Wie sexistisch sind unsere Lieblingsserien?

Hose aus, Netflix an! Entspannung bedeutet für viele, nach einem langen Tag das Gehirn aus- und Serien einzuschalten. Abzutauchen in eine andere Welt. Aber wie anders ist diese Welt wirklich?

Serien sind zum Runterkommen besonders beliebt. Sie erschaffen Orte, in denen sich Zusehende zu Hause fühlen und von Stress und Ärger ablenken können. Dagegen ist nichts einzuwenden. Eskapismus – also das Bedürfnis, das eigene Elend mal für ein paar Minuten vergessen zu können – ist total okay und ein Stückchen Selbstfürsorge und Belohnung.

Insgesamt verbringen wir pro Tag ganze 214 Minuten vor dem Fernseher. Das sind gut dreieinhalb Stunden. Auf ein Jahr gerechnet macht das fast 54 volle Tage – nur Bewegtbild! Das bleibt nicht ohne Einfluss. Und deshalb ist es auch nicht egal, was wir uns da tagelang reinziehen.

Schau dir hier unser Video mit Maximilian Mundt zum Thema an:

Hier kannst du unser Video auch auf Vimeo schauen. 
Du willst das Video teilen? Dann schau doch mal auf Instagram oder Facebook.

Warum ist es wichtig, was wir gucken?

Wenn wir im Chill-Modus sind, merken wir nicht, was da so auf die Synapsen einprasselt. Der Wunsch nach Entspannung und Abschalten kann dazu führen, dass wir die gezeigten Handlungen in unseren Lieblingsserien nicht hinterfragen.

Das heißt aber nicht, dass wir davon nichts wahrnehmen. Sexismus in Serien sickert beim Gucken ins Halbbewusstsein. Und das kann problematisch sein. Zum Beispiel dann, wenn in einer Serie sexualisierte Gewalt als Unterhaltungs- oder Stil-Element vorkommt. Oder wenn misogyne Vorurteile wiederholt werden. Aber auch, wenn ein diskriminierendes und einschränkendes Gesellschaftsbild auftaucht und als normal dargestellt wird.

Damit ganze 3,5 Stunden täglich konfrontiert zu sein, kann ins echte Leben überschwappen. Denn Geschichten, die wir immer wieder hören oder sehen, formen nach und nach unsere Gedankenwelt. Und die wiederum beeinflusst irgendwann auch unser Handeln.

„Es gilt als erwiesen, dass Sprache die Wahrnehmung lenkt, so dass es notwendig ist, sprachliche Gleichberechtigung umzusetzen“, schreibt beispielsweise die Gesellschaft für deutsche Sprache auf ihrer Website.

Sexismus in Serien kann langfristig dazu führen, dass sich überzogene Erwartungen an- und verdrehte Vorstellungen von Beziehungen und Sexualität einschleichen. Aber auch, dass die Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen und weiblich gelesenen  Personen steigt.

Was ist eigentlich Sexismus?

Sexismus bedeutet vor allem, einen Menschen aufgrund des Geschlechts abzuwerten und zu diskriminieren. Der Begriff kommt vom englischen Wort fürs medizinische Geschlecht: sex. 

Sexismus zeigt sich auf verschiedene Arten – in Handlungen, Worten, Gesten oder auch strukturell: Vom ungefragten Kommentar zum kurzen Rock, ungleich verteilter Care-Arbeit und Bezahlung bis hin zu verbalen und körperlichen Übergriffen. Da wir in einer patriarchal geprägten Gesellschaft leben, richtet sich Sexismus vor allem gegen Frauen und weiblich gelesene Personen, Minderheiten und Gruppen, die vom heteronormativen Gesellschaftsbild abweichen. Aber auch Männer und männlich gelesene Personen sind betroffen. Zum Beispiel, wenn sie unter dem Druck stehen, das Rollenbild vom “immer starken Kerl” zu erfüllen. Kurzum: Sexismus ist, wenn das wahrgenommene Geschlecht bestimmt, wie eine Person behandelt und gesehen wird. 

Und wie sieht das in beliebten Serien aus?

