Wahlprüfstein: Auf welche Partei können wir bauen?

 

In drei Wochen ist Demo! Und in sechs Wochen sind Wahlen. Und da Pinkstinks vorhat, Sexismus in der Werbung zu reduzieren, insbesondere in der Außenwerbung, haben wir einen Wahlprüfstein erstellt und an alle Parteien verschickt. Was ist für CDU bis Piraten geschlechtsdiskriminierende Werbung? Was tun sie dagegen? Könnten sie sich ein Verbot geschlechtsdiskriminierender Werbung vorstellen? Mit diesen Fragen und einigen mehr sind wir ins Rennen gegangen. Wir wollten sehen, mit wem es sich lohnen könnte, nach den Wahlen zusammen zu arbeiten. Denn unser Ziel ist es, zusammen mit MdBs und Jurist*innen bis Frühjahr 2014 verbindliche Kriterien zu entwickeln, anhand derer geschlechtsdiskriminierende Werbung benannt und gerügt werden kann. Ich werde hier die Antworten der Parteien zusammenfassen und unseren Senf dazu geben. Die kompletten Fragen und Antworten findet ihr in der Excell-Tabelle, die ihr euch unten runterladen könnt. Auch unser Positionspapier ist dort zu finden.

CDU und CSU sehen die Menschenwürde dann in Gefahr, wenn ein Mensch, als Geschöpf und Ebenbild Gottes, wegen seines Geschlechts herab gewürdigt wird. Gleichzeitig beruhen Fragen der Ethik, Sitte und Moral auf einer „gesellschaftlichen Übereinkunft“ und es stehe dem Staat nicht zu, „Tugendterror“ zu begehen – das sei ein Kennzeichen autoritärer, unfreier Systeme. Der Deutsche Werberat hätte sich als Kontrollinstanz bewährt, und die Union setze auf die mündigen Verbraucherinnen und Verbraucher, da das Kaufverhalten die beste Regulierung sei.

Die SPD sieht geschlechterdiskriminierende Werbung in der Sexualisierung von Frauen- und auch Männerkörpern. Sie werden instrumentalisiert und zum Objekt degradiert mit entsprechenden Folgen. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen setzt sich deshalb für eine unabhängige Kontrolle außerhalb des Werberats ein, aber innerhalb der SPD gibt es dazu noch keine abgeschlossene Meinung. Natürlich  könnten im Einzelfall auch Gerichte über geschlechterdiskriminierende Werbung entscheiden, Rechtsprechung dazu läge vor; und auch der Verbraucher hätte eine wichtige Stimme. Einem Verbot geschlechterdiskriminierender Werbung stehe die SPD zurückhaltend gegenüber.

DIE GRÜNEN antworteten: Geschlechterdiskriminierende Werbung arbeite mit Rollenklischees und würdige Menschen damit herab. Insbesondere Frauen würden häufig in sexualisierten Posen abgebildet, die Körperbilder „optimiert“. Schönheitsoperationen und Fälle von Essstörungen nehmen zu. Sie wollen einen gesellschaftlichen Verständigungsprozess, der für körperliche Vielfalt sensibilisiert und Sexismus in den Medien ächtet. Sie wünschen sich eine gesellschaftliche Debatte, gerade weil sich niemand der Werbung im öffentlichen Raum entziehen kann. Gerade Mädchen seien damit einem fortdauerndem Druck, möglichst dünn, hübsch und verfügbar zu sein, ausgesetzt. Dagegen würden genau solche Initiativen wie unsere helfen, deshalb danken sie uns für unser Engagement (Wir danken zurück!). Ein Verbot über die bestehenden hinaus halten sie jedoch nicht für sinnvoll. Zu prüfen seien eventuell Hinweise auf den Einsatz von Bildbearbeitung. Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die Kommunen beim Abschluss von Werbeverträgen über einen Ausschluss von diskriminierender Werbung entscheiden würden.

