Warum heißt Feminismus nicht Humanismus?

„Tja, aber wenn Feminismus echt für alle ist und nicht nur für Frauen – wieso heißt es dann nicht Humanismus, hm?“

Leute, die diesen Satz sagen, grinsen meist selbstgefällig. Erstens, weil sie das Wort „Humanismus“ kennen. Zweitens, weil sie glauben, sie hätten eine entscheidende Schwachstelle entdeckt. So ein bisschen wie im Sandkasten. Nänänä! Erwischt!

Aber es ist natürlich nicht so einfach, wie sie es gern hätten. Um den Unterschied zu verstehen, hier ein paar Erklärungen.  

Es beginnt mit der Sprache. In dem Wort Feminismus steckt das Wort „Femina“. Das ist Lateinisch für Frau. Die Endung -ismus macht daraus ein Hauptwort und ist sprachlich gesehen ein Hinweis auf eine Theorie, eine Praxis, eine geistige Strömung, ein System. So wie Idealismus, Patriotismus, Pazifismus, Sozialismus… Alles ismus!  

Rein sprachlich gesehen ist Feminismus – sehr vereinfacht gesagt – also die Angelegenheit der Frau. Beim Humanismus geht es demnach logischerweise – rein sprachlich gesehen – um den Menschen. So weit, so klar. 

Aber Sprache ist nun mal viel mehr als Worte. Sprache hat Bedeutung. Manchmal auch mehrere Bedeutungen, die sich je nach Zusammenhang unterscheiden. Das bringt uns zu dem, was jeweils hinter Feminismus und Humanismus steckt – und warum man beides eben nicht ohne weiteres austauschen kann.  

Was bedeutet hier was?

Die Bedeutung des Begriffes Feminismus bezieht sich nicht nur auf Frauen. Sie ist größer als das reine Wort.  

Das Oxford English Dictionary (OED) definiert Feminismus als das „Eintreten für die Gleichstellung der Geschlechter und die Durchsetzung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte des weiblichen Geschlechts; die damit verbundene Bewegung“. Die erste Erwähnung des Wortes Feminismus gab’s laut OED im Jahr 1895. Das war die Zeit, in der die erste Welle des Feminismus – vorangetrieben von den Suffragetten – immer größer und drängender wurde.  

Humanismus hingegen ist eine intellektuelle Strömung, die im spätmittelalterlichen Europa entstanden ist und sich aufs antike Rom und Griechenland beruft. Es ist eine philosophische Strömung, die sich damals von der Religion als einzige Welterklärung weg- und zu einer klassischen Bildung hinbewegt hat. Deshalb war Humanismus ein wichtiger Baustein für die Aufklärung. 

Außerdem ist Humanismus laut OED auch ein „Gedankensystem, das den Menschen oder die Menschheit als Ganzes in den Mittelpunkt stellt“ und „ein System, das sich in erster Linie mit den Interessen und dem Wohlergehen des Menschen befasst“. Der Mensch steht also im Mittelpunkt. Wie hier Leonardo da Vincis vitruvianischer Mann: 

„Vitruvian Man by Leonardo da Vinci“ – Paris Orlando/Wikimedia Commons

Doch genau hier liegt das Problem. Was fällt bei Leonardos Zeichnung auf? Richtig: Es ist ein Mann.  

Der Humanismus stellt zwar den Menschen in den Mittelpunkt. Aber dieser Mensch wird in einer patriarchalen Gesellschaft ganz selbstverständlich als Mann identifiziert: generisches Maskulinum in a man’s world. 

Bestimmt war es um 1490 fein und fortschrittlich, den Menschen ins Zentrum zu stellen und nicht mehr Gott – aber „der Mensch“ lässt sich eben nicht bloß mit „der Mann“ übersetzen und alle anderen sind halt mitgemeint. Das ist mindestens verallgemeinernd und mutwillig ignorant. 

Denn es gibt in einer patriarchalen Gesellschaft nun mal leider (menschengemachte) Unterschiede zwischen Menschen, die sich in Ungerechtigkeiten und in Diskriminierung ausdrücken. Und genau das berücksichtigt der Humanismus nicht genug.  