Drei Arten von Sexismus in Serien

Triggerwarnung: Der folgende Absatz behandeln u. a. die Themen sexualisierte Gewalt, Queerfeindlichkeit und Bodyshaming

Sexismus kommt in verschiedenen Formen in beliebten Serien vor. Viele davon zeigen ein heteronormatives Weltbild und wiederholen veraltete Muster und Rollenbilder. Dabei reicht die Bandbreite von verdecktem Alltags-Sexismus über offene Frauenfeindlichkeit bis hin zu Gewalt gegen weiblich gelesene Personen. 

Das wohl krasseste Beispiel für offenen Sexismus ist die HBO-Serie Game of Thrones – laut IMDB die meistgesehene Serie aller Zeiten. Darin kämpfen die Großfamilien von Westeros um den eisernen Thron. Die Show ist dafür bekannt, dass weibliche Figuren sehr nackt sind – und vergewaltigt werden. Oft auch ohne, dass es für die Handlung relevant wäre.

Dadurch werden ernste Themen wie die Objektifizierung von weiblichen Körpern und sexualisierte Gewalt zum Unterhaltungsfaktor verharmlost. Je öfter Zuschauende so etwas sehen, desto mehr gewöhnen sie sich unbewusst daran und stumpfen ab.

Das ist nicht nur aus Publikums-Perspektive problematisch: Schauspielerin Emilia Clarke erzählte zum Beispiel in einem Podcast-Interview, wie schwer das für sie und ihre Kolleg*innen war. „Er hat mehr geweint als ich“, sagte sie über ihren Co-Star Jason Momoa. Dabei stand die Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht von Daenerys Targaryen (Emilia Clarke) und Khal Drogo (Jason Momoa) nicht mal in der Buchvorlage. Diese Entscheidung haben allein die männlichen Serien-Verantwortlichen getroffen.

Dass es eine Fantasy-Serie in einer eigenen Welt spielt, macht die Sache übrigens nicht besser.

Noch eine Serie mit Sexismus-Problem und realen Folgen ist Breaking Bad. Hier geht es um klassische, weit verbreitete Frauenfeindlichkeit. Der krebskranke Chemielehrer Walter White produziert Crystal Meth, um für seine Familie finanziell vorzusorgen. Und seine Frau Skyler kommt in der Serie nicht gut weg.

Sie wird als exaktes Gegenteil der fürsorglichen Hausfrau dargestellt. Weil sie sich nicht in die stereotypische Rolle der unterwürfigen und dankbaren Ehegattin fügen will. Obwohl Skyler in der Serie belogen und angegriffen wird, sehen viele Fans den Antihelden Walter als Opfer seiner heuchlerischen, herrschsüchtigen und frustrierten Frau, die ihrem Mann im Weg steht.

Das entspricht exakt dem Weltbild von „Incels“ – „involuntary celibates“ (frei übersetzt: unfreiwillig Enthaltsame). Das sind Männer, die sich unattraktiv und von Frauen abgelehnt fühlen und deshalb keine sexuellen Beziehungen haben. Sie äußern sich frauenfeindlich. Einige sind in der Vergangenheit gewalttätig geworden.

Der Hass auf die Figur Skyler wurde so groß, dass Schauspielerin Anna Gunn sogar im echten Leben Morddrohungen bekam. „Ich hatte nicht damit gerechnet, wie sehr sich die Leute in die Figuren hineinversetzen und dass sie so eine unglaubliche Wut auf Skyler entwickeln würden“, so Anna. „Männliche Charaktere scheinen nicht die gleiche Art von Hass und Hetze auszulösen.“

Doch Sexismus in Serien kommt auch unauffälliger daher. Friends gehört zu den beliebtesten Wohlfühl-Sitcoms der 1990er und 2000er. Die Serie ist ein fester Teil der Popkultur und wird auch heute noch gern geschaut. Vor allem jüngere Zuschauende kritisieren aber einige Handlungsstränge als sexistisch und homophob. Zum Beispiel, als Ross nicht möchte, dass sein Sohn mit Barbies spielt oder als er als Uni-Professor eine Beziehung mit einer Studentin eingeht. Aber auch, dass Chandler Angst hat, für schwul gehalten zu werden. Vom Bodyshaming Monicas mal ganz abgesehen.

