Wenn Weiße nur mit Weißen reden

Es ist das immer gleiche Bild: Nach der brutalen Ermordung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd und den Protesten, die sich an dieser rassistischen Gewalttat entzünden, versucht man in der deutschen Presselandschaft das Geschehen einzuordnen – und zwar mit weißen oder weiß gelesenen Menschen. Bei Maischberger sprechen sie über Rassismus und die Möglichkeit eines Bürgerkriegs in den Vereinigten Staaten, über Covid-19 und Konjunkturpakete. Mitreden darf dabei unter anderem der Kolumnist Jan Fleischhauer, der auch schon mal die Forderung aufgestellt hat, dass „Nazis rein“ gehören und auch sonst gerne bei jeder sich bietender Gelegenheit seine Ignoranz als Waffe benutzt. Das fehlende Problembewusstsein, das die Maischberger-Redaktion hier an den Tag legt, ist Teil einer tiefgreifenden Problematik, auf die People of Color nicht nur als rassifizierte Menschen sondern auch als Expert*innen immer wieder hinweisen.

Diese Problematik zieht sich durch die gesamte Medienlandschaft. Beim Kollegen Lanz wird es wenig später auch nicht wirklich diverser.

Und der Spiegel-Redakteur Markus Feldkirchen, der gerade noch bei Lanz war, redet anschließend für den Podcast seines Magazins mit drei weißen Männern über „die Lage in den USA“. Unter den Gästen auch Benjamin Wolfmeier von den Republicans Overseas Germany. Ein beinharter Trump-Supporter, der wiederholt durch menschenverachtende Bemerkungen aufgefallen ist.

George Floyd nennt er einen „drogensüchtigen Kriminellen“, der „eine Herzattacke hatte, weil ihn ein Polizist ein bisschen zu hart angefasst hat“. Protestierende Menschen sind für ihn „bezahlte Bastarde“. Und natürlich sind in seinen Augen „ungerechtfertigte Plünderungen“ auch so viel schlimmer als rassistische (Polizei-)Gewalt und Morde. Diesem Mann also wird die Plattform für ausführliche Relativierungsarbeit, für Kleinreden, Herunterspielen und offenen Rassismus geboten. Zu Feldkirchens „Verteidigung“ muss man anführen: Wolfmeier ist ein gern gesehener Gast in den Medien. Er spricht beim Deutschlandfunk, beim NDR und bei Phoenix. Er darf beim ZDF genauso seine Meinung kund tun wie beim SWR und der ARD.

Journalismus verharrt in Deutschland in Sachen Diversität und Rassismusbewältigung auf dem Status eines Zwinkersmileys.

So schlimm sei das ja alles nicht, man solle sich das doch alles erstmal in Ruhe anschauen und überhaupt rede man ja nicht nur über Rassismus. So ist das nämlich: Erstens braucht man zum Thema rassistische Gewalt nicht mit Betroffenen sprechen und zweitens haben Schwarze Menschen und People of Color zu anderen Themen außer rassistischer Gewalt überhaupt keine Expertise. So wollen es die Redaktionen anschließend natürlich nicht gemeint haben, aber genau so klingt es. Denn selbstverständlich sind People of Color auch Virolog*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen, Politiker*innen oder Journalist*innen.

Dies zu ignorieren ist kein Versehen, kein „Huch, das wussten wir ja gar nicht“, sondern aktiver Bestandteil rassistischer Strategie. Gerade wir Deutschen sollten dafür sensibel sein, für die verräterische Bequemlichkeit dieser Lüge, von „all dem ja nichts gewusst zu haben“. Wie tief Rassismus und das Wissen um rassistische Privilegien sowie die Macht der weißen Vorherrschaft in Weißen verankert ist, zeigt ein weiterer Zwischenfall, der sich kurz vor dem Mord an George Floyd ereignet hat: Im New Yorker Centralpark wurde eine weiße Frau von einem schwarzen Vogelbeobachter aufgefordert, den Parkregeln zu folgen und ihren Hund anzuleinen. Daraufhin rief sie die Polizei.

Sie kündigte dabei wortwörtlich an: „Ich werde die Polizei rufen und ihnen sagen, dass hier ein afro-amerikanischer Mann ist, der mein Leben bedroht.“ Abgesehen davon, dass das eine glatte Lüge war, zeigt sich hier, wie der Comedian und politische Kommentator Trevor Noah detailreich ausführt,

wie sehr sich diese Frau ihrer Position und die ihres Schwarzen Gegenübers bewusst ist. Sie weiß genau, was sie sagen muss und wie die Polizei darauf aller Wahrscheinlichkeit reagieren wird. Mit einem Mal sind ihre weißen Privilegien gar nicht mehr so unsichtbar, etwas von dem sie gar nichts wusste oder angeblich längst überwunden hat. Stattdessen spielt sie die Rassismuskarte. Die wahre Rassismuskarte. Also nicht die, von der Weiße behaupten, sie würde von Betroffenen genutzt, um ihr angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten mit Diskriminierungserfahrung rechtfertigen. Sondern der Rassismusjoker. Der mit dem weiße Menschen die Bürgerrechte und die schiere Existenz von People of Color glauben übertrumpfen zu können und zu dürfen.

Rassismus hört nicht einfach so auf. Es ist etwas, das konsequent entlernt werden muss, wie die afrodeutsche Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags, Aminata Touré, erst kürzlich ausgeführt hat. Der Zwinkersmiley ist nur die Handyversion eines mittig-liberalen Selbstverständnisses, das glaubt, bestens informiert zu sein, alles Notwendige zu wissen und Rassismus mit Verweis auf die eigene „Farbenblindheit“ längst besiegt zu haben.

Es ist das gleiche Selbstverständnis, mit dem BPoC seit Jahrzehnten und Jahrhunderten von Weißen hingehalten werden, weil es ja keine ausreichenden Beweise gäbe. Weil es wichtigere Dinge gibt. Weil Fortschritt eben Zeit braucht.
„Ich glaube nicht, dass es nach 400 Jahren institutionellem Rassismus an Beweismaterial fehlt.“ sagt Aminata Touré . Und mit dem afroamerikanische Schriftsteller James Baldwin fragen Millionen Menschen, wie viel Zeit wir Weiße eigentlich noch wollen für unseren Fortschritt?

Mit wie vielen „Weiße spielen Rassismus herunter“-Talkshows wollen wir die Lebenszeit Betroffener noch verschwenden? Wie viele „Weiße tun entsetzt oder finden das alles vollkommen unproblematisch“-Runden wollen wir noch drehen? Und wie oft kann man einen Satz wie „Polizeigewalt gibt es nur in den USA!“ eigentlich sagen angesichts von in Polizeigewahrsam verbrannten oder erstickten Menschen in Deutschland. Wir, und damit ist die weißdeutsche Mehrheitsgesellschaft gemeint, sind in der Verantwortung. Dass wir ihr gerecht werden, anstatt uns hinter Zwinkersmileys zu verstecken, ist überfällig.

Foto: Freepik.com

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