Der Feminismus kämpft für Veränderung im Heute

Das Patriarchat – also wörtlich die „Väterherrschaft“ – sieht alle als unterlegen, die eben keine „Väter“ sind, also – vorzugsweise – weiße Männer mit Macht. In der Hierarchie der Unterlegenen gibt es in diesem schädlichen System auch noch Abstufungen. Aber ganz oben steht immer unangefochten der weiße, heterosexuelle Mann. Die ganze Welt wird binär in männlich und weiblich eingeteilt, mit fest vorgeschriebenen akzeptablen Verhaltensweisen. Alles andere – alles Feminine, Nicht-maskuline, Nicht-heteronormative, nicht-Binäre – wird abgewertet und unterdrückt. Das betrifft alle Geschlechter und schränkt auch Männer ein. 

Genau das erkennt der Feminismus und kämpft aktiv dagegen. Feminismus will etwas verändern. Er ist mehr als ein Konzept oder eine Philosophie. Er ist eine gesellschaftliche und politische Bewegung. Und zwar eine, die nach Chancengleichheit für alle strebt und auf sozialem Engagement und aktivem Handeln basiert. Feminismus zeigt, wo das humanistische Ideal zu kurz greift; er guckt sich Machtverhältnisse und diskriminierende Strukturen an – und macht sich dann daran, sie zu verändern. 

Der Humanismus sagt in der Theorie, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Aber er hilft leider kein Stück weiter, wenn sie dann doch angetastet wird – und Menschen diskriminiert, unterdrückt und ausgebeutet werden. Wie jeden Tag, überall in der Welt.  

Als Dialog könnte das ungefähr so aussehen: 

Humanismus: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ 

Feminismus: „Nice. Ja, aber hier – was ist zum Beispiel mit Frauen, trans Personen, nicht-binären Menschen, BIPoC? Was machen wir denn da? Hier, zum Bei-…“ 

Humanismus: „DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR!!“ 

Feminismus: „Äh, okay, cool. Cooles Konzept. Aber hast du mir grad zugehört? Wir brau-…“ 

Humanismus: „Ich muss los, ich hab’ noch Wurst im Auto.“ 

Feminismus: „—“

Ideal und Handlung – Humanismus und Feminismus

Früher war der Begriff Feminismus wichtig, weil er zum ersten Mal die weit verbreitete, im System verankerte Unterdrückung des weiblichen Geschlechts in einem Gefäß gesammelt und dadurch sichtbar gemacht hat. Mit der klaren Benennung wuchs die Bewegung.  

Heute ist der Begriff Feminismus dynamisch definiert und wandelt sich. Es wird anhaltend und leidenschaftlich diskutiert, was Feminismus im 21. Jahrhundert bedeutet und welche Ziele er hat. Doch es geht im Feminismus NICHT um eine Herrschaft der Frauen bzw. Mütter – also ums Matriarchat. Es geht um Gleichberechtigung: nicht mehr, sondern endlich mal genau gleich viel Rechte. Dabei schließt der Feminismus alle Geschlechter ein. Darunter auch Männer. Zum Beispiel, wenn sie nicht dem patriarchalen Ideal des starken, gefühlsarmen, heterosexuellen, mächtigen Machers entsprechen können oder wollen. 

Humanismus und Feminismus schließen sich keinesfalls aus. Sie sind aber auch nicht austauschbar. Der Humanismus ist das Ideal, der Feminismus die Handlung. Wenn wir eine gerechtere Welt für alle Menschen wollen, dann reicht der Humanismus als hübsches Konzept nicht. Wir brauchen Aktionen. Kampagnen. Pläne. Protest. Mut.  

Solange wir einer unterdrückenden und diskriminierenden patriarchalen Gesellschaft leben und die Würde etlicher Menschen täglich nicht nur angetastet, sondern regelrecht begrapscht wird, brauchen wir Feminismus. Für alle. 

Hier könnt ihr unser Video zum Thema sehen:

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Links und Infos

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.

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Bildquelle: Drazen Zigic