J.K. Rowling hat mit Harry Potter für viele Menschen eine emotionale Festung geschrieben. Auch und gerade für heranwachsende Menschen, die sich in ihrem Alltag aus verschiedenen Gründen nicht gut aufgehoben fühlten. Für eine Gruppe von Menschen hat Rowling diese Festung gerade mit dem Hintern wieder eingerissen. Denn zum wiederholten Male hat sie sich online trans*feindlich geäußert und für viele zum TERF getwittert.
Aber was bedeutet überhaupt TERF? TERF steht für Trans*-Exclusionary Radical Feminist, also trans*-ausschließende*r radikale*r Feminist*in. Zurückverfolgen lässt sich der Begriff auf die Autorin Viv Smythe, die ihn als erste aufgeschrieben hat, als neutrale Beschreibung, um zwischen denen unterscheiden zu können, die Trans*sexualität neutral oder positiv bewerten und denen, die trans* Menschen ausschließen. TERF ist eine Zuschreibung und wird von Frauen, die trans*Personen ausschließen, nicht als Selbstbezeichnung verwendet.
Sie weigern sich nicht nur, mit trans* Menschen gemeinsam politisch aktiv zu sein, sondern sie leugnen deren Identität und Existenz. Denn sie vertreten die Position, dass es nur zwei Geschlechter gibt – das männliche und das weibliche, und damit ist grundsätzlich das biologische gemeint. Will heißen: Wer einen Penis hat, kann keine Frau sein. Wer menstruiert, kein Mann. Sie leugnen, dass es Geschlechtsidentitäten gibt, die nicht zum biologischen Geschlecht passen oder nur zum Teil oder fluid sind. Sie halten, einfach gesagt, trans* Männer für biologische Frauen, die das Patriarchat nicht mehr ausgehalten haben und trans* Frauen für Männer, weil sie biologisch keine Frauen sind. Das ist genauso einfältig, wie sich das hier liest und tatsächlich wirkt es fast ein bisschen so, als reime sich TERF inhaltlich auf Besorgte Bürger, weil auch TERFS leugnen, anstatt zu argumentieren und dann so etwas rufen wie ‚Aber was ist mit den Toiletten?‘
J.K. Rowling, um die es im folgenden auch noch einmal gehen soll, hat gerade auf Ihrem Blog geschrieben:
„Wenn du allen Männern, die glauben oder fühlen, Frauen zu sein, die Türen von Toiletten oder Umkleiden öffnest, (…) öffnest du sie allen Männern, die reinwollen. Das ist die Wahrheit.“
Das klingt aber sowas von nach besorgten Bürgern. Aber was ist denn jetzt mit den Toiletten?
Also, wir wissen ja nicht, wo J.K. Rowling auf Klo geht, aber die meisten Damen-Toiletten haben Türen. Jetzt mal ehrlich: Hat unter den Lesenden schon mal unabsichtlich jemand das Geschlechtsorgan einer anderen Person auf einer öffentlichen Toilette gesehen?
Das ist ja sogar in Umkleiden eher unwahrscheinlich, weil alle Menschen, die sich in einer öffentlichen Umkleide umziehen, und keine Fanboys des Patriarchats sind, eigentlich auch die Technik des Höflich-Aneinander-Vorbeisehens (sowie des rücksichtsvollen Verhaltens beherrschen).
Weiteres Terf-Argument ist gern mal der Sport: Was, wenn die trans* Frauen nun viel besser als die anderen sind? Auch hier: Schon mal ein Siegertreppchen gesehen, auf dem drei trans* Menschen standen? Nee, oder? Hätten die Olympischen Spiele in Tokio stattgefunden, wären z.B. von 11000 Athlet*innen einer Schätzung zufolge überhaupt nur drei trans* Menschen dabei gewesen, und das in drei verschiedenen Sportarten.
