Nicht nur Eltern begegnet dieses Phänomen immer wieder: Sobald man in einem Spielzeuggeschäft deutlich macht, dass man gerne etwas kaufen würde, kommt als erstes die immer gleiche Frage. Nicht etwa nach dem Alter des Kindes, dem Budget oder gar nach den Interessen, sondern die nach dem Geschlecht. „Junge oder Mädchen?“ Was eigentlich eine relativ unerhebliche Frage sein sollte, hat sich in den letzten Jahren zu einem der zentralen Auswahlkriterien für den Kauf eines Spielzeugs entwickelt. Aber war das vielleicht nicht schon immer so? Haben Jungen und Mädchen früher nicht womöglich auch schon geschlechtsspezifisch gespielt?
Fest steht, dass Menschen schon sehr lange spielen. Die ältesten Spielzeuge, die man in Gräbern für Kinder gefunden hat, sind über 150.000 Jahre alt. Belegt sind Rasseln und Pfeifen aus Knochen, Stein und Holz. Vor allem aber Puppen. Sie gelten als das älteste Spielzeug der Welt. Ab der griechisch-römischen Antike finden sich später nicht nur bereits sehr diverse Spielzeuge, sondern auch Beschreibungen darüber, wie damit gespielt wurde: Bälle, Kreisel, Reifen, Würfel und natürlich Puppen – neben den Materialien, die Kinder zu allen Zeiten und zu allen Schichten vorgefunden und daraus Spiele entwickelt haben, gab es spätestens ab dieser Zeit eine große Palette von unterschiedlichstem Spielzeug.
Trotzdem lässt sich die Frage, ob Spielzeug von der Antike bis zur Gegenwart überwiegend geschlechtsspezifisch war, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts aus mehreren Gründen nicht eindeutig beantworten. Unter anderem deshalb, weil der Besitz von Spielzeug lange Zeit vor allem eine Klassenfrage war. Das der angehende König von Bayern im 19. Jahrhundert ein Schaukelpferd besaß, verdankte er weniger seinem Geschlecht als seinem Stand.
Ein anderer Grund ist der, dass Kindheit wie wir sie uns heute vorstellen, eine Erfindung jüngeren Datums ist. Erst zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert wurden aus den kleinen Erwachsenen, die früh als Arbeitskraft gebraucht wurden, ganz allmählich Kinder, mit denen man besonders umgehen musste. Wenn wir also einen Blick in die Geschichte der Spielzeuge werfen, dann müssen wir aufpassen, dabei nicht unseren in Geschlechtertrennung geschulten Blick auf Fakten zu richten, die auch ganz anders interpretiert werden können. Sicher wäre es möglich, dass dieses Bild von einem Jungen mit Reifen Anfang des 20. Jahrhunderts ein Indiz dafür ist, dass Reifen nur von Jungen bespielt wurden.
Wir könnten uns aber auch darauf konzentrieren, dass Jungen damals noch Röcke tragen durften und wenn Geld da war, sogar in zartrosa. Jungen mussten nicht in allen Dingen schon „die Hosen an haben“, laut und alles andere als „weiblich“ sein um der Sorge vorzubeugen, dass sie kein „richtiger“ Mann werden würden. Denn Schwule gab es eh nicht – sie waren so verboten, dass sie nicht sichtbar waren. Deshalb machte ein fliegender, liebevoller Elf in Strumpfhosen namens Peter Pan (1902) auch niemandem Sorgen. In den Wehrdienst mussten die Jungs so oder so, die gesellschaftlichen und Arbeits-Teilungen waren klar umsteckt und mussten nicht durch Accessoires in der Kindheit vorbereitet werden.
Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich die Entwicklung hin zu einer geschlechtergetrennten, pinkifizierten Spielzeugwelt hingegen sehr genau belegen. Grund ist nicht nur die technische Entwicklung und der wirtschaftliche Aufschwung, sondern auch die Tatsache, dass Geschlecht ins Wanken geriet. Frauen- und Homosexuellenrechte wurden erstritten und verhandelt, Frauen drängten auf den „männlichen“ Arbeitsmarkt vor und brachten Unordnung in bisher klare Verhältnisse. Den erschrockenen „Backlash“ (Rückschlag) der Gesellschaft erkennt man ab den 1980er Jahren an einem Konsumverhalten, dass wieder Prinzessinnen und Prinzen fordert. Besonders eindrucksvoll veranschaulicht das die Firma Lego. In den 60er und 70er Jahren wurden Kinder von Lego noch als einheitliche Zielgruppe angesprochen.
Jungen wie Mädchen präsentierten da stolz ihre Flugzeugbauten oder Eigenkonstruktionen. Das veränderte sich in den 80er Jahren hin zu der Überzeugung, der technische Aspekt von Lego müsse in die Erlebnis- und Erfahrungswelt von Jungen und Männern verschoben werden.
Ab den 90er Jahren hielt das Gender Marketing Einzug. Also der Versuch, Marketingstrategien gezielt auf die stereotypen Zuschreibungen an Männer und Frauen bzw. Jungen und Mädchen zuzuschneiden. Spätestens ab 2012 wurde es ernst.
Für Lego bedeutet das, Jungen als zupackende, technikinteressierte Draufgänger zu zeigen und Mädchen als zarte, an Verschönerung, Pflege und Haushaltstätigkeiten interessierte Modelanwärterinnen.
Bis zu dem Punkt, wo sich Lego 2018 in Techniksachen nur noch glaubt, Männer ansprechen zu müssen.
Und zwar sexistisch. Er ist gut bestückt, sie ist kompliziert. Lego zeigt so, wie man der Versuchung erliegt, Menschen durch geschlechtsspezifische Ansprache an Produkte zu binden und damit mehr Umsatz zu generieren. Und darin zu weit geht.
Spielzeug wird trotzdem noch eine ganze Weile geschlechtsspezifisch produziert, vermarktet und in rosa und hellblaue Ecken gestellt werden. Die Versuchung ist einfach zu groß, „Ordnung“ in die Gesellschaft zu bringen und dabei Geld zu verdienen. Aber die Entwicklung hin zu mehr Diversität ist erkennbar: Selbst das Traditionsunternehmen Käthe Kruse bringt neuerdings Jungspuppen heraus. Diese Entwicklung lässt sich hoffentlich nicht mehr aufhalten.