„Es gibt eine Generation von Leuten, die sich jetzt Folgen von Friends ansehen und sie unangemessen finden“, sagte auch Rachel-Darstellerin Jennifer Aniston in einem Interview mit Variety. „Es gab Dinge, die nie beabsichtigt waren, und andere … wir hätten das besser durchdenken können … aber es gab damals nicht die gleiche Sensibilität wie heute.“

Und dank Streaming ist es nicht unbedingt ausschlaggebend, wie alt eine Serie ist. Denn sie kann trotzdem 214 Minuten am Tag laufen. Klar muss man das im Kontext der Zeit sehen. Für die 90er waren beispielsweise Teile von Friends recht progressiv. Aber die 90er sind eben auch seit einem Vierteljahrhundert vorbei.

Damit vielfältige Perspektiven vor der Kamera tatsächlich Platz finden, muss es sie außerdem auch hinter der Kamera geben. Zum Beispiel beim Schreiben der Drehbücher oder bei der Regie. Denn auch hier sind sexistische Strukturen noch immer fest verankert.

Wo Sexismus keine Rolle spielt

Aber es gibt auch Positives zu berichten: Denn das Bewusstsein für Sexismus in Serien wächst. Genauso wie das Publikumsinteresse an Produktionen, die veraltete Rollenbilder kritisch hinterfragen und uns mehr zutrauen, als sexistische Flachwitze. Mal ehrlich – die sind doch langsam wirklich auserzählt! 

Ein positives Beispiel ist die britische Serie Sex Education, die Themen wie Sexualität, Beziehung und Selbstakzeptanz behandelt. Es gibt viele weibliche Charaktere, die ihre eigenen Entscheidungen treffen und ihre Sexualität frei ausleben. Gleichzeitig zeigt die Serie aber auch auf, wie weibliche, queere und nicht-binäre Menschen unterdrückt oder sexualisiert werden – und dass andere (vor allem Jungs und Männer) lernen müssen, sie zu respektieren und zu unterstützen. Was letztlich allen zugute kommt.

Die Coming-of-Age-Serie Heartstopper (nach den Graphic Novels von Alice Osemann) erzählt feinfühlig die Highschool-Romanze zweier queerer Teenager. Dabei stellen sich Fragen nach sexueller Identität und Coming-Out, dem Umgang mit Homophobie und Diskriminierung. Es finden sich aber auch Szenen abseits spezifisch queerer Themen, wie wir sie aus typischen Rom-Coms kennen: Gefühlschaos im Teenie-Zimmer, Doppel-Dates mit bunten Milchshakes und kitschiges Knutschen. Dadurch wurde die Serie bekannt für die authentische und einfühlsame Darstellung von LGBTQ+ Charakteren. Aber auch für die Ablehnung von Sexismus und Diskriminierung.

Um die talentierten Produzent*innen hinter solchen Serien zu unterstützen, erteilen wir uns allen feierlich die Lizenz zum Bingwatchen! Aktuell arbeiten wir nämlich fleißig an Rezensionen zu den feministischen Serien-Highlights unseres Teams. Also, nicht verpassen: Melde dich jetzt für unseren Newsletter an und freu dich am 15. September 2023 auf feinste feministische Serien-Tipps in deinem Postfach!

Sexismus in Serien erkennen

Bechdel-Test: Gibt es mindestens zwei weibliche Figuren mit Namen und unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Wenn ja: alles klar!

Landau-Test: Stirbt die weibliche Hauptfigur, wird sie schwanger oder stellt sie – wie Skyler White – ein Hindernis für den männlichen Protagonisten dar? Dann fällt die Serie durch.

Pierce-Test: Gibt es mindestens eine weibliche Figur mit einer eigenen, authentischen Geschichte, die ihre Bedürfnisse zeigt und danach handelt? Können Zuschauende sich in sie hineinversetzen?

Villareal-Text: Ist die weibliche Hauptfigur ein stereotypisches Klischee – also Sexbombe, kaltherziges Monster, Matriarchin? Das ist nur dann okay, wenn sie gleichzeitig auch drei von diesen vier Dingen hat: 1. Karriere, Autorität und Macht; 2. Kinder; 3. die Erlaubnis, sich rücksichtslos zu verhalten; 4. die Freiheit, ihre Sexualität und sexuelle Identität frei auszuleben und zu bestimmen.

Weiterführende Links & Infos


Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter “Frau” und “Mann” berücksichtigen. 

Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren Netzwerken hinterlassen und dort mit fast 140.000 Menschen teilen!

Bildquelle: Pinkstinks Germany e. V.