Was ist denn da los? Es ist natürlich einfach, sich über TERFS zu echauffieren. Aber woher kommt diese ablehnende Haltung. Wer die Klodiskussion und die Wettrennen weglässt, kommt darauf, dass es Angst ist. Besonders die Frauen, die schon lange aktivistisch im Feminismus unterwegs sind, haben Angst, dass die trans*Bewegung ihnen Bedeutung und Sichtbarkeit nimmt. Dass es, wenn sie trans*Personen in ihrer Bewegung aufnehmen, eben um Toiletten geht oder um Testosteronwerte bei Wettrennen statt um Abtreibung und Pay Gap.
Die Diskussionen und die Kämpfe um Sichtbarkeit, Anerkennung und Solidarität verlaufen auf beiden Seiten nicht immer solidarisch. Es gibt Beleidigungen und Shitstorms von beiden Seiten.
Wie schön wäre ein wohlwollender Dialog von Feministinnen und trans*Aktivist*innen, der das Ziel hat, dass sich alle miteinander solidarisch erklären und für einander einstehen, statt sich auf Twitter zu beleidigen und zu drohen oder Identitäten zu verleugnen. Trans* Frauen werden beispielsweise absichtlich weiter mit dem Pronomen ‚er‘ angesprochen und inklusivere Formulierungen werden belächelt. Leider auch von J.K . Rowling.
Die Wörter ‚Menschen, die menstruieren’ fand J.K. Rowling offensichtlich albern, weil für sie anscheinend nur Frauen menstruieren. Allerdings gibt es allein in Deutschland nach einer Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Trans*identität und Intersexualität 60.000 bis 100.000 trans*Personen, also Menschen, die sich nicht oder nicht nur mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren. Und inter* Personen, also Menschen, die „im Hinblick auf ihr Geschlecht nicht eindeutig einer der medizinischen „Normkategorien“ eines entweder „männlichen“ oder „weiblichen“ Körpers zugeordnet werden können.“
Die Intersex Society of North America geht davon aus, dass etwa ein Prozent der Neugeborenen körperliche Merkmale aufweist, die von der männlichen oder weiblichen „Norm“ abweichen. (Ebda)
Es gibt also trans*Männer, die menstruieren und biologische Frauen, die es nicht tun. Es gibt trans*Männer, die gebären und biologische Frauen, die es nicht können. Es gibt Menschen, die sich nicht auf die binären Geschlechtsidentitäten festlegen wollen oder können, die menstruieren oder nicht oder gebären oder nicht. Und wenn wir das so formulieren, dass wir alle einbeziehen, dann ist die korrekte, inklusive Beschreibung von Menschen, die menstruieren, eben „Menschen, die menstruieren“. Das klingt für viele komisch und neu, das ist manchmal sperrig, und in Texten, in denen es um das soziale Konzept Frauen geht, kann es sogar unpassend wirken.
Auch hier wird klar: Wir brauchen empathische, wohlwollende Worte für einander. Daniel Radcliffe hat sie gefunden. In seiner Stellungnahme auf der Webseite des Trevor Projects schreibt er:
„Trans* Frauen sind Frauen. Jede gegenteilige Behauptung löscht die Identität und Menschenwürde von trans* Menschen aus und steht allen Hinweisen professioneller Gesundheitsorgansiationen entgegen, die über eine weitaus höhere Expertise verfügen als Jo (J.K. Rowling) oder ich. Dem Trevor Project zufolge sind 78% der jugendlichen trans* oder nichtbinären Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität Opfer von Diskriminierung. Es ist völlig klar, dass wir trans*gender und nichtbinäre Menschen noch mehr unterstützen müssen – und nicht ihre Identitäten für nichtig erklären und noch mehr Schaden anrichten.“
Genau, was Harry Potter sagt. Trans* Menschen werden diskriminiert, einfach weil sie sie selbst sind. Wenn sie auf diese Diskriminierungen hinweisen, nehmen sie biologischen Frauen weder das Klo noch den Startblock beim 100-Meter-Lauf weg. Sie fordern schlicht und einfach ihre Sichtbarkeit und ihre Rechte ein.
Und mit der Gerechtigkeit sollte es wie mit Freude sein: Wenn sie geteilt wird, wird sie größer.
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