Wenn Männlichkeit zerbrechlich ist

Vor einiger Zeit haben wir im Blog einen Text über toxische Männlichkeit veröffentlicht, der viel gelesen und besprochen wurde. Kein Wunder: Der Gedanke, bestimmte Männlichkeitskonzepte seien in irgendeiner Weise giftig, ist nicht besonders angenehm. Als Vorwurf formuliert klingt er insbesondere in den Ohren vieler Männer nach einer totalen Ablehnung ihres Geschlechts – obwohl es ja im Kern darum geht, dass ihnen ein bestimmtes Rollenverhalten aufgezwungen wird, mit dem sie anderen und sich selbst schaden.

Ein weiteres umstrittenes Problemfeld in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass insbesondere stereotype Vorstellungen von harter, durchsetzungstarker und unverwüstlicher Männlichkeit so unglaublich dünnhäutig und zerbrechlich daherkommen. Im Internet existieren ganze Bildkataloge, die sich mit dieser Problematik beschäftigen. Ob es nun Glückwunschkarten sind, die dem Kumpel zwar versichern, dass er ein guter Typ und ein guter Freund ist, aber dann schnell aufhören müssen, weil es sonst seltsam wird,

oder alkoholische „Mädchengetränke“, von denen Mann als Dude wegen seiner Männlichkeit erstmal lieber die Finger lässt (wer weiß, was sonst passiert)

oder ob bei bestimmten Produkten extra darauf hingewiesen werden muss, dass sie für Männer sind –

die Vehemenz, mit der dieser angeblich so harte Kern der Männlichkeit verteidigt wird, lässt sie erstaunlich fragil aussehen.

Jüngstes Beispiel dafür ist der britische Autor und Moderator Piers Morgan. Der verstieg sich auf Twitter dazu, den James Bond Darsteller Daniel Craig als „entmannt“ zu bezeichnen, weil dieser mit seinem Baby im Tragesack unterwegs war.

In der Welt von Piers Morgan sind Tragesäcke nämlich unmännlich. In dieser Welt hält er es auch für sein gutes Recht, das Model Tess Holliday für ihren Körper zu beschämen oder JK Rowling für ihr Engangement und ihre Meinung anzupöbeln. Insbesondere von Rowling muss er dafür ein ums andere Mal einstecken (Eines der wichtigsten ungeschriebenen Gesetze auf Twitter lautet, dass man sich niemals, wirklich niemals mit Rowling anlegen sollte!). In einer ihrer legendärsten Auseinandersetzungen unterstellte er der Autorin, unbedeutend zu sein und schlecht zu schreiben. Sie konterte, indem sie eine Rezension postete, in der sie als sehr relevant und schriftstellerisch höchst begabt bezeichnet wird. Morgan warf ihr daraufhin vor, sich ohne Rücksicht auf Verluste zur Berühmtheit aufzuspielen – und bemerkte dabei nicht, dass er diese Rezension vor Jahren selbst verfasst hatte. Rowling hatte dem bekennenden Trumpfreund also eine Falle gestellt und – um in dessen Sprache zu bleiben – ihm den Sack wie ein Papierhandtuch abgerissen.

Genau darum geht es. Auch in diesem neuerlichen Fall von Männern, die ihre Babys in Tragehilfen vor der Brust haben. Von allen Seiten sehen Männer wie Piers Morgan ihre eindimensionalen Männlichkeitsvorstellungen von Macht, Dominanz und Autorität gefährdet und scheinen dabei nicht zu begreifen, dass sie gerade in ihren Verteidigungsbemühungen unsouverän, jämmerlich und einfältig wirken. Andere haben längst verstanden, dass Kinderliebe, Kümmern und zugewandte Vaterschaft integrale Bestandteile von Männlichkeit sein können. Interessanterweise gesellen sich dazu auch immer mehr Männer, die ihrer physischen Erscheinung nach genau die Art von Männlichkeit verkörpern, die Morgan so wichtig ist – zumindest bei anderen Männern.

Diese Form der Kritik, so unterhaltsam und angebracht sie auch sein mag, verharrt jedoch auf einem ähnlichen Level wie Morgan selbst. Sie lässt sich bei aller Sympathie für mit den eigenen Waffen schlagen zu leicht so lesen, als ob nur Männer, die wenigstens aussehen wie harte Männer, Dinge tun dürfen, die harte Männer sonst nicht tun. Jeder definierte Muskel eine Männerkarte, für die Mann sich einmal unmännliches Verhalten erlauben darf.

Aber dabei sollten und können wir es nicht belassen, weil es der zentralen Frage ausweicht:

Wenn stereotypes männliches Verhalten angeblich so hart und unnachgiebig ist, warum muss es mit solchem Aufwand verteidigt werden?

Womöglich weil es eine aufgezwungene, limitierende Zumutung ist, die den Status Quo erhält (Grüße gehen raus ans Patriarchat!) und verhindert, dass Mannsein einfach das ist, was Männer* draus machen – in all seinen Facetten.
Jetzt brauchen wir nur noch jemanden, der das Piers Morgan steckt… vielleicht sollten wir mal JK Rowling anfragen.