Für die DIE LINKE sei es wichtig dort zu intervenieren, wo die Rechte von Minderheiten oder von gesellschaftlich diskriminierten Gruppen angegriffen werden. DIE LINKE beteilige sich an Aktionen, die über sexistische und normierende Körperprojektionen aufklären, wie unlängst anlässlich der Barbie Dreamhouse-Eröffnung. Sie ergreifen Partei für Kinder, stärken Prävention und Verbraucher/-innenschutz gegen gesundheitsgefährdende und diskriminierende Produktwerbung. Einerseits sagen sie, die Gesetzgebung sollte die Mode- und Werbebranche in die Verantwortung nehmen. Andererseits halten sie Verbote für nur selten problemlösend. Für DIE LINKE ist die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Positionen und ein aufklärender Dialog zentral und  juristischen Auseinandersetzungen vorzuziehen, die in Einzelfällen jedoch möglich sein sollen.

Für die FDP liegt die Beurteilung, was geschlechterdiskriminierend ist und was nicht, beim Betrachter und kann sehr unterschiedlich sein. Der Deutsche Werberat stelle eine gestiegene Sensibilität der Konsumenten für diskriminierende Inhalte von Werbekampagnen fest. Das sei eine erfreuliche Entwicklung, die sich auch in einem verstärkten An- zeigeverhalten niederschlägt. Mit dem neuen Online-Formular sei es auch erheblich einfacher geworden, Inhalte, die aus Sicht des Klägers diskriminierend sind,  zu rügen. Bei rund einem Drittel der Proteste teilte die Branchen-Selbstkontrolle die Kritik der Konsumenten und forderte von den Firmen eine Einstellung der Werbung. Sei der Kläger mit der Entscheidung des Werberates nicht einverstanden, bliebe ihm der Rechtsweg unbenommen. Die Arbeit des Deutschen Werberates zeige aber, dass in einer überwiegenden Zahl der Fälle langjährige gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden konnten. Die FDP ist überzeugt, dass ein staatlicher Eingriff erst dann gerechtfertigt ist, wenn die Selbstregulierung nicht funktioniere, und aus der Sicht der FDP tut sie das. Da eine allgemeinverbindliche Definition der geschlechtsdiskriminierenden Werbung nicht bestünde, erschiene ein Verbot nur schwer umsetzbar.

Die Piraten sind sich noch nicht einig, aber für alles offen, sagen sie. Zur geschlechterdiskriminierenden Werbung gäbe es noch keinen Beschluss. Allerdings sei unstrittig, dass es diese Werbung gäbe und ihr begegnet werden muss. Eine fachlich fundierte Definition wird derzeit durch die Berliner Piraten in Zusammenarbeit mit Frauenverbänden, Lesben- und Schwulen- sowie anderen Queer-Gruppen erarbeitet. Im August findet eine Konferenz statt, die auch dieses Thema behandelt. Insbesondere Queer-Menschen sollten nach Ansicht der Piraten berücksichtigt werden. In der aktuellen Beschlusslage sind bisher noch keine konkreten Maßnahmen formuliert worden. Sie seien hier für gute Ideen offen. Aufklärungsarbeit an Schulen dürfte dabei aber eine hohe Bedeutung zukommen. Grundsätzlich sind die PIRATEN nicht gegen das Verbot von Werbung. Eine genaue Positionierung im Bereich geschlechterdiskriminierender Werbung scheitert derzeit an fehlenden objektiven und breit anerkannten Kriterien. Diese müssten zuerst erarbeitet werden.

