Willkommen im Herrenhaus

Es kann kaum jemandem entgangen sein. Schon bevor die Ergebnisse am Wahlabend reintrudelten, war klar: Der Bundestag der 19. Wahlperiode würde in mehr als einer Hinsicht einen Rückschritt einleiten. Über die AfD wollen wir hier nicht viele Worte verlieren. Auch unter anderen Gesichtspunkten gibt es wenig Grund zur Freude: Mit knapp 30 Prozent Frauenanteil ist das deutsche Parlament auf den Stand Beginn der 90er zurückgefallen.

Wenn die vielen Herren und wenigen Damen Ende Oktober zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages zusammenkommen, wird das Parlament mit 709 Angehörigen bereits das zweitgrößte der Welt sein – nur Chinas Volkskongress ist größer. Da aber auch in Peking nicht viele Frauen mitmischen, liegt der Schluss nahe: Größer heißt nicht automatisch gleichberechtigter.

Besonders bitter: Die nun beginnende Legislaturperiode umfasst auch den 100. Jahrestag der Erweiterung des Wahlrechts auf Frauen (1918) sowie den 100. Jahrestag der ersten Rede einer deutschen Parlamentarierin: Im Februar 1919 trat Marie Juchacz für die SPD ans Rednerpult des Reichstages und löste mit der Begrüßungsformel „Meine Herren und Damen“ sofort Heiterkeit unter den vielen Männern aus. Seitdem hat sich zwar viel getan, aber es ist bezeichnend, dass wir es auch 100 Jahre später nicht geschafft haben, Frauen die Repräsentation in der Politik zu geben, die ihnen zusteht. Wir können nur hoffen, dass es nicht weitere hundert Jahre brauchen wird, um für ein ausgeglichenes Verhältnis im Bundestag zu sorgen.

Das Problem wird allerdings oftmals noch nicht richtig verstanden, also als Problem mit Hintergründen und struktureller Benachteiligung erkannt. So wird wiederkehrend argumentiert, der Frauenanteil sei doch letztlich für Politik eher unwichtig.

Sogar eine Selbstentmündigung wird weiblichen Wählerinnen vorgeworfen:

Frauen sind nach dieser Logik selbst Schuld, wenn sie Parteien mit geringem Frauenanteil wählen. Ihre Stimme sollten sie doch den Parteien geben, die einen höheren Frauenanteil auf den Listenplätzen haben. Grüne und Linke haben eine 50% Frauenquote für die Listenaufstellung. Doch dieses Argument ist nicht haltbar. Hier wird Frauen jegliches differenziertes Politikverständnis abgesprochen und ihnen empfohlen, einzig den Frauenanteil auf den Listenplätzen einer Partei entscheidend für ihr Stimmvergabe zu machen. Politische Überzeugungen oder inhaltliche Präferenzen zur Innen-, Außen-, Europa- oder Pflegepolitik: unwichtig für Frauen.

Problematisch ist in der Tat, dass Frauen bei der Listenaufstellung der Parteien oft den Kürzeren ziehen. Die CDU, für die Frauen überdurchschnittlich häufig stimmten, zieht mit nur 20 Prozent weiblicher Abgeordneter ins Parlament ein. Das Problem sind also nicht Frauen, die die CDU unterstützen, sondern Parteien wie CDU, FDP und besonders AfD, die wenige oder kaum Frauen ins Rennen schicken.

Auch das sehen einige anders:

Der niedrige Frauenanteil im Parlament sei einfach nur eine Widerspiegelung niedriger Mitgliederraten von Frauen in den Parteien an sich. Der Punkt ist mathematisch richtig, gesellschaftlich aber schwach. Eine Partei hat ja nicht bloß die Aufgabe, die eigene Mitgliederzusammensetzung im Parlament zu spiegeln, sondern gesellschaftliche Impulse zu setzen und als gute Beispiele einer Gesellschaft der gleichen Chancen und Möglichkeiten zu fungieren.

Ähnlich argumentiert auch das explizit anti-feministische WikiMANNia, das Frauen allgemein geringeres Interesse an Politik vorwirft und so jegliche Quotenregelung als unfair den viel motivierteren Männern gegenüber darstellt:

Immerhin: Die Frauen im Parlament finden große Beachtung – wenn auch auf fragwürdige Art. So bescheinigte eine repräsentative (erstaunlich viel Aufwand für eine solche Untersuchung – gibt es nicht wichtigeres zu untersuchen?) Umfrage unter 1000 Männern und Frauen im Auftrag des Playboy zu Beginn des Sommers, dass Jana Schimke die erotischste Politikerin des Bundestages sei. Eine „große Ehre“, wie der FOCUS findet.
Eine vergleichbare und medial breitgestreute Untersuchung zur Attraktivität männlicher Politiker gibt es hingegen nicht. Das ist bezeichnend.

Wieso stehen nicht die inhaltlichen Positionen von Politikerinnen im Vordergrund, sondern ihre Erscheinung? Neu ist das nicht, dennoch immer wieder erschreckend. Erst kürzlich empfand ein Twitter User, dass der Einzug der frisch gewählten Afd-Politikerin Mariana Harder-Kühnel nicht so wichtig sei, viel mehr ginge es doch darum, dass sie sich „ausziehen sollte“.

Und die CDU Politikerin Julia Glöckner wird Projektionsfläche für Wählerfrust.

Die Diskussion entlarvt, wie wenig verstanden wurde und welche Hindernisse es immer noch gibt, die einer Gleichberechtigung im politischen Feld im Wege stehen. Noch immer sind Männer-Cliquen eine Realität, werden Frauen gerne nur mit „weichen“ politischen Themen betraut, werden wichtige Meetings gerne auf späte Abendstunden gelegt, spielt die Reduktion auf die Äußerlichkeit eine dominierende Rolle, ist Sexismus in den Medien Alltag und ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine echte Herausforderung. Zustände, die nicht nur Frauen den Weg in die Politik erschweren, sondern die auch – denkt man wirklich drüber nach – Männern schaden. Von diesem Ungleichgewicht profitiert mittel- und langfristig niemand.

Wir machen es uns zu einfach, wenn wir die Schuld für die geringe Anzahl von Frauen im Parlament nur bei den Frauen suchen. Klar ist eine höhere Beteiligung von Frauen in politischen Parteien wünschenswert, doch müssen eben auch die Rahmenbedingungen verbessert werden und ein Klima der Akzeptanz und Würdigung in den Parteien herrschen. Davon profitieren wir alle und obendrein ist es gerecht.