Wie divers ist das deutsche Fernsehen?

Am Dienstag wurde in Berlin die Studie „Sichtbarkeit und Vielfalt“ der MaLisa-Stiftung vorgestellt. Wir haben vor Ort mit Schauspielerin Maria Furtwängler und Moderatorin Eva Schulz über die Ergebnisse und die Entwicklungen der vergangenen Jahre gesprochen.

Wie sieht es eigentlich mit der Diversität im deutschen Fernsehen aus? Diese Frage hat sich die MaLisa-Stiftung, gegründet von Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth, bereits vor vier Jahren bezüglich der Sichtbarkeit von Frauen und Mädchen im deutschen TV gestellt. Damals offenbarten die Studienergebnisse eine deutliche Schieflage:
Frauen und Mädchen kamen im deutschen TV wesentlich seltener vor als Männer und Jungen. Dazu traten sie oft in stereotypen Rollen oder Kontexten auf. Sie kamen nur selten als Expertinnen zu Wort – und verschwanden immer mehr vom Bildschirm, sobald sie dreißig oder älter waren. 

Die Fortsetzungsstudie, die nun in Berlin präsentiert wurde, lieferte nicht nur neue Erkentnisse zur Sichtbarkeit von Geschlechtern und bezüglich des Abbilds unserer Gesellschaft im TV. Sie bot auch eine Plattform, um über diese Themen zu sprechen. Dunja Hayali, Morgenmagazin- und Sportstudio-Moderatorin, und Eva Schulz, Reporterin und Moderatorin bei Deutschland3000, moderierten die Podiumsdiskussion, in der sich Maria Furtwängler, dazu die Leiterin der Studie, Prof. Dr. Elizabeth Prommer, und verschiedene Programmverantwortliche der deutschen Senderlandschaft zu den Ergebnissen äußerten. Zudem meldeten sich Journalist*innen und Aktivist*innen zu Wort, stellten Fragen oder ergänzten die Studienergebnisse mit wichtigen Hinweisen. 

Klar wurde eines ganz schnell: Es ändert sich was – aber nur langsam.

  • Das Geschlechterverhältnis im deutschen Fernsehen ist auch vier Jahre nach der ersten Vorstellung der Studie weiterhin unausgeglichen. In allen TV-Programmen kommen auf eine Frau immer noch zwei Männer.
  • Auch das Kinderfernsehen ist nach wie vor unausgewogen, doch auch hier werden in aktuellen Produktionen mehr weibliche Personen und Figuren sichtbar.
  • Dennoch gibt es auch positive Entwicklungen. In den fiktionalen TV-Produktionen ist das Geschlechterverhältnis beinahe ausgewogen, auch der Altersgap wurde dort kleiner, und in den Informationsformaten sind es nicht mehr ausschließlich Männer, die die Welt erklären. 
    Trotzdem sind sie gerade dort nach wie vor in der Überzahl. Wie kann das sein? Gibt es keine weiblichen Expertinnen? 

„Gerade bei den journalistischen Beiträgen, wo Geschwindigkeit gefordert ist, greifen redaktionelle Routinemechanismen“ , sagt Maria Furtwängler im Interview mit Pinkstinks. Frauen seien besonders kritisch mit sich, wenn sie als Expertinnen angefragt würden – auch, wenn es um Bereiche geht, in denen sie in der Mehrzahl sind und über großes Fachwissen verfügen. 

„Es ist anspruchsvoller, Frauen als Expertinnen vor die Kamera zu kriegen, denn wir Frauen neigen dazu zu sagen: ‚Das ist nicht ganz mein Bereich.‘ Viele Männer sagen in so einer Situation aber: ‚Klar, ich komme. Worum geht’s denn?’“ Die Lösung sei, dass sich die Redaktionen mehr Zeit nehmen, den Expert*innenstatus und Netzwerke prüfen, und Frauen ermutigen, vor die Kamera zu kommen. Denn wichtig sei vor allem die Sichtbarkeit.

Wenn ich eine kompetente Frau vor der Kamera sehe, wirkt das auf mich empowernd.

Maria Furtwängler

Zieht sie selbst Konsequenzen, wenn Produktionen nicht divers genug sind? Oder stellt sie Bedingungen? 

„Ich versuche, in dem Bereich, wo ich Einfluss nehmen kann, Einfluss zu nehmen“, sagt die Schauspielerin. So suche sie zum Beispiel das Gespräch mit Drehbuchautor*innen, wenn zu wenig Frauen vorkämen. 

Wer ist sichtbar? Wer ist unsichtbar?

Ein weiterer Fokus der Fortsetzungsstudie soll zeigen, ob das Fernsehen die Bevölkerung abbildet. Die Ergebnisse zeigen: Queere Personen, Schwarze und People of Colour sowie Menschen mit Behinderung tauchen im deutschen Fernsehen zu selten auf. Behinderungen, sexuelle Orientierung, Migrationshintergrund und Zuschreibungen ethnischer Herkunft sind nicht so vielfältig sichtbar, wie sie real in der Bevölkerung verteilt sind. 

Es wird eine überwiegend weiße und männliche Welt gezeigt.

Prof. Dr. Elizabeth Prommer, Leiterin der Studie

Was die Diskussion außen vorgelassen hat, sind Online-Angebote. Eigentlich schade, denn gerade die zeigen, dass es auch anders geht. Eva Schulz sieht den Vorteil von Online-Medien wie funk, einem Angebot des öffentlich rechtlichen Rundfunks, darin, dass sie vor allem jungen Menschen und jungen Formaten eine Stimme geben. „Wir haben viele junge Menschen, die auch Chefinnen- und Chefpositionen innehaben, die Entscheidungen treffen können und deren Prioritäten zum Teil anders liegen. Sie schaffen tolle junge und diverse Formate und sind sensibel gegenüber Diversität.“ Die Sendezeit im Internet ist nicht begrenzt, es können tolle Formate für verschiedene Zielgruppen entstehen. Das sieht Eva als Vorteil, aber sie wünscht sich ebenfalls Räume, in denen die neuen Formate neben den etablierten und älteren Formaten stattfinden können.

„Die Zeiten gendern sich“ – Moderatorin Eva Schulz und Pinkstinks-Redakteurin Susan Barth in Berlin.

Glaubt sie, dass sich bald etwas ändern wird? „Ich nehme allen, die heute da waren, ab, dass sie das Thema auf dem Schirm haben und dass wir heute nicht nur Lippenbekenntnisse gehört haben. Gleichzeitig frage ich mich, ob das reicht. Denn wirklich konkrete Ziele haben mir noch ein wenig gefehlt.“

Mehr Infos zur Studie findet ihr auf der Website der MaLisa-Stiftung. Die vollständigen Ergebnisse gibt es hier.

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