Und genau da ist Pinkstinks dran. Wir glauben eben nicht, dass der / die Verbraucher*in den Markt selbst regulieren wird, so dass sexistische Werbung abnimmt. Ein Großteil der Menschen in Deutschland stößt sich nicht an sexistischer Werbung, sondern findet sie ästhetisch, erotisch oder – haha! Axe-Werbung! – – lustig. Und nein, wir haben nicht vor, die Frauen, die so denken, zu „befreien“. Sie werden ihre Gründe haben, warum sie diese Werbung toll finden. Fakt ist, dass es Studien gibt, die den Zusammenhang des Konsums von Werbemedien mit Essstörungen beweisen. Als man vor Jahrzehnten wenig über den Zusammenhang von Rauchen und Krebs wusste, störte sich auch kaum jemand an der Zigarettenwerbung. Heute darf der Marlboro-Mann nicht mehr im Kino rauchen und muss Todeswarnungen auf der Packung lesen. Ein Fünftel der Kinder zwischen 11-17 Jahren – meist Mädchen –  zeigen Symptome von Essstörungen, sagt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Und es gibt genug Studien, die beweisen, dass unser Körperbild, unser „gesellschaftlicher Konsens“, wie die CDU meint, diese Kinder krank macht. Essstörungen und verzerrte Körperbilder, die zu Depressionen führen, sind nur eine Auswirkung von sexistischer Werbung. Und wenn eine Minderheit an Krebskranken die Raucherwerbung verändern konnte, wird wohl auch eine Minderheit (immerhin ein Fünftel!) unserer Töchter die Darstellung der Frauenbilder beeinflussen dürfen. Dabei sind die Konsequenzen sexistischer Werbung nicht „nur“ Essstörungen und Depressionen. Dass Gewalt gegen Frauen und Diskriminierung am Arbeitsplatz letztendlich auch mit einem bestimmten, stets verfügbaren und medial inszenierten Frauenbild zusammenhängen, wird selten thematisiert. Wer würde dazu auch forschen? Diskriminierung am Arbeitsplatz oder ein paar blaue Flecken kosten keiner Krankenkasse Geld. Dennoch ist belegt, dass geschlechtsdiskriminierende Werbung Stereotype verfestigt, und stereotypes Denken sind die Grundlage sexistischer Übergriffe.

Wenig Menschen ist klar, dass Werbung diskriminiert. Warum hat der Laptop in rosa nur die Hälfte der Funktionen wie der blaue Laptop? Geschlechtsdiskriminierende Werbung verfestigt Geschlechtsrollenstereotype. Dass überkommene Rollenverteilungen dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot zuwiderlaufen, betont das Bundesverfassungsgericht mittlerweile in ständiger Rechtsprechung (NJW 2012, 216; NJW 2012, 214; NJW 2006, 1195; NJW 1995, 1733). Es bestehe, so das Bundesverfassungsgericht, eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen und überkommene Rollenverteilungen zu überwinden. Im einfachen Recht existiert bisher (außer im Rundfunkstaatsvertrag) kein ausdrückliches Verbot diskriminierender Werbung. Die Rechtsprechung zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), auf die sich die SPD bezieht, stammt von 1995. Seit dem ist das UWG zweimal modernisiert worden und es ist nicht sicher, ob diese Rechtsprechungen wiederholbar wären. Der Teil der juristischen Literatur, der dies bejaht, befindet sich in der Minderheit. Gerade deshalb ist es wichtig, ein Gesetz oder eine neue Norm innerhalb des UWG zu etablieren, die hier Klarheit schafft. Erst ein Gesetz, das geschlechtsdiskriminierende Werbung als solches benennt, würde ein Bewusstsein in der Bevölkerung für das Unrecht solcher Werbung schaffen und diese auch eher anregen, sich über sexistische Werbung zu beschweren.

Die Kriterien des Werberats sind zu weit und unbestimmt, als dass sie dem Verbraucher / der Verbraucherin Klarheit geben, worüber sie sich aufregen dürfen. Ein Kriterienkatalog ist selbstverständlich schwer zu erstellen. Und doch gibt es schon international Vorarbeiten hierzu von verschiedenen Professor*innen. Auch existieren in anderen europäischen Ländern entsprechende Gesetze, denen die Kriterienbildung offensichtlich möglich war. Also schaffen wir das auch.

Hinweise auf digitale Bearbeitung in der Werbung sind eine nette Idee, aber wie viel Kinder können schon „Dieses Bild wurde digital bearbeitet“ lesen oder verstehen? Die Kommunen dürfen schon längst eigenständige Entscheidungen zu Werbeverträgen tätigen, liebe SPD. Leider hat dies jedoch nicht dazu geführt, dass bundesweit darauf geachtet wird, dass sexistische Werbung vermieden wird.

Wir haben uns vorgenommen, bis Frühjahr 2014 diesen Kriterienkatalog zu erstellen und mit Öffentlichkeitsarbeit zu verbreiten. Wenn er Zustimmung im Bundestag findet, wird sich auch der Werberat hierfür interessieren. Daran arbeiten wir zusammen mit dem Amt für Werbefreiheit und gutem Leben und anderen Organisationen und Jurist*innen. Wir halten euch informiert.

Wahlprüfsteine

Positionspapier_Pinkstinks