Weibliche Lust ist mehr als Unterwerfung

Frauen wollen erobert und gevögelt werden? Dass weibliche gelesene Personen nur durch dominanten Penetrationssex erfüllt werden, ist Quatsch. Doch diese Annahme kommt nicht von ungefähr.  

Egal, ob in Pornos, Büchern, Serien oder Filmen: Angeblich besteht der größte Lustgewinn von (cis) Frauen vor allem darin, sich unterwürfig auf Rücken oder Bauch zu rollen und von einem Mann „genommen“ zu werden. Eine Annahme, die in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Zumindest, wenn es um Heterosexualität geht. Vaginal, oral, anal, egal – Hauptsache, Penetration. Das Wort kommt übrigens aus dem Französischen und bedeutet „eindringen“.  

Dazu passt, dass sich laut Studien und Umfragen mehr Frauen als Männer gern beim Sex dominieren lassen oder entsprechende Fantasien haben.

Doch die Vorstellung, dass alle Frauen ausschließlich dann sexuell befriedigt sind, wenn sie penetriert und dominiert werden, ist einseitig und ignoriert verschiedene Formen der Sexualität. Außerdem ist sie auch ziemlich einschränkend bis unterdrückend. Da drängt sich doch die Frage auf: Woher kommt sie eigentlich?

Zum einen gibt es durchaus Frauen und weiblich gelesene Personen, die sich beim Sex zurücklehnen, entspannen und nicht sonderlich engagieren möchten. Und solche, die es mögen, sich aktiv zu unterwerfen. Denen es gefällt, wenn jemand Ansagen macht. 

Zum anderen ist die dominante Rolle für Männer oft gewohnter. Wer auch sonst im Leben gelernt hat, den Ton anzugeben, keine Rücksicht nehmen muss oder die Initiative ergreift, macht im Bett eben damit weiter. Dominanter Sex ist für viele maskuline Personen auch angenehmer, weil sie ihn dann so gestalten können, wie sie ihn wollen. Damit sind sie allerdings auch dafür verantwortlich, dass der Sex schön wird. Und das kann durchaus Druck erzeugen. Vorausgesetzt, sie interessieren sich nicht nur für den eigenen Höhepunkt. 

Aber das ist nicht einfach so entstanden. Das ist keine Laune der Natur. Hinter diesen beiden Aspekten verbergen sich Strukturen. Dass in unserer Gesellschaft nur vaginale Penetration durch einen Mann mit Penis als „richtiger“ Sex zählt und Frauen als passiv und unterwürfig gelten, hat tieferliegende Gründe. 

Was steckt wirklich dahinter? 

Heterosexualität richtet sich grundsätzlich nach männlichen Bedürfnissen und Wünschen. Laut einer US-Studie von 2017 kommen zum Beispiel Frauen in heterosexuellen Beziehungen seltener zum Orgasmus als Männer und auch seltener als Frauen in homosexuellen Beziehungen. Eigentlich am seltensten von allen Befragten in allen Beziehungsformen. Am meisten Höhepunkte erlebten hingegen Hetero-Männer: 95 Prozent kamen regelmäßig. Die Studien-Autor*innen nennen das den „Orgasm Gap“. 

Dieser Gap hängt unter anderem mit dem Mythos vom vaginalen Orgasmus zusammen – demnach kommen Menschen mit Vagina nur durch Penetration zum Höhepunkt. Das haben wir Sigmund Freud, dem Erfinder der Psychoanalyse, zu verdanken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnete er klitorale Orgasmen als „unreif“ und weniger wert. Er behauptete, dass „reife“ und überlegene Orgasmen ausschließlich durch das Einführen des Penis in die Vagina möglich wären.  

Nur: Das ist sexistischer Nonsens. Es gibt keinen rein vaginalen Orgasmus. Die Mehrzahl der Frauen erlebt nicht allein durch vaginale Penetration einen Höhepunkt, sondern durch Stimulation der Klitoris. Die, wie inzwischen bekannt ist, ein sehr viel größeres und komplexeres Organ ist als das, was von ihr zu sehen ist. „Die vaginalen Orgasmen, von denen manche Frauen berichten, sind durch das umliegende erektile Gewebe ausgelöst worden“, schreibt das italienische Sexualforscher-Ehepaar Vincenzo und Giulia Puppo in einem Fachartikel

Auch bei der Selbstbefriedigung berühren sich Personen mit Klitoris fast immer dort. Und bei den meistverkauften Sexspielzeugen, die sich an Frauen richten, liegen Klitoris-Stimulatoren wie der „Womanizer“ weit vorn. 

