Text: Alexandra Stanić
TW: Queerfeindlichkeit
Achtung, es wird gleich ein wenig ungemütlich. Da müsst ihr jetzt durch – alles im Namen einer gerechteren Zukunft für alle.
Im Juni glauben wieder Tausende von straighten Menschen, dass sie sich mit Gin Tonic in der Hand und Glitzer im Gesicht für eine gerechtere Welt einsetzen. All den Regenbogenfahnen in Schaufenstern und Instagram-Bios zum Trotz, blicke ich mit großer Sorge in die Zukunft. Schuld daran ist auch die Ignoranz von straighten Personen.
Ich habe nichts gegen cis-heterosexuelle Menschen, manche meiner besten Friends sind straight. Lest ihr diesen Satz mit sarkastischem Unterton? So ist er nämlich gemeint. Es ist bezeichnend, dass ich mich vor berechtigter Kritik dazu genötigt sehe, das klarzustellen. Denn kaum kritisiere ich, dass es für queere Personen in einer cis-heteronormativen Gesellschaft keinen Safe Space gibt, heißt es, ich übertreibe. Dabei ist noch nicht einmal die Pride-Parade ein sicherer Ort. Davon berichten gerade trans* Menschen und Menschen mit Behinderung, Schwarze Personen, People of Color und indigene Menschen (BPoC) seit vielen Jahren. Mehrfach Marginalisierte sind nie sicher, sie werden auch auf der Pride diskriminiert, beleidigt und ohne Konsens angefasst.
Pride Month: Seid Teil der Bewegung und nicht Teilnehmende
Die meisten Menschen beschäftigen sich erst dann mit gesellschaftlichen Missständen, wenn sie selbst betroffen sind. Das sollte nicht so sein. Ich wünsche mir Anteilnahme und Solidarität – auch ohne Betroffenheit. Bevor cis-heterosexuelle Menschen auf den CSD gehen, muss ich ein paar Dinge klarstellen. CSD steht für Christopher Street Day und ist ein treffender Begriff für die Pride-Parade. CSD soll an den Widerstand von queeren Personen gegen die Polizei erinnern. Unter diesem Stern muss der gesamte Pride Month stehen, sonst werden wir den queeren Ikonen und Stonewall-Heldinnen Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera nicht gerecht.
Auch wenn die LGBTIQA*-Community in den letzten Jahren mehr Sichtbarkeit und Repräsentation gewonnen hat, sprechen die Zahlen in erschreckender Deutlichkeit für sich. 2022 wurden in Deutschland mehr als doppelt so viele Angriffe gegen queere Personen verzeichnet als im Vorjahr, berichtet der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG). 2022 war auch das Jahr, in dem trans* Mann Malte beim CSD in Münster bei einem queerfeindlichen Angriff getötet wurde. Mit der steigenden Zahl der Angriffe ist Deutschland nicht alleine: In einer EU-weiter Studie aus dem Jahr 2020 gaben 43 Prozent der 100.000 Befragten an, aufgrund ihrer Queerness diskriminiert oder belästigt worden zu sein.
Mein Maßstab? Ich selbst und nicht die Mehrheitsgesellschaft
Wen wir lieben, wie wir lieben, warum wir lieben, beeinflusst die Mehrheitsgesellschaft. So kommt es auch, dass ich erst mit 25 begriff, dass ich queer bin. Es dauerte noch fünf Jahre, bis ich all meinen Mut zusammennahm und mich öffentlich outete. Wer in unserer cis-heteronormativen Welt in irgendeiner Form aus der Norm fällt, muss mit Isolation und Ablehnung rechnen. Queere Menschen schämen sich für ihre Sexualität, weil wir von Anfang an lernen, dass wir uns dafür schämen müssen. Wenn uns unser soziales Umfeld diese Message nicht klar weitervermittelt, sorgt die Gesellschaft dafür, dass wir Scham und Schuld empfinden.
Aber die in die Wiege gelegten Werte, mit denen wir aufwachsen, schränken uns alle in unserem Sein ein – nicht nur queere Personen. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, stelle ich mir vor, was für eine Welt das wäre, in der Frauen nicht mit der Vorstellung groß werden, dass ihr einzig wahrer Traum »Haus-Mann-Kind« heißt.
In meiner feministischen Bewusstseinsschaffung ging und geht es ständig um die Frage: Was will ich wirklich und was wurde mir eingeredet? Nach und nach verstand ich, dass mich gesellschaftliche Regeln unglücklich machen. Also legte ich sie ab. Zuerst wurde ich alle BHs los – ich mochte sie nie und ich brauche sie auch nicht. Dann hörte ich auf, meine Achseln zu rasieren. Dann folgten die Beine. Ich hörte auf, mit Friends abzuhängen, die »schwul« als Beleidigung verwendeten. Ich lernte, was ich wirklich wollte – losgelöst von patriarchalen und heteronormativen Erwartungen. Dazu gehörten auch meine zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Maßstab war plötzlich nicht die Mehrheitsgesellschaft, sondern ich allein. Feminismus half mir dabei, strukturelle Benachteiligung zu erkennen und dementsprechend Grenzen zu setzen. Ich ahnte damals noch nicht, dass der wichtigste Meilenstein in meiner Emanzipation mein Coming Out sein würde. Denn damit kam auch die endgültige Einsicht, dass ich mich nie wieder nach den Werten und Vorstellungen anderer richten möchte.
