Was sind meine Brüste wert?

Auf dem Weg an den Schreibtisch und zu dieser Kolumne komme ich in einem Hamburger Szeneviertel an einer Touristenfamilie vorbei. Vater, Mutter, zwei Mädchen, ein Junge. Der Sohn steht breitbeinig vor einem Baum und pullert ausgiebig. Die anderen vier stehen mehr oder weniger unbeteiligt drum herum. Der Baum steht mitten auf dem Gehweg. Wieso, frage ich mich, kann ein Zehnjähriger sich nicht eine weniger öffentliche Ecke suchen, um zu pinkeln? Klar, was muss, das muss, aber wehe, ich hätte als Zwölfjährige mein Tampon auf der Straße gewechselt. Was muss, das muss gilt für Frauenkörper nämlich nicht. Da muss versteckt, verhüllt und verheimlicht werden. Und dafür brauchen wir nicht mal blutige Tampons schwenken, unsere Brüste sind skandalös genug.

Stillende Frauen werden Cafés verwiesen, Sonnenanbeterinnen in Parks und an Flussufern aufgefordert, ein Oberteil zu tragen und bei Temperaturen von über 30 Grad beim Feiern einfach mal auf das Top verzichten – als Frau undenkbar. Facebook und Co. zensieren seit Jahren weibliche Nippel, um die öffentliche Ordnung nicht zu gefährden. Und Seawatch-Kapitänin Carola Rackete wird in der italienischen Presse beschimpft, weil sie ohne BH unter ihrem T-Shirt vor Gericht erscheint. Dass Italiens Innenminister Matteo Salvini in seinen Bemühungen, die Regierung zu unterwandern, in den Nachrichten der vergangenen Wochen fast ausschließlich mit Badehose am Strand gezeigt wird – Plauzen- und Nippelalarm inklusive – scheint niemanden zu stören.

Ein Kollege von mir hat es mal scherzhaft zusammengefasst, nachdem mir ein Typ vor der Elbphilharmonie etwas zu tiefe Blicke ins Dekolleté geworfen hat: „Selber schuld, wieso hast du auch Brüste?“ Genau, wieso haben wir Frauen bloß Brüste?

Wir haben sie aus vielen guten Gründen, sich ihrer zu schämen ist keiner davon. Aber genau darum geht es oft in den Anfeindungen. Racketes BH-loser Auftritt wurde eine „Schamlosigkeit ohne Grenzen“ genannt, Ordnungshüter, die Frauen beim Sonnenbaden zum Bikinioberteil drängen, berufen sich auf Sittlichkeit und öffentlich stillen, tja, das ist einfach eine Zumutung.  

Interessant ist doch, dass sich viel weniger über fast nackte Models auf den Titeln irgendwelcher TV-Zeitschriften oder als Werbemittel von Handwerkerbetrieben aufgeregt wird, ein unsexuell in Aktion tretender Busen aber zum anstößigen Problem degradiert wird. Ist ja grundsätzlich ein Problem, eine Frau, die sich nicht objektifizieren lassen will und lieber Brain statt Boobs einsetzt.

Als sei es die natürliche Bestimmung der Frau, ihre Brüste ausschließlich ansehnlich sexy dem männlichen Blick zu präsentieren. Schließlich lebt ein ganzer Branchenzweig vom Push-Up-Effekt. Aber wehe, Frauen zeigen Brüste, wie sie sind – als normales Körperteil. Eins mit diversen Funktionen, ja auch sexuellen, aber eben nicht, wenn es ums Sonnenbaden, stillen oder vor Gericht erscheinen geht.

Weibliche Nippel zu problematisieren sagt eine Menge über unser gestörtes Verständnis von Sexualität aus, nämlich Frauen per se als erregendes Objekt und Männer als erregtes Subjekt zu definieren. Noch verstörender ist es, Frauen deshalb Verhaltensregeln aufzuoktroyieren, statt an Männer zu appellieren, ihre Blickgewohnheiten zu verändern. Erinnert aber stark daran, wie mit Vergewaltigungen umgegangen wird: Frauen, tragt keine zu kurzen Röcke, trinkt nicht zu viel Alkohol, bleibt am besten nach 22 Uhr zu Hause!

Kein Mensch verhängt Ausgehsperren und Trinkverbote für Männer. Und um auf Geschlechtsmerkmale zurückzukommen, ich bitte Männer doch auch nicht, ihren Penis statt links oder  rechts zu tragen, zwischen die Beine zu klemmen, weil mich der Anblick der Beule in ihrer Hose ganz wuschig macht.

Nein, ich muss sie mir alle naselang mit freien Oberkörpern oder an Bäume pinkelnd ansehen. Ist auch mal ok für mich. Nicht ok ist es, weibliche Körper zu reglementieren. Weibliche Körper dürfen sein, wie sie sind – mit Brüsten, egal, ob groß, klein, straff, hängend, stillend in action oder nippelfrei unterm Shirt. Das ist keine Frage der Bedrohung öffentlicher Ordnung, sondern eine Frage der Freiheit.

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