Weg mit §218

Über Jubilare sollte man zwar möglichst nur Gutes reden, aber angesichts dieses runden Geburtstages wollen wir eine Ausnahme machen: Der Paragraf 218 wird 150 Jahre alt und wir wünschen ihm alles Schlechte. Ein Paragraf, der seit seiner Schaffung die Rechte von Betroffenen hinter den Rechten möglichen Lebens setzt und zwar stets mit Blick auf die Interessen der Machthabenden. Bis in die 1960er-Jahre hinein wurden die Debatten um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche von den kirchlichen und staatlichen Ansprüchen auf den Uterus dominiert. Denn von Anfang an ging es darum, sowohl religiöse Moralvorstellungen durchzusetzen als auch mit Blick auf Bevölkerungspolitik politischen Einfluss auf Frauen geltend zu machen. Schon im 19. Jahrhundert sah sich der Staat zwar nicht zum Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtet, wohl aber dazu berechtigt, „um sich zukünftige Bürger zu erhalten„. Dieses perfide Konzept erreichte seine größtmögliche und zugleich tragischste Wirkmächtigkeit in den nationalsozialistischen Rassenhygienevorstellungen, die die vorsichtigen Reformbemühungen in der Weimarer Republik vollständig zunichtemachten: Während vorgeblich arische Frauen dazu angehalten wurden, dem Führer und dem Volk so viele Kinder wie möglich zu schenken und – wie zusätzlich durch §219 abgesichert – auf gar keinen Fall abzutreiben, nötigte man Zwangsarbeiterinnen gewaltsam zu Schwangerschaftsabbrüchen und betrieb in über 30 sogenannten „Kinderfachabteilungen“ im Rahmen des Euthanasieprogramms Aktion T4 die organisierte Ermordung von 10.000 Kindern und Jugendlichen. In den ersten Jahren nach Kriegsende waren der Paragraf 218 und die damit verbundene Frage des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch kaum Thema. Anfang der 50er-Jahre fanden beide deutsche Staaten zu ihren jeweiligen Form des restriktiven Umgangs in dieser Sache. In der BRD brauchte man bis zur Strafrechtsreform 1969, um den Rechtszustand von 1926 faktisch einigermaßen wiederherzustellen, während in der DDR eine Kommission über die jeweilige Rechtmäßigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs aufgrund von eng gefasster medizinischer Indikation entschied. 1971 brachte dem Westen einen legendären „Stern“-Titel …

und eine breite gesellschaftliche Debatte. 1972 dem Osten mit dem „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ eine Fristenlösung, innerhalb derer Betroffene in der DDR selbst entscheiden konnten. Das einzige Gesetz, das in der Volkskammer der DDR jemals nicht einstimmig verabschiedet wurde, stellte ein Novum dar, dem sich die BRD nicht anschloß – auch wenn es durchaus Bestrebungen gab, dies zu tun. 1974 nannte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in einer Generaldebatte den Paragrafen 218 einen „schwer erträglicher Restbestand sozialer Ungerechtigkeit des vorigen Jahrhunderts„. Die knapp beschlossene, gegen Beratung straffreie aber nicht legale Fristenlösung, wird zunächst vom Bundesverfassungsgericht kassiert und 1976 durch eine Version ersetzt, die Schwangeren und Mediziner*innen Strafe androht und zugleich vier straffreie Indikationen benennt. Die im Zuge der Wiedervereinigung eröffnete Chance, das bundesrepublikanische Recht dem Vorbild der DDR anzupassen, wird leider verpasst – nicht zuletzt auch wegen des Gesichtsverlust, den das in den Augen der damals Verantwortlichen bedeutet hätte, die „nicht aufhören konnten zu siegen„. 1995 ist der fristgerechte, beratene Abbruch für alle Beteiligten – wie 1974 vorgesehen – nicht mehr strafbar, aber weiterhin rechtswidrig. Seitdem hat sich nicht viel getan.

Betroffenen werden immer noch ihre reproduktiven Rechte vorenthalten. Paragraf 219a wurde umformuliert „um Rechtssicherheit zu schaffen“, dient aber weiterhin vordringlich zur Beschneidung der Informationsfreiheit von Mediziner*innen wie Kristina Hänel. Knapp die Hälfte aller Abtreibungen sind nicht sicher.

Weltweit riskieren pro Minute 50 Frauen ihre Gesundheit und ihr Leben bei unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen.

Je restriktiver die Gesetzgebung ist, desto gefährlicher sind Schwangerschaftsabbrüche für Betroffene.

Und eine liberalere Gesetzgebung führt immer noch nicht zu „explodierenden Abtreibungszahlen“, wie selbsternannte „Lebensschützer“ behaupten.

Stattdessen finden sie gerade dort besonders zahlreich statt, wo sie verboten und geächtet sind. Höchste Zeit also, Schwangerschaftsabbrüche nicht nur unter diesen oder jenen Bedingungen für straffrei zu erklären, sondern endlich zu legalisieren. 150 Jahre §218 sind genug. Religionen haben kein Recht, Menschen ihre fragwürdigen Moralvorstellungen aufzuzwingen. Staaten steht es nicht zu, auf Bürger*innen zwecks Produktion neuer Steuerzahler*innen und Arbeitskräfte einzuwirken. Weil niemand das Recht hat, den Körper einer anderen Person gegen ihren Willen zu benutzen, sollte der Uterus nicht länger zum Allgemeingut erklärt werden dürfen. Es reicht:

Weg mit §218!

Bild: Pinkstinks Germany e.V.

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