Warum der Pride Month für eine freiere Welt für alle kämpft
Keine Sorge, ich will niemanden dazu »überreden«, queer zu sein – außer du sprichst die ganze Zeit von deinem »Girl Crush« und schaust am liebsten Frauenpornos. Dann würde ich vielleicht zur Selbstreflexion anregen. Mir geht es um Folgendes: Queerness macht es straighten Personen leichter, sie selbst zu sein. Dafür müssen sie nur an ihrer Wahrnehmung arbeiten. Wir kämpfen nicht nur für eine freiere Welt für uns, sondern auch für alle anderen.
Denn straighte Personen leiden sehr wohl auch unter der vorherrschenden Idee von Identität, Sexualität und Liebe. Möge sie diese Tatsache dazu bringen, unangenehme, aber notwendige Gespräche mit Verwandten zu führen, wenn sie wieder davon reden, dass Queerness »doch Privatsache ist«. Wenn dein Onkel Gerhard am Mittagstisch so etwas sagt, ist er einen Steinwurf davon entfernt, eine Frau für ihr aktives Sexleben zu verurteilen. Slutshaming und die Forderung, Queerness zu verstecken, liegen als gesellschaftliche Missstände nahe beieinander.
Pride – Bitte mehr Protest als Party
Ich persönlich habe eine ohnehin komplizierte Beziehung zur Pride-Parade. Ich besuchte sie vor meinem Coming Out ein Mal. Ich blieb ihr nicht fern, weil mir die Rechte der LGBTIQA*- Community egal waren, sondern weil ich schon damals nicht der Meinung war, dass ich als Ally die Rolle der Partymaus hatte. Ich konnte nur wenig mit der Idee anfangen, dass sich Tausende Menschen betrinken und mit Glamour-Outfits für »Gerechtigkeit kämpfen«. Ich verstand auch vor meinem Coming Out, dass die Pride weniger Party und mehr Protest sein sollte. Vielleicht liegt es an meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, vielleicht an der feministischen Literatur, zu der ich mir Anfang 20 Zugang verschaffte, vielleicht an der Tatsache, dass ich keinen Alkohol konsumiere und schnell genervt bin von sehr betrunkenen Menschen.
Mit meinem Coming Out änderte sich meine Erwartungshaltung. Die Pride-Parade sollte der Ort werden, an dem ich ganz ich selbst sein konnte. 2023 war es so weit, aber
mein Versuch scheiterte noch, bevor ich es auf die Pride schaffte. Ich litt unter meinem Körperbild und wusste, dass mich die Blicke auf dem Weg zur Pride überfordern würden. Ich musste mich überwinden, aber ich schaffte es, meinem verweinten Gesicht zum Trotz, doch noch hin. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl, dachte, ich sei nicht »queer genug”. Das schreibt sich ein Jahr später so traurig, aber die Pride ist für mich nur eine Erinnerung, dass ich damals wie heute noch immer Angst vor Ausgrenzung habe. Außerdem bleibt Wien auch im Juni konservativ, einmal um die Ecke biegen und schon rümpft sich ein altes Ehepaar mit polierten Schuhen und überheblichem Blick im Gesicht die Nase wegen deiner kurzen Shorts. Ich fühlte mich nach der misslungenen Parade miserabel. Fast mehr als die Tatsache, dass straighte Personen nicht verstehen, dass ihnen cis-heteronormative Werte auch schaden, schmerzt es mich, wenn selbsternannte Allys mit dem ersten Juli darauf vergessen, dass sie für die Rechte und die Sicherheit von queeren Personen kämpfen müssen.
Alle zusammen gegen ein starres Weltbild, das uns allen schadet
Oft heißt es, dass straighte Personen auch keine Parade haben. Brauchen sie nicht, unser aller Alltag ist ihre Parade. Alles ist cis-heteronormativ gedrillt. Gerade deswegen ist der Pride Month so wichtig. Aber in Regenbogenfarben bei der Parade aufzutauchen, reicht nicht. Für straighte Personen ist dort nur dann Platz, wenn sie auch den Rest des Jahres gegen Ungerechtigkeit kämpfen. Ja, ihr könnt auf die Pride und euch und eure queeren Friends feiern. Aber die Idee hinter Pride ist nicht, dass ihr an jedem anderen Tag patriarchale und cis-heteronormative Werte reproduziert. Ich bin mir selbstverständlich darüber im Klaren, dass wir individuell gesehen nur begrenzte Möglichkeiten haben, die vorgegebenen Strukturen aufzubrechen. Ich weiß, dass allen voran FLINTA* den Großteil der unbezahlten und unsichtbaren Care Arbeit erledigen – nicht, weil sie wollen oder weil »das biologisch so ist«, sondern weil sie in starre Geschlechterrollen gedrängt wurden oder finanziell abhängig sind. FLINTA* ist ein Akronym, welches für Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen steht. Hier braucht es politische Maßnahmen, die die Dringlichkeit dieser Misslage anerkennen. Aber Verantwortungstragende denken so heteronormativ, dass es ihnen noch nicht einmal in den Sinn kommen würde, dass ihnen eine queere Perspektive auf Familienkonstellationen oder Care Arbeit helfen könnte, gerechtere Bedingungen für alle zu schaffen. Queere Personen werden noch nicht einmal im Grundgesetz vor Diskriminierung geschützt.
Der Ursprung der Pride liegt im Widerstand und Widerstand müssen wir alle – im Kleinen wie im Großen – leisten. Ich verlange von straighten Allys nicht nur, dass sie ihre Rolle beim CSD reflektieren. Ich fordere auch, dass sie sich gegen das patriarchale, konservative und cis-heteronormative Weltbild wehren, das ihnen in ihrem Alltag begegnet. Nicht zuletzt liegt der Großteil der Verantwortung aber auch in den Händen der Politik: Würde die einen queeren Blick auf gesellschaftliche Missstände werfen, wäre uns allen schon sehr geholfen.
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Bildquelle: T Hunter