Ein Extra-Sitz für die Hoden? Vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln sitzen Männer gern mal mit gespreizter Beinhaltung und nehmen dadurch mehr als einen Platz ein. Das nennt sich „Manspreading“ – eine Zusammensetzung aus den englischen Wörtern Man (Mann) und spreading (spreizen).
2014 gab’s eine Kampagne dagegen in der New Yorker U-Bahn. Seit 2015 steht der Begriff im Oxford English Dictionary. Und in Madrid ist Manspreading seit 2017 sogar bei Strafe verboten. Doch eigentlich ist das Problem so alt wie öffentliche Verkehrsmittel. „Sitzen Sie mit geraden Beinen und halten Sie sie nicht in einem Winkel von 45 Grad, womit sie den Platz von zwei Personen beanspruchen würden“, schrieb die Londoner „Times“ schon 1836 in einem Artikel über Benehmen im Bus, wie Autor Clive D.W. Feather in seinem Buch The History of the Bakerloo Line schreibt.
Nicht nur ein Platzproblem
Manspreading ist aber nicht nur ein Platzproblem. Es zeigt zusätzlich zur Rücksichtslosigkeit ein Dominanzgehabe, das sich in der Öffentlichkeit so nur cis Männer rausnehmen können. Dazu zählt auch, dass Männer auf der Straße seltener ausweichen oder Platz machen. Oder dass sie im Sommer gedankenlos oben ohne rumlaufen (können). Oder einfach irgendwo hin pinkeln. Keine Frage: Im Patriarchat gehört der öffentliche Raum den Männern. Frauen, trans Personen und nicht-binäre Menschen nehmen viel weniger Platz ein.
Damit gehört Manspreading klar zur Körpersprache des Patriarchats. Das zeigt zum Beispiel die Arbeit der feministischen Fotografin Marianne Wex. In ihrem Buch „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse von 1979 stellt sie knapp 5.000 Fotos mit der Körpersprache von Männern und Frauen gegenüber und zeigt, wie sich ungleiche Geschlechterverhältnisse darin ausdrücken.
Schon im Kindergarten lernen Kinder auch heute noch, dass ihre Körperhaltungen mit ihrem Geschlecht verknüpft sind. Mädchen lernen durch Rückmeldungen, dass sie – im Vergleich zu Jungs – ihre Bewegungsbedürfnisse unterdrücken können, heißt es in einer Studie zu Bewegungssozialisation. Und weiter: „Sie wissen zwar, dass sie kämpfen und wild sein dürfen; sie wissen aber auch, dass diese Bewegungsmuster eigentlich für Jungen und nicht für Mädchen typisch sind.“
Umlernen mit Hosen und Hocker?
Manspreading hat also weder mit massiven Hoden noch mit zu breiten Schultern oder Hüftproblemen zu tun – es ist eine gelernte Haltung, die Männlichkeit und Überlegenheit signalisiert. Gute Nachrichten, denn Gelerntes lässt sich ja bekanntlich umlernen!
Manspreading hat weder mit massiven Hoden noch mit zu breiten Schultern oder Hüftproblemen zu tun – es ist eine gelernte Haltung.
Schule gegen Sexismus
Dabei könnten eventuell die Hosen der Berliner Studentinnen Elena Buscaino und Mina Bonakdar nützlich sein. Mit ihrem „Riot Pant Project“ machen sie darauf aufmerksam, dass Männer mehr Raum beanspruchen als Frauen. Im Schritt ihrer Hosen stehen Sätze wie „Stop Spreading“ oder „Give Us Space“. Zielgruppe: cis Männer in Bus und Bahn.
Vielleicht hilft aber auch der Anti-Manspreading-Stuhl von Laila Laurel von der University of Brighton. Sie hat zwei Stühle produziert: Einen für Menschen, die sich als Frau identifizieren – sie sollen durch das Design ermutigt werden, mehr Platz einzunehmen; und einen für männliche Personen, die weniger Platz einnehmen und mit geschlossenen Beinen sitzen sollen. Gutes Training!
Im Grunde braucht es aber eigentlich nur Rücksicht, Respekt und eine Prise ehrliches Verständnis. Anders gesagt: Solange die Hoden keine eigene Fahrkarte haben, gibt’s auch keinen Extra-Sitz.
Hier kannst du dir unser Video ansehen. Vielen Dank an Yma Louisa Nowak für den Gastauftritt in unserem Video!
Weiterführende Links und Infos:
Buch von Clive Feather: The History of the Bakerloo Line
Buch von Marianne Wex: „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse
Projekt von Prof. Dr. Renate Zimmer: Geschlechtsspezifische Körper- und Bewegungssozialisation in der frühen Kindheit
Artikel der taz: Phänomen Manspreading. Beine breit.
Mehr zum Anti-Manspreading-Stuhl: https://www.jetzt.de/gender/preis-fuer-das-design-eines-anti-manspreading-stuhls
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen. Ebenso verhält es sich in den meisten Fällen mit Jungen und Männern.
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