge Frauen) ja schon genug Absatz garantiert. Es ist sicherer, weil wir die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen seit Jahrtausenden kennen und damit Geld verdienen. Wenn Gleichberechtigung aber gesetzlich verankert ist, muss auch der Staat dafür Verantwortung tragen, dass Gleichberechtigung unseren Kindern in medialen Bildern zukommt. Deshalb bleiben wir dabei: Geschlechtsdiskriminierende Werbung muss gesetzlich definiert werden. Und um hierfür Lobbyarbeit zu betreiben, müssen wir Kriterien für Geschlechtsdiskriminierung entwickeln. Spätestens im Frühjahr 2014 steht unser Kriterienkatalog. Wir haben sehr gute Juristinnen, die sich im UWG (Wettbewerbsgesetz) auskennen, die mit uns arbeiten. Unser nächstes Gespräch mit dem Werberat ist am 16. Oktober. Wir werden berichten.

Zu Kindern und Ironie blieb der Werberat ganz klar bei seinem Standpunkt: Kinder sind nur ein Teil der Bevölkerung und um Meinungsfreiheit und Vielfalt zu garantieren, könne man nicht nur von der Sicht von Kindern ausgehen. Ihr seht also: Nach der Demo ist vor der Demo. Und wir sind ein gutes Stück weiter: Seit Sonntag sind wir als NGO wirklich angekommen, und das nur, weil ihr uns unterstützt. 1000 Dank an euch. Und jetzt geht es erst wirklich los.

(Fotos: Alicia Kassebohm)