Folgende Situation kennt ihr sicherlich in der einen oder anderen abgewandten Form: Ich renne aus dem Büro und hole bei Aldi schnell noch zwei Pizzen, damit die Kinder zum Abendbrot etwas zu essen haben. Ein junger Mann steht vor mir in der Nähe der Kasse. „Stehst du an oder darf ich vor?“, frage ich gehetzt. Er macht eine einladende Geste, ihn zu überspringen. Ich lächle dankend, wie das gut erzogene Menschen so machen. „Ach, ihr Frauen“, sagt der Mann, der noch immer nicht richtig ansteht. „Ihr wisst doch genau, wie man das macht. Einfach mit dem Mann vor euch an der Kasse flirten und schon seid ihr schneller dran.“
Es war ein langer Tag und mein Kopf scheint hohl. Ich lächle irritiert und drehe mich von ihm weg. Er sagt noch etwas, aber ich deute durch meine stumme Hinterseite an, dass ich in Eile bin und nicht zuhöre.
Erst Tage später, als meine Familie und ich im Auto unterwegs sind, rede ich über dieses Ereignis. „Was hätte ich ihm sagen können?“, frage ich meine beiden Töchter. „Wer flirtet denn hier, du willst doch mit mir flirten“, bietet meine ältere Tochter an. „Das würde der doch als klare Einladung lesen, weiter zu baggern“, sagt mein Mann. „Ist dir klar, dass das übergriffig ist? Nicht jede Frau, die freundlich ist, flirtet“, bietet er als Ersatz an. Ich erwidere, dass das so Bier-ernst und besserwisserisch klingt, dass man dann gleich wieder als ätzende Emanze abgewertet wird. Es entwickelt sich eine Diskussion über die Frage, wie man Menschen erfolgreich auf ihren Sexismus hinweisen kann, so dass sich wirklich etwas ändert. Geht das überhaupt? Finden die einen nicht immer so doof, dass die Botschaft eh nicht ankommt?
Meine kleinere Tochter denkt nach. „Neulich saß ich mit Opa, Oma und meiner Kusine im Café, und Opa sagte: ‚Was habe ich für eine Ehre, mit drei so hübschen Damen im Café zu sitzen!‘ Ich fand das doof. Ich bin doch keine Deko-Puppe. Kusine Greta sagte nur trocken: „Ja, und stell dir vor: Schlau sind wir auch.“ Aber das sagte sie leise. Oma grinste nämlich breit und freute sich über das Kompliment. Wie kann man ihm dann klar machen, dass wir das voll daneben finden?“
Sie hat einen Punkt. Jahrelang sind Männer erzogen worden, Frauen Komplimente zu machen. Einer Frau hinterher zu pfeifen war nichts Vermessenes, heute nennen wir es zurecht „Catcalling“ oder sogar Belästigung. In Großbritannien ist es normal, wildfremde Frauen als „Liebling“ oder „Süße“ anzusprechen, während eine jüngere Generation den Sexismus darin zu benennen anfängt. Auch mir, die ich jetzt fünfzehn Jahre in Deutschland gelebt habe, ist es sehr fremd geworden, vom Zeitungsverkäufer ein „Hello Luv“ zu bekommen. Gleichzeitig weiß ich, dass er es nicht böse meint. So macht man das eben. Ich würde ihn nie berichtigen. Schon gar keinen Mann, der älter als ich ist – Erziehung und so.
Interessanterweise fiel es mir neulich überhaupt nicht schwer, das Verhalten zweier mittelalter Männer schwarzer Hautfarbe freundlich zu berichtigen. Dass ich bei Aldi sprachlos den flachen Sexismus eines weißen Mannes hinnehme, diese beiden Männer aber ohne Zögern korrigierend ansprach, finde ich erschütternd. Denn dies konnte nur geschehen, weil ich sie instinktiv auf der Hierarchie-Skala als „unter“ mir stehend empfunden habe. Mein Gefühl dazu war, rückblickend, ihnen „zu helfen“, damit sie in den Wehen der Kölner Silvesternächte nicht in Sippenhaft genommen werden. Das mag ja nett von mir gedacht sein – aber wie diskriminierend bin ich darin selber?
Ich joggte durch unseren lokalen Park, als die beiden – auf einer Bank sitzend – mir fröhlich „Hi Beautiful!“ entgegen riefen. Ich stoppte ab, ging auf sie zu und sagte freundlich auf englisch: „Wisst ihr was? Nehmt es mir nicht übel, aber manche Menschen könnten das als übergriffig deuten.“ Einer der beiden, der Ältere, sagte „I know what you mean“, und schaute schüchtern zu Boden, der andere sagte zeitgleich: „I don’t know what you mean“ und schaute mich fragend an. Wir tauschten uns sehr freundlich aus über die Grenzen zwischen Komplimenten und Belästigung, endeten mit einer Vielzahl von „No Offence!“ und „God bless!“ und ich ging weiter. Es war so einfach gewesen.
Deshalb hier eine Überlegung: Wie wäre es, wenn wir einen solchen Mann an der Kasse gedanklich als „Nicht-Feind“ einordnen. Zum Beispiel als minder-privilegierten Menschen in unserer eher xenophobischen Kultur, der sich über eine freundliche Ansprache freut, selbst wenn sie belehrend ist. Wie wäre es, wenn ich gesagt hätte: „Weißt du, ich fühle mich unwohl dabei, wenn du so etwas sagst. Ich habe nicht vor zu flirten, ich will einfach schnell nach Hause zu meinen Kindern. Nimm es mir nicht böse, aber ich finde den Spruch doof. Danke, dass du mich vorgelassen hast.“ Freundlich, ohne anzuschuldigen – denn nicht jeder weiß in jedem Moment, dass er übergriffig handelt. Auch ich nicht. Ich glaube, das Wichtigste ist, in diesem Moment die eigene Irritation wahrzunehmen, ohne die Wut darüber auf das Gegenüber zu übertragen. „Soll ich lächeln? Soll ich dankbar sein? WTF soll ich eigentlich?“ – nicht jeder individuelle Mann kann etwas für die Verwirrung, die uns das langsame Loslösen aus patriarchalen Strukturen bereitet. Wenn wir diese Irritation ausdrücken, anstatt gleich loszupoltern, kann sich aber vielleicht mehr verändern, als durch patzige Angriffe.
Ich versuche das auf jeden Fall bei der nächsten „blöden“ Anmache. Ob ich das schaffe, steht auf einem anderen Blatt. Aber es zu versuchen ist immer noch besser, als mich bloß stumm umzudrehen und so zu tun, als sei nichts passiert.