Warum ich meinen Kindern beibringe, dass sexualisierte Gewalt NICHT ok ist

In den letzten Wochen und Monaten haben wir viel über sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung geschrieben. Genauer gesagt: Schreiben müssen. Wir hätten natürlich auch versuchen können, die rassistische Vereinnahmung der Kölner Silvesternacht zu ignorieren oder die zahlreichen Fälle, in denen in der Presse bei Anschuldigungen bezüglich sexualisierter Gewalt das mutmaßliche Opfer demontiert und beschuldigt, zu übersehen, aber dann wäre das hier ein anderer Verein. Uns und anderen geht es nicht darum, mal eben die Unschuldsvermutung abzuschaffen, sondern darum mit welcher Selbstverständlichkeit eine mögliche Gewalterfahrung von Frauen angezweifelt und lächerlich gemacht wird. Selbst wenn jemand wegen sexueller Nötigung verurteilt wird und in seinem Haus unter anderem K.-o.-Tropfen gefunden werden, ist es die Verurteilung, nicht die Tat, die seine einflußreichen Freunde entsetzt.

https://twitter.com/SibylleBerg/status/744494607837298688

Weil „zurückgewiesene Damen heimtückischen Tellerminen gleichen“. Weil sexualisierte Gewalt nicht etwa in allen Schichten und vor allem im sozialen Nahbereich vorkommt, sondern nur durch Fremde™ ausgeübt wird. Und natürlich weil richtig nette Männer so etwas ja nicht tun und sich deshalb auch weigern sollten, an einem Training zur besseren Kommunikation über Einvernehmlichkeit teilzunehmen.

Gerade das letzte „Argument“ kommt immer wieder. Jüngst in Form des Textes einer Frau, die darüber sinniert, warum sie ihren (fiktiven) Söhnen nicht beibringen wird, keine Vergewaltiger zu sein (Auf Continue klicken). Stattdessen möchte sie ihnen Manieren und Mitgefühl vermitteln – jemanden nicht zu vergewaltigen ergäbe sich daraus ganz von selbst. Obwohl ich zu verstehen glaube, dass es die Autorin nur gut meint, macht mich dieser Text fassungslos und wütend. Oberflächlich betrachtet mag das eine nette Idee sein: Positives Verhalten vorzuleben und einzufordern, damit negatives erst gar nicht stattfindet. Das reicht aber nicht. Und deshalb ist es unter der Oberfläche ein Faustschlag ins Gesicht aller Opfer von sexualisierter Gewalt. Der Text tut so, als gäbe es keine Täter, von denen alle sagen, „dass sie doch immer so anständig waren“. Keine guten Nachbarn, vorbildlichen Mitarbeiter und verläßlichen Freunde. Keine mitfühlenden Beichtväter, klugen Lehrer und liebevollen Onkel. Keinen bewunderten Star.

Sexualisierte Gewalt ist so normalisiert und allgegenwärtig, dass Mädchen sie als legitimen Bestandteil ihres Alltags begreifen, den sie irgendwie auf sich gebracht hätten und mit dem daher fertig werden müssten. Weil sie wissen, dass man sie dafür bestrafen wird, Opfer sexualisierter Gewalt geworden zu sein und diese Tatsache zu benennen.

In einer Welt, in der permanent laut darüber nachgedacht wird, ob sexualisierte Gewalt wirklich immer und unter allen Umständen so unanständig ist, reicht ein „Benehmt euch anständig!“ leider nicht. Dazu ist sie viel zu naheliegend. Deshalb bringe ich meinen Kindern- nicht nur den Söhnen – bei, dass sexualisierte Gewalt niemals in Ordnung ist. Ausnahmslos!

Niemand hat das Recht, sie gegen ihren Willen anzufassen, und niemals haben sie das Recht, andere gegen deren Willen anzufassen.

„Was ist, wenn sie vor ein Auto rennen – zerrst du sie dann nicht zurück? Was ist, wenn sie geschlagen oder gar entführt werden – sollten sie sich dann nicht zur Wehr setzen können?“ Das sind so die Fragen, die mir gestellt werden, wenn ich erzähle, dass obige Regel eine der zentralsten in unserer Familie ist. Doch, mache ich. Doch, sollten sie.
Aber wieso beschäftigen wir uns eigentlich mehr mit den möglichen Unannehmlichkeiten und Reibungsflächen, die klare Regeln zum Schutz von sexueller Selbstbestimmung und körperlicher Unversehrtheit aufwerfen könnten, als mit den furchtbaren Folgen, die ein Fehlen solcher Regeln hat? Warum ist es wichtiger, dass Oma allen Kindern einen Abschiedskuss geben möchte, als Kindern beizubringen, dass niemand sie gegen ihren Willen küssen darf? Warum wundern wir uns darüber, dass Menschen sich Vertrauen und Intimität von unseren Kindern erschleichen oder erpressen können, wenn wir ihre Selbstbestimmung für verhandelbar erklären? Warum halten wir sexualisierte Gewalt für so abwegig, wenn sie insbesondere Frauen jeden Tag angetan wird?

Und wieso scheint uns die sexualisierte Gewalt in unserer Mitte so viel weniger eine Zumutung zu sein als das Benennen einer (möglichen) Tat und das Beharren auf sexueller Selbstbestimmung?