Was kann man gegen Sexismus am Arbeitsplatz tun?

In unserem Leserin-Brief zu Sexismus am Arbeitsplatz, den wir letzte Woche veröffentlicht haben, hat uns eine Spenderin von Vorfällen an ihrem Arbeitsplatz berichtet. Zu diesem Leserin-Brief hat der Bonner Rechtsanwalt Peter Weiss für Pinkstinks im Artikel bereits individuell Stellung bezogen. Was aber ist mit allgemeineren Fällen? Was kann jede Person tun, die am Arbeitsplatz Sexismus erfährt und diskriminiert wird?

Einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2015 zufolge wurde die Hälfte der dort befragten Personen am Arbeitsplatz schon einmal sexuell belästigt. Mehr als 80 Prozent der Befragten wussten zum Beispiel aber nicht, dass es zur verpflichtenden Aufgabe der Arbeitgeber*innen gehört, ihre Beschäftigten aktiv vor sexueller Belästigung zu schützen.

Wir haben mit dem Bonner Rechtsanwalt und Dozenten Peter Weiss darüber gesprochen, was Betroffene tun können – und was Firmen unternehmen müssen:

Pinkstinks: Herr Weiss, Sie sind Rechtsanwalt und Dozent – unter anderem mit Schwerpunkt auf Arbeitsrecht, worunter auch arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz fällt. Sind sexuelle Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz eigentlich das gleiche?

Peter Weiss: Jein – es gibt einen Unterschied zwischen sexueller Belästigung und der Diskriminierung durch Benachteiligung aufgrund des Geschlechts am Arbeitsplatz. Das wird allerdings oft miteinander vermischt. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz – dem AGG – heißt es in §1: Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Benachteiligen kann man einen Menschen aufgrund des Geschlechts auf ganz verschiedene Weisen. Das bekannteste Beispiel ist die Lohndiskriminierung, also der Sachverhalt, dass Frauen nur aufgrund ihres Geschlechts weniger Gehalt bekommen als Männer – selbst bei identischen oder gleichwertigen Tätigkeiten und bei ein und derselben Arbeitgeberin.
Ebenso bekannt ist die Benachteiligung von Teilzeitkräften, was ebenfalls mehr Frauen als Männer betrifft. Solche bezeichnet man als „mittelbare Diskriminierung“ (siehe §3 Abs. 2 AGG) wegen des Geschlechts, weil 80% der Teilzeitbeschäftigten weiblich sind. Das gilt auch, wenn eine Frau zum Beispiel nicht befördert wird, weil sie schwanger ist.
Diese Benachteiligungen werden in einigen Fällen vom Arbeitgeber allerdings durch andere Gründe zu rechtfertigen versucht. Zum Beispiel indem er sagt, die Arbeit der Mitarbeiterin sei nicht so schwer wie die ihres Kollegen oder der Kollege trüge mehr Verantwortung. Das ist oft schwer nachweisbar, aber es gibt Fälle, in denen die Rechtfertigungsversuche des Arbeitgebers den Vorgaben der Diskriminierungsverbote des AGG nicht standhalten.

Pinkstinks: Und was ist mit Belästigungen und Sexismus am Arbeitsplatz?

Peter Weiss: Belästigungen kennen keinen Rechtfertigungsgrund – sie sind also unter keinen Umständen erlaubt. Man kann zwischen sexuellen Belästigungen und Belästigungen aufgrund des Geschlechts unterscheiden, wobei die Grenzen fließend sind. Ein Vorgesetzter, der zum Beispiel kurze Filme ausschließlich an Kolleginnen schickt, in denen Frauen als „zu dumm zum Arbeiten“ dargestellt werden, belästigt seine Kolleginnen aufgrund ihres Geschlechts. Darunter fallen auch sexistische Witze. Legt der Vorgesetzte der Kollegin ungefragt immer wieder die Hand auf die Schulter, fällt auch das unter sexuelle Belästigung. So hat das jedenfalls immerhin ein Oberlandesgericht (OLG) entschieden, das OLG Düsseldorf. Nennt er sie „Mäuschen“ und nimmt er sie aufgrund ihres Geschlechts nicht ernst, kann das unter sexuelle Belästigung und unter Belästigung aufgrund des Geschlechts fallen.

