Meldet sexistische Werbung: die Werbemelder*in

Sie begegnet uns überall und ständig: Werbung. Ob auf der Straße, in Magazinen, online, auf Autos. Sichtbar für alle. Und was damit auch für alle sichtbar ist: überholte Rollenklischees und unverhohlener Sexismus. Zuständig dafür ist eigentlich der Werberat. Da sich hier aber nicht so recht etwas bewegte, haben wir kurzerhand die »Werbemelder*in« geschaffen. Eine Plattform, auf der sexistische Werbung aus der Wirtschaft eingereicht werden kann.

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»Sexistisch oder nicht?« lautete dann auch die Frage all der Menschen, die großartigerweise Motive fotografiert und eingereicht haben. Denn die Werbemelder*in funktionierte so, dass ein Foto hochgeladen werden konnte und die jeweilige Werbung dann von unseren Expert*innen gecheckt wurde. Die Einordnung erfolgte nach den Kriterien: nicht-sexistisch, sexistisch oder stereotyp. Sexistisch also im Sinne von: Die Werbung wertet Menschen aufgrund ihres Geschlechts ab. Und stereotyp im Sinne von: Die Werbung reproduziert starre Geschlechterklischees. Mädchen spielen mit Puppen, Jungen zeigen keine Tränen … na, du weißt schon. Aber schau mal rein. Wie hättest du entschieden?

13.564 Einreichungen haben uns erreicht. Und ein trauriges Bild davon gezeichnet, wie sehr veraltete Rollenklischees und Sexismus die Werbung auch heute noch prägen. Aber auch ein tolles Zeichen dafür, dass immer mehr Menschen genau das hinterfragen und sich für eine diskriminierungsfreie Welt einsetzen. Jeder einzelnen Person, die bei der »Werbemelder*in« Fotos von Autobeklebungen, Anzeigen oder Billboards hochgeladen hat, sind wir sehr dankbar. Denn die Einreichungen decken kompromisslos auf, wo wir stehen: Die Werbelandschaft steckt über alle Bundesländer hinweg immer noch und immer wieder voller Sexismus. Zwar immer weniger auf den großen Billboards, aber dafür immer häufiger online.

PINKSTINKS Gründerin Stevie Schmiedel im »Spiegel«

Was dann passierte? Je nach Einreichung war die Motivation, ins Gespräch zu gehen, hier bei PINKSTINKS groß. Und dann ging nicht nur eine Mail ans Unternehmen, sondern die Hand auch schnell mal zum Telefon, um mit Marketingleiter*innen oder Chef*innen zu sprechen und zu sensibilisieren. Manchmal sind wir auf Verständnis gestoßen, häufig auf Ablehnung. Manche Motive wurden ausgetauscht, andere blieben. Was wir aber sicher erreicht haben: dass Menschen bei ihrer Werbung nicht mehr gedankenlos die immer gleiche »sex sells«-Methodik weiterführen, sondern zumindest im Kopf haben, dass sich daran gestört wird. Noch mehr Power konnten wir entwickeln, indem wir Agenturen direkt geschult haben. Sodass sexistische Werbung gar nicht erst entsteht. Noch sind wir nicht da, wo wir sein wollen, aber mit der Werbemelder*in ein ganzes Stück vorangekommen.

Schon 2013 protestierte PINKSTINKS vor dem Brandenburger Tor gegen Sexismus in der Werbung. Das Thema schlug immer mehr Wellen und bekam mediale Aufmerksamkeit, sodass wir 2014 eine Petition einreichten. Verschiedene Bundestagsabgeordnete unterschrieben und 2016 schließlich beschloss der Bundesvorstand der SPD, die Kontrolle von Werbung auf diskriminierende Darstellungen auf die Agenda zu setzen. ​​Bevor es aber zu einer Änderung der Gesetzeslage kommen könnte, müsse versucht werden, die Werbeindustrie selbst zu einem Umdenken zu bringen. Der Weg dorthin? Durch eine Analyse. Wie viel sexistische Werbung gibt es überhaupt? Wo sehen Menschen diese? Also in welchem Bundesland und auf welchem Werbeträger? Und wer wirbt eigentlich mit sexistischer Werbung? Diese Fragen waren der Startschuss für eine zweijährige Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Geburtsstunde der »Werbemelder*in«