Wieso dann diese Fixierung auf vaginale Penetration? Das Patriarchat lässt grüßen. Denn wenn Frauen gar keinen Penis brauchen, um zum Orgasmus zu kommen und erfüllenden Sex zu erleben, dann ist ihre Sexualität plötzlich befreit, Männer sind nicht mehr nötig für Orgasmen. Frauen und Menschen mit Vagina können mit allen Personen jeden Geschlechts oder auch allein beglückenden Sex auf verschiedenste Arten haben, einfach so. Eine ziemlich beängstigende Vorstellung für eine Gesellschaft, in der Männer das Sagen haben wollen. Deshalb die Legende, dass Penisse und Penetration unentbehrlich für weibliche sexuelle Erfüllung sind. So behalten Männer ihre Macht. Wer penetriert, dominiert. 

Und daher auch die Geschichte mit der sexuellen Unterwürfigkeit. Zu behaupten, dass Frauenn sich beim Sex von Natur aus gern unterordnen, ist in etwa so, wie zu sagen, dass Frauen von Haus aus besser kochen können, weil ihnen das eben „im Blut“ liegt. Dabei ist es die patriarchale Gesellschaft mit ihren Normen, die weibliche und männliche Personen auch beim Thema Sex entsprechend sozialisiert. Die also vorgibt, was die Geschlechter jeweils erregend zu finden haben und wie sie sich im Bett verhalten sollen. Jungs mögen Blau, Mädchen mögen Rosa. Jungs mögen Autos, Mädchen mögen Puppen. Männer sind dominant, Frauen sind unterwürfig – und so weiter. Diese Strukturen sind nicht unbedingt sichtbar und manifestieren sich unbewusst.  

Auch Kontrolle spielt dabei eine Rolle. Dass weibliche Personen sich sexuell eher zurückhalten, hängt mit Tabus, Scham und sozialer Ausgrenzung zusammen. Sexuell freizügige, aktive und nicht unterwürfige Frauen stellen die patriarchale Ordnung in Frage. Scham dient der (sexuellen) Kontrolle von Frauen. Das ist seit Jahrhunderten so und hat sich auch nicht wirklich geändert. Und so bleibt die Rollenverteilung, wie sie ist.

All das soll nicht heißen, dass Menschen sich beim Sex nicht zurücklehnen, verwöhnen und (ver)führen lassen sollen. Oder dass Penetrationssex keinen Spaß macht. Aber Fragen wie „Warum gefällt mir das? Gefällt mir das wirklich oder erfülle ich Erwartungen anderer? Gibt es vielleicht Dinge, die mir besser gefallen?“ helfen dabei, ein Gefühl für die eigene Sexualität zu bekommen. 

Mädchen Frauen und alle Menschenen brauchen verschiedene Vorbilder und Angebote, um ihre individuelle Sexualität entdecken und ausleben zu können. Frei von Scham, Tabus und Kontrolle. Nur so werden Rollenklischees auch beim Sex nicht mehr reproduziert. 

Denn alle Geschlechter können dominant oder unterwürfig sein wollen, sich dabei abwechseln oder auch gar nichts davon spannend finden. Und vaginale Penetration ist nicht die einzige Form von Sex. Ein menschlicher Körper besteht aus mehr als nur aus Geschlechtsorganen. Es gibt viele verschiedene erogene Zonen und Körperteile, die Lust machen. Auch ein Orgasmus ist nicht das einzige Ziel, Sex kann auch ohne Höhepunkt Spaß machen und erfüllend sein. 

Sexualität ist extrem individuell. Sich selbst und den eigenen Körper zu kennen und Bedürfnisse und Lust kommunizieren zu können, ist das Wichtigste. Und so lange alle Beteiligten damit einverstanden sind und Spaß daran haben, ist alles gut und richtig.

Bildquelle: Womanizer WOW Tech / unsplash

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