Was an #FridaysforFuture rückwärts läuft

Ich bin eine links-grün versiffte Bildungsmutti und wie eine solche feiere ich seit Wochen Greta Thunberg. Wie andere stifte ich meine Kinder an, freitags Schule zu schwänzen und mit ihr gegen die lahme Politik zu protestieren, die ihre Zukunft aufs Spiel setzt. Greta ist ein Vorbild und wir wünschen uns eine Welt voll von Jugendlichen, die so engagiert sind wie sie.

Seit einigen Tagen jedoch fühle ich Unbehagen an den Freitagsdemos im Bauch.
In der Schule meiner Tochter stehen die ersten Schulabschlüsse nach der 9. Klasse an. Ich weiß, dass es für einige Kids an ihrer Schule knapp aussieht. Meine Tochter und viele andere, die es sich schulisch locker leisten können, freitags zu schwänzen, müssen an den heute „ESA“-genannten-Examen nicht einmal teilnehmen – es ist schon jetzt klar, dass sie die Oberstufe besuchen werden.
Wer also hat Teilhabe an den Demonstrationen und zu welchen Konditionen? Es sind leider „sozial schwache“ und in der Mehrheit Kinder mit Migrationshintergrund, die am meisten riskieren, wenn sie die Schule schwänzen: Ihre Teilhabe an guten beruflichen Chancen, vielleicht an einer politischen Repräsentanz eines Tages. Die Kids, die auf den Demos das Wort haben – wie die hochbegabte Greta – steht schon jetzt eine politische Karriere offen. Viele sichtbare Jugendliche dieser Demonstrationen sind in akademisierten weißen Elternhäusern groß geworden. Sie können der Presse vermitteln, warum sie tun, was sie tun, und das ist wichtig. In ihren Schulen könnte jedoch jenen, die das nicht können, das Gefühl vermittelt werden, „nicht mitzumachen“, nicht cool zu sein. Sie werden unter Druck gesetzt, mehr aufs Spiel zu setzen als andere. Der Druck ist nicht direkt aber impliziert. „Gehst du auch streiken?“ „Nein, das riskiert meinen Abschluss…aber danke, dass du für mich gehst!“ Ist das okay so? Fühlt sich das gut an?
Der Druck ist sogar sichtbar:

Ich kritisiere ausdrücklich nicht Greta Thunberg oder jene, die auf die Demos gehen. Mit ihrem Streik passiert genau das, was passieren sollte: Ich bin stinkwütend. Ich frage mich, warum das jetzt wieder an denen hängen bleiben soll, die am wenigsten privilegiert sind. Und möchte alle Umwelt-Nichtregierungsorganisationen, die von diesen Streiks profitieren, aufrufen, genau hinzuschauen, was sie da unterstützen.

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Denn es ginge doch auch anders. Ihre und unser aller Erfahrungen in Kampagnenplanung und -strategie müsste doch jetzt in rauen Mengen an diese Kids herangetragen werden, um diesen Protest intersektionaler zu gestalten, so dass jede und jeder gleichwertig laut werden kann. An Samstagen Massen-Flashmobs an Verkehrsknotenpunkten der Innenstädte, die Wirtschaft durch Blockaden lahmlegen. Wirklichen Druck auf die Wirtschaft ausüben durch gezielte Boykotte und laute Kampagnen dazu. Wir würden natürlich plädieren, GNTM auszuschalten, weil dort wie doof durch die Gegend geflogen und massenhaft unnötige Produkte (Autos! Benziner!) verkauft werden. Eine Webseite, auf denen diese Tipps gesammelt, verbreitet und beworben werden – so dass die Wirtschaft wirklich Angst kriegen muss vor der neuen Generation und die Politik agiert.

Vielleicht ist das genau so naiv wie der jugendliche Protest. Es fühlt sich jedoch machbarer und inklusiver an. Es ist DEREN Protest und sollte in ihren Händen bleiben. Ich spreche hier nur aus dem Off, wie die alten Männer in der Muppet-Show. Es wäre aber nicht zu viel verlangt, wo wir das alles nun schon mal verbockt haben, dass wir aus der Zuschauerloge herabsteigen und den Jugendlichen bei einer Kampagnenplanung helfen, die ihren Protest lauter, vielfältiger, fairer und inklusiver machen kann. Kinder, nehmt uns alten Säcke ruhig in die Pflicht: Wir sind es euch schuldig.