Um die Einreichungen nicht willkürlich einzuordnen, orientierten wir uns an zwei Eckpfeilern. Den Kriterien des Deutschen Werberats natürlich, aber auch an der prämierten Doktorarbeit von Berit Völzmann zu geschlechtsdiskriminierender Wirtschaftswerbung, die juristische Grenzen für Sexismus in der Werbung festlegt. Mithilfe der Riesenmenge an Einreichungen konnten wir unsere Kriterien immer sauberer ausdefinieren. Mit sexistischer Werbung ist solche Werbung gemeint, die den weiblichen Körper (willkürlich und ohne jeden Produktbezug) als Blickfang nutzt oder Frauen als käuflich inszeniert, ergo objektiviert. Mit den Jahren wurden die als sexistisch zu bewertenden Einreichungen ein bisschen weniger, bis heute gibt es leider aber immer noch sexistische Werbekreationen. Meist stammen die von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus männerdominierten Branchen. Männer werden in der Werbung weniger häufig objektiviert – dafür aber gern in veraltete Geschlechterrollen gesteckt: zum Beispiel als  »inkompetenter Vater« oder »Haushaltsversager«. Noch häufiger wurde das Stereotyp des starken Ernährers betoniert, der sich gar nicht erst an der Beteiligung der Care-Arbeit versuchen sollte. Von der stereotypen Darstellung von Frauen (Na klar: Es geht um Schönheitsideale, ums Kümmern und Co.) wollen wir hier gar nicht erst anfangen.

Und was ist mit den vielen Menschen in der Werbung, die gesellschaftlichen Schönheitsidealen entsprechen? Tja, das ist kniffelig. Denn juristisch gesehen gilt die Abbildung von überwiegend normschönen Menschen in der Werbung – gern auch mit viel nackter Haut – solange Frauen nicht klar objektiviert oder abgewertet werden, nicht als sexistisch. Klar ist aber: Wenn wir in der Werbung fast nur normschöne Menschen sehen, dann macht das Druck! Druck, nicht dünn genug, nicht »schön« genug zu sein oder nicht genug Muskeln zu haben. Mit der Folge, dass gerade Jugendliche ihren eigenen Körper abwerten. 

Mögliche Folgen können Probleme mit dem eigenen Selbstwert, Selbstzweifel oder auch Essstörungen sein. Auch, wenn wir nur darauf aufmerksam machen und stereotype Darstellungen als Form von Sexismus in Frage stellen können, hat sich die Werbelandschaft in den letzten Jahren zum Glück immer mehr gewandelt: Dank des gesellschaftlichen Drucks ist heute zumindest etwas mehr Diversität auf Plakaten, in Werbefilmen oder Anzeigen zu sehen. Feiern wir! Und bleiben weiter dran: Denn ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Vielfalt ist die Werbung auch heute noch nicht.

Zum Weiterlesen

2 Paragrafen gegen Sexismus

§ 7a UWG Diskriminierende Werbung

(1) Eine geschäftliche Handlung, durch die Marktteilnehmende in diskriminierender Weise angesprochen werden, ist unzulässig, wenn nicht verfassungsrechtlich geschützte Interessen ausnahmsweise überwiegen. Die Diskriminierung kann sich aus der Aussage einer Werbung, ihrem Gesamteindruck oder der Gesamtheit der einzelnen Teile einer Werbekampagne ergeben.

(2) Werbung ist geschlechtsdiskriminierend, wenn sie Geschlechtsrollenstereotype in Form von Bildern oder Texten wiedergibt oder sich in sonstiger Weise ein geschlechtsbezogenes Über-/ Unterordnungsverhältnis zwischen den Personen in der Werbung oder im Verhältnis zu den von der Werbung adressierten Personen ergibt. Werbung ist insbesondere geschlechtsdiskriminierend, wenn sie


1. Menschen aufgrund ihres Geschlechts Eigenschaften, Fähigkeiten und soziale Rollen in Familie und Beruf zuordnet oder


2. sexuelle Anziehung als ausschließlichen Wert von Frauen darstellt oder


3. Frauen auf einen Gegenstand zum sexuellen Gebrauch reduziert, insbesondere indem weibliche Körper oder Körperteile ohne Produktbezug als Blickfang eingesetzt werden oder der Eindruck vermittelt wird, die abgebildete Frau sei wie das Produkt käuflich.

Klar, die Werbemelder*in als Plattform konnte schon viele sensibilisieren. Einerseits bot sie Einordnung und Information für Einreichende, andererseits wurden Werbetreibende sensibilisiert. Aber da musste noch mehr gehen! Was wir auch in unserem Abschlussbericht festhielten: Sexismus in der Werbung ist nur mit breiten gesellschaftlichen Maßnahmen zur Sensibilisierung beizukommen! Gedacht, getan. Bis heute bilden wir auf verschiedenen Ebenen zum Thema: in Schulen, mit Workshops in Unternehmen, aber auch Privatpersonen. 