Pinkstinks: Eine Person fühlt sich durch so ein Verhalten oder durch Sprüche von einer Person am Arbeitsplatz unwohl. Was kann sie tun?

Peter Weiss: Ich kann hier nur aus der Sicht eines Anwalts antworten. Dazu gehört ein ganz wichtiger Ratschlag: Auf keinen Fall etwas öffentlich in den sogenannten „sozialen“ Netzwerken posten. Denn zum einen kann daraus ein Shitstorm entstehen, der die betroffene Person noch mehr in eine Opferrolle drängt. Zum anderen besteht bei der Nennung von Namen die Gefahr, wegen Verleumdung oder übler Nachrede selbst angezeigt zu werden.

Wichtig ist, die Diskriminierung, auch die in Form der Belästigung, benennen und nachweisen zu können. Dazu gehören Aussagen von Zeug:innen und Gedächtnisprotokolle, in denen man nach jedem Vorfall sofort und detailliert aufschreibt, was genau passiert ist. Wir kennen das schon länger aus dem Bereich „Mobbing“ als sogenanntes Mobbing-Tagebuch. Diese Protokolle können bei Gerichtsverhandlungen genutzt werden. Ich würde außerdem empfehlen, Vier-Augen-Gespräche mit der Person zu meiden, die einen belästigt, und bei Gesprächen immer eine Person, der man vertraut, darum bitten, dabei zu sein. Zum Beispiel eine Kollegin oder jemanden aus dem Betriebsrat. Kommt es doch einmal zu Situationen, in denen man allein ist, kann man mit dem Handy heimlich ein Video machen oder den Ton des Gesprächs mitschneiden. Vor Gericht sind sie zwar als Beweismittel in der Regel nicht zugelassen. Sie können Betroffenen aber dabei helfen, ein gutes und nachvollziehbares Gedächtnisprotokoll im Anschluss an das Gespräch anzufertigen.

Pinkstinks: Und wenn aus einer Belästigung ein tatsächlicher Übergriff wird?

Peter Weiss: [Anmerk. d. Red. TW: Vergewaltigung] Sollte es zu körperlichen Übergriffen kommen, kommt etwa eine Strafanzeige in Betracht, aber auch oder alternativ, sich zunächst an eine Stelle zu wenden, die anonym Spuren nach sexuellen Übergriffen sichert (z.B. ASS – Anonyme Spurensicherung nach einer Sexualstraftat Köln) – zum Beispiel nach einer Vergewaltigung, sexueller Nötigung und vergleichbaren Taten. Das geht anonym. Wichtig ist aber: Die ASS und vergleichbare Stellen sind von Selbsthilfeorganisationen und keine Polizeidienststellen! Außerdem möchte ich jeder Betroffenen raten, sich anwaltliche Unterstützung zu suchen. Unter Umständen kann es sich für die betroffene Frau empfehlenswert sein, sich an eine Anwältin zu wenden. 

Pinkstinks: An wen kann man sich wenden, wenn man im Job sexuell belästigt wird? Zum Beispiel, wenn man mit sexistischen Witze konfrontiert ist, als Frau in einer typischen Männerdomäne nicht ernstgenommen wird oder ungefragt angefasst wird?

Peter Weiss: An den Betriebsrat, die Beschwerdestelle nach § 13 AGG, sofern es im Unternehmen eine gibt, oder an die Gleichstellungsbeauftragten des Unternehmens. Größere Unternehmen und Verwaltungen haben außerdem oftmals interne Konfliktberatungsstellen. Zudem kann psychotherapeutische oder anwaltliche Unterstützung helfen. Außerdem rate ich allen, einer Gewerkschaft beizutreten, die eine unterstützen kann. Daneben gibt es außerdem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, über die frau sich beraten lassen kann. Über das interne Beratungsportal kann frau sogar nach regionalen Angeboten suchen oder sich online und telefonisch beraten lassen.

Pinkstinks: Nun haben wir viel über Frauen gesprochen, die diskriminiert oder belästigt werden. Welche Rolle spielt das Geschlecht? Sind Männer auch davon betroffen?

Peter Weiss: Das kann ich nicht ausschließen. Aber das habe ich noch nie erlebt und auch nie von einem solchen Fall gehört. Nach meiner beruflichen Erfahrung sind es ausschließlich Frauen, die Belästigungen und Diskriminierungen leiden und diese oft klaglos hinnehmen.

