Wie Hip-Hop uns retten kann

 

Ich bin 42 Jahre und mit Kim Wilde aufgewachsen: Ich verstehe nichts von Hip-Hop. Natürlich haben wir die Alben der feministischen Rapperin Sookee zuhause und meine Zehnjährige kann ihre Tracks auswendig. Ich liebe ihre Texte und den fordernden Beat ihrer Songs. Aber über Sookee hinaus wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich mehr über die Szene zu informieren. Klassischer Hip-Hop: Das war für mich als alte Hobby-Ballerina immer latent untanzbar, ungewohnt monoton und nix zum träumen.

Denkste.

Blanca und ich hatten einen harten Tag. Ich hatte morgens vor dem Verbund der Werbestrategen Deutschlands gesprochen, ein Umfeld, das einen entmutigen kann. Erfolgreiche Werber*innen, die Pinkstinks komplett unnötig finden, weil eine Tochter trotz intensiver kindlicher Rosaphase Chemie studiert. Das eigene Kind ist weder von Körperdysmorphie noch mangelndem Selbstbewusstsein betroffen – wo ist dann das Problem? Statistiken? Pffft.

Abends saßen wir bei Sookee auf der Couch. Sie war fast am Ende ihrer Deutschlandtour in Hamburg angekommen und spielte im Übel & Gefährlich. Dort trafen wir auch Karin Heisecke von One Billion Rising, die von ihrer Arbeit gegen sexualisierte Gewalt berichtete: Sookee und ihr Label Springstoff sind Meisterinnen der feministischen Vernetzung. Auf ihrem neuen Album „Lila Samt“, das sie auf der Tour vorstellt, sind auch andere feministische Rapper*innen zu hören – genau wie bei ihren Auftritten. An diesem Abend waren es Gäste aus Hamburg, Südafrika und den USA, eine bunte Mischung an Hip-Hop-Künstler*innen, die uns Glücksgrinsen und Gänsehaut bereiteten.

Shirlette Ammons kommt aus North Carolina. Im kurzen Gespräch empfanden wir sie als sehr zugewandt und feinsinnig. Gerne hätten wir uns stundenlang mit ihr über feministische Vernetzung unterhalten. Auf der Bühne ist sie geballte Wucht von Dingen, die mal gesagt werden müssen. „Who owns Hip-Hop?“ sang sie zusammen mit Sookee, und machte eine klare Ansage an die männlich dominierte Rapwelt. Das fröhlich tanzende, sehr diverse Publikum wollte sie nicht von der Bühne lassen. Blanca und ich fragten uns, ob unsere Töchter in fünf, sechs Jahren unter ihnen sein würden. Viele Mädchen, die Sookees antirassistische und antisexistische Texte auswendig konnten und sich so ganz anders präsentierten als die normierte, gepflegt langhaarige Schönheitsvorgabe* der Hochglanzmagazine. Zecken, eben. Wunderbare, energiegeladene und ihre Wut und Energie rausschreiende junge Menschen, die genau das taten, was für egal welches Geschlecht nur gesund ist: Sich lauthals beschweren, am besten gemeinsam. Antilopen Gang, eine besonders für Anti-Sexismus und Antifaschismus bekannte rein männliche Hip-Hop Truppe, heizte das zum Bersten gefüllte Übel & Gefährlich ebenso ein wie TemmyTon (mit DJ Knopfdruck), die Hamburger Hip-Hopperin, die wir sofort als role model für unsere deutschsprachigen Leser*innen sahen. Mit einer unfassbar souveränen Eleganz machte TemmyTon Ansage, die man mit Pop oder Soul nie rüber bekommen würde.

Man muss Hip-Hop als Musikrichtung nicht verstehen, um von den sprachlichen Inhalten und den Performances der Akteur*innen mitgerissen und verwandelt zu werden. Wir wurden es. Mit jedem Lied und jeder neuen Künstler*in auf der Bühne wurden unsere Akkus ein Stück aufgeladen. Als wir gingen hatten wir gefühlte Kraft für zwanzig neue Demos und einige Straßentheatertouren. Wir wollten die Welt umarmen und schreien: „We can purplize it!“ Wir können die Welt lila machen! Lila ist nämlich, was rauskommt, wenn man rosa und blau mischt. Wir schaffen das!

Meine Beine hörten übrigens den ganzen Abend nicht auf zu zappeln, auch wenn ich zum Beat keine Pirouetten drehte. Vielleicht probiere ich es nächstes Mal ja aus. Ich verstehe jetzt immer noch nichts von Hip-Hop. Aber eines weiß ich: Er macht glücklich.

P.S.: Lex Lafoy und DJ Doowap aus Südafrika mussten wir leider verpassen, weil wir nur noch fünf Stunden zum Schlafen hatten. Jammerschade. Denn wann wird es dieses unglaubliche Aufgebot wieder geben? Sookee macht jetzt erst mal eine Bühnenpause. Aber, wie sie sagte: „Auch wenn ich mal nicht da bin, wird es immer andere geben, die weiter machen.“ Und nach diesem Abend, der neben Sookee so viele weitere grandiose Akteur*innen sichtbar gemacht hat, glauben wir das auch. Danke, Sookee und Springstoff!

P.P.S.: Wer nur ein Lied hören möchte, um zu verstehen, was ich meine: Sookees „Vorläufiger Abschiedsbrief“ auf Lila Samt erklärt, warum wir weiblichen Hip-Hop und feministische Vernetzung brauchen. Und zum Schluss muss man ganz viel nicken und heulen: Vor Wut und Erleichterung, dass da jemand ist, die es für einen rausschreit, und dank ihres Einsatzes inzwischen weltweit gehört wird.

*Ich bin auch langhaarig. Ich habe langhaarige Frauen eben nicht diffamiert. Ich habe mich gefreut, dass es Vielfalt gibt. Wenn die noch medial sichtbar wäre, wäre das grandios. Und: Natürlich. Es gibt auch antifaschistische, antisexistische, kritische Menschen mit langen Haaren. Vielfalt ist Schönheit.

Foto: Shirlette Ammons im Übel & Gefährlich, 5.06.2014