Unser besonderes Augenmerk galt damals der Werbebranche selbst: Mit Aufklärungsmaterialien und Events haben wir Werbetreibende direkt angesprochen. Begleitet von Werbemitteln, die wir breit über Außenwerbung und Social Media unter die Menschen gebracht haben. Der erste und sehr öffentlichwirksame Schritt: Motive, die über die Auswirkungen von sexistischer Werbung aufklärten (wir können an dieser Stelle verraten, dass die Kinder unserer Geschäftsführerin eine nicht unwesentliche Rolle in der Entstehung gespielt haben). Auf 220 Litfaßsäulen in Berlin wurden Stereotype in der Werbung enttarnt und Erwachsene bei ihren Weihnachtseinkäufen dafür sensibilisiert, der nachwachsenden Generation zu Liebe den Stereotypen in der Werbung nicht zu verfallen. 

Ein weiterer Teil der Aufklärungskampagne waren Bierdeckel. Bierdeckel? Yes! Denn die Kneipe ist nicht nur der Ort, an dem uns Sexismus mit steigendem Alkoholkonsum regelmäßig schwankend am Tresen begegnet, sondern auch der Ort, in dem ein schlichter Bierdeckel Gespräche anregen kann. 6 Motive gab’s insgesamt. Ein Beispiel: Wie unterscheidet man eigentlich sexistische von sexy Werbung? URL zur Werbemelder*in inklusive.

Ein ganz besonderes Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Hamburgs größten Werbeagenturen: die Umgestaltung sexistischer Werbemotive von mittelständischen und kleinen Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben. Denn gerade kleine Unternehmen reagieren auf Kritik an ihrer Werbung oft einsichtig, aber oft auch mit einem: »Wie denn dann?« Wie es auch ohne Sexismus geht, das machten sechs Kreativteams von Scholz & Friends, Grabarz und Partner, Thjnk, Elbdudler, DDB Tribal,  und Kolle Rebbe (heute Accenture Song) vor. Dazu wurden sexistische Motive geprüft, der Mehrwert des Unternehmens herausgearbeitet und dafür innerhalb von 30 Minuten eine völlig neue Kreation erstellt. 

Davon profitierten die Unternehmen doppelt: mit Sensibilisierung für Sexismus und einem Impuls für neue Werbemöglichkeiten, die nicht nur ohne Sexismus auskam, sondern auch kreativ und wirkungsvoll war. Dank geht raus an die Kreativen, die dieses Projekt mit ihren Ideen erst möglich gemacht haben.

Werbung hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Ob Axe oder Coca-Cola – offensichtlich sexistische Werbung sehen wir von großen Unternehmen kaum noch. Die Entwicklung ist also gut und wir schreiben das nicht unwesentlich der Werbemelder*in zu. Aber gerade angesichts der Rückwärtsbewegung von Unternehmen, was Diversity Programme angeht sollten wir wachsam bleiben. Denn hinter Werbung steckt eine massive Reichweite und damit eine Omnipräsenz von potentiell sexistischer, diskriminierender Prägung. Einfach so auf der Straße oder auf dem Handy. Das muss aufhören.

Die Werbemelder*in hat den Betrieb eingestellt, die Website und App sind nicht mehr verfügbar. Der deutsche Werberat aber nimmt nach wie vor Beschwerden entgegen. Und entsprechenden Unternehmen kann jede*r von uns natürlich auch weiterhin ganz direkt eine wohlwollende aber bestimmte Mail schreiben und sie auf den Sexismus in ihrer Werbung aufmerksam machen. Lasst uns Werbung in Deutschland gemeinsam im Auge behalten. Denn auch ohne Werbemelder*in gilt nach wie vor: »Sexy yes, sexism no.«

Werbemelder*in meldet Erfolg

  • Zeitweise 7-mal so viele Einreichungen von zu prüfender Werbung wie der Werberat.
  • 13.564 Einreichungen sind bei uns eingegangen.
  • Hohes mediales Echo mit Berichterstattung im »Spiegel«, »Deutschlandfunk« u.a.
  • Förderung durch das Ministerium für Familie, Jugend, Senioren, Frauen und Jugend.
  • Neue Projekte wie »Herz im Handwerk«, »Beton ohne Brüste« sind mit 8 großen Werbeagenturen entstanden.

Zum Aktiv werden

Der folgende Link führt auf eine andere Website: 

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