Werbung, die im Lockdown Hoffnung macht

Lockdown war hart für mich. Aufstehen, zwei maulende Teenager aus dem Bett und zum Anziehen bekommen, hoffen, dass sie heute wenigstens etwas lernen. Selbst an den Rechner, versuchen, den sonoren Bass meines Nachbarn auszublenden, der im Home-Office viel telefoniert. (Wir leben in einer Altbau-Wohnung.) Ständig schlechtes Gewissen, während bei uns das Netz zusammenbricht, meine Kinder in der Schule absacken und wir vor Mangel an Sozialkontakten die Wände hochgehen. Die ständige Angst: Die Kinder hängen, während ich versuche, zu arbeiten, nur am Handy, auf YouTube und Instagram, verblöden, und wer ist schuld? Ich. Das muss doch alles möglich sein, Arbeit, gesundes Mittagessen kochen, die Kinder motivieren, Lernziele überprüfen, Französisch-Vokabeln abhören und „Lese doch mal ein Buch, Schätzelchen, ich habe hier was Tolles für dich!“
trällern. Und dann einen kreativen Spaziergang durch die Hafen-City planen. Außerdem müsste ich dringend eine Kampagne gegen die Unsichtbarkeit von Jugendlichen in der Pandemie starten.
Und dann kommt Billie. Und rettet mich.

https://www.youtube.com/watch?v=BGHpMnbdXNk
(Videolink führt zu Youtube, auf Vimeo ist das Video nicht verfügbar.)

Was Billie Eilish mir sagt, ist: „Alles wird gut. Wir machen das schon. So schlimm ist das alles gar nicht. Unter uns entsteht eine Generation starker Feminist*innen, die Social Media nutzt, um sich zu vernetzen und laut zu werden. Wir kümmern uns schon um uns. Hab Vertrauen!“ Immer, wenn ich heulen könnte vor Wut, dass ich nichts gegen Ursula von der Leyens Impfkatastrophe, Spahns „Kinder? Was ist das?“ oder Giffeys „Wir haben doch jetzt 150 Euro Elterngeld für Alle!“ tun kann, denke ich jetzt an Billie. Alles wird gut!

Und tatsächlich hilft es mir, meine Tochter ernster zu nehmen, die seit einem Jahr förmlich auf Twitter lebt, weltweit neue Freundschaften geschlossen hat und mir mehr über finnische Politik und koreanische Kultur erzählen kann, als ich je wusste (nämlich gar nichts). Ich glaube meinen Kids jetzt, wenn sie sagen, dass sie auf TikTok besser Mathe erklärt bekommen (von einer US-amerikanischen Drag Queen) als in der Schule und auch Physik und Chemie dort mehr Sinn machen. Ich brauchte Billie, um diese Generation nicht ständig abzuwerten, sondern zu akzeptieren, dass sie anders kommuniziert als wir – aber oft sehr viel reifer, als wir es in dem Alter taten. All das gibt mir Freiheiten als alleinerziehende Mutter. Der gesamte deutsche Rabenmutter-Druck wird durch Billies Stimme erleichtert. Sie hat ja Recht: Auf Insta können die Kids sich Rezepte raussuchen und mittags selbst kochen, Nachhilfe gibt es im Netz und hey, sie sind echt nicht allein. Die schaffen das!

Denn was kommt aus der deutschen Politik? Nichts. Wenigstens das Kantinenessen der Schulen hätte man weiter produzieren und in die Häuser liefern lassen können. Von Luftfiltern und kreativen Unterrichtskonzepten will ich gar nicht erst anfangen. Soziologin Jutta Allmendinger hat in Interviews und Talkshows erklärt, wie stark Frauen beruflich in der Pandemie zurückgeworfen werden. Interessiert das in Berlin oder im Hamburger Senat irgendwen?

Natürlich rettet mich nicht Billie, sondern die Werbeagentur Saatchi & Saatchi (London) im Auftrag der Deutschen Telekom. Und während diese für die Generation Z eine Lanze bricht und uns als Eltern entlastet, haben die natürlich auch die Vorgabe, die Reichweite eines Netzanbieters zu erhöhen. Ich bin ja nicht doof. Aber ich nehme doch jederzeit lieber diesen Film als einen, der mir schon wieder erzählt, was ich als Frau und Mutter alles können muss. Oder besser: Nicht kann.

Den „Pinken Pudel 2021“ hat die Agentur Saatchi & Saatchi auf jeden Fall verdient – und wir uns eine Pause. Billie auf die Ohren und ab an die frische Luft! Ich meine euch, nicht die Kinder!

Alles Liebe von eurer
Stevie

Bildquelle: Unsplash

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