Pinkstinks: Sich an Vorgesetzte zu wenden, ist oft gar nicht so leicht. Zum Beispiel aus Angst vor einer Kündigung. Kann das überhaupt passieren? Welche Rechte haben Betroffene?

Peter Weiss: Es gibt das sogenannte Maßregelungsverbot (AGG – §16), das besagt, dass der Arbeitgeber Betroffene nicht benachteiligen darf, wenn sie in zulässiger und rechtmäßiger Weise von ihren Rechten Gebrauch machen. Allerdings könnte der Arbeitgeber aus einem anderen vorgeschobenen Grund kündigen und die Betroffenen müssten sich überlegen, ob sie daraufhin klagen wollen. Viele haben Angst davor, weil sie befürchten die Kosten des Prozesses im Fall einer Niederlage tragen zu müssen. Diese Angst kann einem niemand nehmen, aber ich finde: Wer kämpft, kann natürlich auch verlieren – aber wer nicht kämpft, hat schon verloren. Außerdem ist es nach meiner persönlichen Erfahrung auch oft durchaus so, dass den Frauen, die sich gegen Belästigungen und Diskriminierung wehren, im Unternehmen daraufhin mit mehr Vorsicht und Respekt begegnet wird. Doch ich weiß, dass es nicht einfach ist.

Wer kämpft, kann natürlich auch verlieren – aber wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Rechtsanwalt Peter Weiss

Zudem kennen viele Betroffene das AGG nicht. Sie glauben, sie müssten Beweise für Diskriminierung oder Belästigungen vorbringen können. Dabei reichen gemäß § 22 – AGG Indizien hierbei aus. Das bedeutet, dass es genügt nachzuweisen, dass eine Diskriminierung oder Belästigung wahrscheinlich erscheint – zum Beispiel durch Gedächtnisprotokolle oder Statistiken. Dann ist der Arbeitgeber in der Pflicht zu beweisen, dass keine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts oder Belästigung vorliegt.

Außerdem ist es gut zu wissen, dass frau als Betroffene Anspruch auf Schmerzensgeld als Kompensation für die erlittene Diskriminierung hat (§ 15 Abs. 2 – AGG). Und daneben zusätzlich Anspruch auf Ersatz materieller Schäden – zum Beispiel des finanziellen Verlusts, weil frau aufgrund des Geschlechts nicht befördert wurde (§15 Abs. 1 – AGG). Außerdem ist der Arbeitgeber gesetzlich in der Pflicht, etwas gegen sexuelle Belästigung zu unternehmen (AGG §12 und §13). So muss der Arbeitgeber alle angemessenen Maßnahmen gegen diskriminierende Beschäftigte ergreifen. Das kann von einer Ermahnung über Versetzung, Umsetzung und Abmahnung bis hin zur – auch fristlosen – Kündigung gehen.

Der Arbeitgeber hat Beschäftigte aber auch vor Diskriminierung durch Dritte zu schützen, also durch betriebsexterne Personen. Zur Verhütung von etwa Belästigung durch eine Person, die beispielsweise in einer Reinigungsfirma für das Unternehmen arbeitet, könnte der Arbeitgeber rechtzeitig mit dem externen Unternehmen vertraglich vereinbaren, dass nur solche Beschäftigte bei ihm im Unternehmen arbeiten dürfen, die nachgewiesenermaßen im AGG geschult sind. 

Pinkstinks: Angenommen, ich werde Zeugin von Sexismus am Arbeitsplatz. Wie kann ich helfen?

Peter Weiss: Das Maßregelungsverbot gilt auch für Personen, die Betroffenen helfen. Auch als Zeugin wären Sie deshalb gesetzlich vor einer Kündigung geschützt, wenn Sie die Vorfälle ansprechen. Sie könnten der Kollegin raten, mit dem Betriebsrat zu sprechen oder ihr ans Herz legen, die Vorfälle zu protokollieren und überhaupt auf jede erdenklich legale Art Hilfe leisten. Aber auch Sie als Zeugin können Gedächtnisprotokolle anfertigen, die später in einem eventuellen Arbeitsgerichtsverfahren helfen könnten.

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Bildquelle: mediaphotos/istock