Rosa oder Blau, Junge oder Mädchen, Ritter oder Prinzessin? Gender Reveal Partys – also Geschlechts-Enthüllungs-Feiern – sind dazu da, um während einer Schwangerschaft das biologische Geschlecht des Babys zu offenbaren. Ohne, dass die werdenden Eltern vorher Bescheid wissen.
Dabei lassen die Eltern das biologische Geschlecht von dem*der Gynäkolog*in auf einen Zettel schreiben und an Freund*innen weitergeben. Die übernehmen dann das mit dem Rosa und Blau und der Party. Gefeiert wird zum Beispiel mit rosafarbenem oder blauem Konfetti, gefüllt in Luftballons. Mit entsprechender Haarfarbe. Oder mit Flugzeugen. Immer besonders wichtig: möglichst viel Glitzer, Kitsch, Spektakel und Tamtam. Und alles natürlich schön Social-Media-wirksam.
Zum Beispiel mit Flugzeugen.
Gefüllten Ballons.
Oder mit einer neuen Haarfarbe.
Woher kommen Gender Reveal Partys?
Ursprünglich kommt der Trend aus den USA. Im Sommer 2008 machte die Bloggerin Jenna Karvunidis Gender Reveal Partys durch einen Post populär. „Für mich war es ein Meilenstein“, sagte sie später. „Ich hatte mehrere Fehlgeburten. Es war ein ‚Oh ja, ich bin endlich an einem Punkt in meiner Schwangerschaft, an dem ich weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist‘.“
Ab 2009 tauchten dann immer mehr Videos auf YouTube auf. Und auch Google-Suchanfragen belegen das wachsende Interesse. Und zwar nicht nur in den USA, sondern in Australien, Kanada, Neuseeland, Puerto Rico… Auch in Deutschland sind Gender Reveal Partys mittlerweile angesagt. Allerdings gibt es bei diesen Events einen ganzen Ballon voller Probleme.
Sex ist nicht Gender
Erstens geht es eigentlich um das biologische Geschlecht des Babys – also Englisch „sex“. Gender hingegen steht für das soziale Geschlecht, die geschlechtliche Identität. Also, wie sich eine Person kleiden oder verhalten soll, um als männlich oder weiblich gesehen und akzeptiert zu werden.
Das können die Eltern aber noch gar nicht wissen. Einerseits, weil sie es mehr als zwei klar voneinander abgegrenzte Geschlechter gibt. Aber auch, weil sich das erst im Laufe des Heranwachsens entwickelt. Davon abgesehen, dass das biologische Geschlecht bei der Geburt auch nicht in 100 Prozent aller Fälle immer zu 100 Prozent eindeutig ist.
Doch durch Gender Reveal Partys ordnen Eltern ihrem Kind einem sozialen Geschlecht und einer Geschlechtsidentität zu.
Ritter oder Prinzessin?
Zweitens fördern solche Partys genau dadurch stereotype Geschlechterrollen. Und das schon vor der Geburt. Während Mini also noch muckelig im Fruchtwasser umherschwimmt, wird vom Umfeld schon festgelegt, dass es eben entweder Blau und Autos zu mögen hat oder Pink und Prinzessinnenzeug.
Damit fängt es an – doch dahinter steckt mehr: Zum Beispiel, wie ein junger Mensch gefördert wird, welche Berufe er*sie sich zutraut, wie er*sie Beziehungen und Sexualität erlebt, welche Chancen ihm*ihr offen stehen. Diese Geschlechterrollen und ihre Einschränkungen ziehen sich durchs ganze Leben. Mit Gender Reveal Partys greift das Patriarchat also schon vor dem ersten Atemzug ins Leben ein.
Vor allem aber schließen diese Partys auch alle anderen geschlechtlichen Identitäten aus – nichtbinäre, intersex-, transgender- und andere Identitäten, die nicht perfekt in die Kategorien Junge oder Mädchen passen. Kinder werden dadurch in Rollen gepresst, von denen gar nicht klar ist, ob sie ihnen beim groß und sie selbst werden überhaupt passen. Falls sich ein Kind dann später mit der zugeordneten Geschlechterrolle nicht wohlfühlt, führt das zu Problemen, Konflikten und Schmerz. Außerdem – bitte aufmerksam mitschreiben – gibt es wirklich nicht nur zwei Geschlechter.
Die amerikanische Forscherin Carly Gieseler, hat das Thema Gender Reveal Partys schon 2017 untersucht. Sie hat festgestellt, dass Erwachsene durch diese Partys ihre eigenen, gelernten Rollenvorstellungen wiederholen und sie „auf den unbeschriebenen Körper des Ungeborenen übertragen“. Auch, wenn das nicht ihre Absicht ist.
Zwar können Eltern, die Gender Reveal Partys schmeißen, ihr Kind später natürlich trotzdem in jeder geschlechtlichen Identität unterstützen. Aber durch die Verbreitung dieser Partys in sozialen Netzwerken machen sie Fortschritte bei der Geschlechtsidentität ein Stück weit rückgängig.
Gefährliche Enthüllungen
Drittens übertreiben Leute diese Gender Reveal Partys einfach extrem. Dabei kommt es nicht selten zu Unfällen: Explosionen, Waldbrände, Flugzeugabstürze, Todesfälle. Ja, alles schon da gewesen.
Eine Familie aus Louisiana hat einen Alligator in die Enthüllung einbezogen. Einen Alligator.
In Arizona haben Eltern mit einer Gender Reveal Party 2017 einen Waldbrand ausgelöst, der sich knapp 190 Quadratkilometer ausbreitete (für Interessierte: 26.610 Fußballfelder). Hier das Video:
In Texas kam es 2019 zu einem Flugzeugabsturz; in Australien ist ein Auto in Flammen aufgegangen:
Und in Iowa hat eine Familie versehentlich eine Bombe gebaut; Splitter davon haben die Großmutter des Babys getötet.
Deshalb meint inzwischen auch die Bloggerin Jenna Karvunidis, die den Trend damals mitbegründet hat: „Es ist zu einem kleinen Alptraum geworden.“ In einem Facebook-Posting schreibt sie: „Wen kümmert es, welches Geschlecht das Baby hat?“ Und über ihre Tochter Bianca, mit der damals alles anfing: „Plot Twist! Das erste Gender-Reveal-Party-Baby der Welt ist ein Mädchen, das Anzüge trägt!“
Also! Es spricht überhaupt nichts dagegen, die Freude über und auf ein Kind mit Familie, Freund*innen und der Welt zu teilen und zu feiern. Aber es muss ja nicht in Rosa und Blau sein. Andere Ballons haben nämlich auch schöne Farben.
Hier kannst du unser Video mit Lara zu den Gender Reveal Partys sehen:
Mehr Infos:
Studie von Carly Gieseler zu Sender Reveal Partys: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09589236.2017.1287066
Schule gegen Sexismus (Pinkstinks): Was ist eigentlich dieses „nicht-binär“?
Artikel über Jenna Karvunidis (The Guardian (engl.)): I started the ‚gender reveal party‘ trend. And I regret it.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich gelesenen Personen betreffen.
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Bildquelle: Mechelle Brooks/iStock