Wo wir Feminist*innen Chancen verpassen

Liebe Menschen: Ich mache mir Sorgen. Eine Freundin erzählte mir neulich beim Kaffeetrinken, dass ihr türkischstämmiger Arzt Erdogan wählt und sie und ich fragen uns, wieso. Wir überlegen, wo wir  – obwohl wir viele türkischstämmige Freunde und Bekannte haben – selbst immer noch ausgrenzen und dazu beitragen, dass auch scheinbar integrierte und akademisierte Migrant*innen aus reinem Protest einen nationalistischen Despoten wählen. Wir links-politisch sozialisierten Menschen sind hier hoch selbstkritisch und durchleuchten versteckte Ressentiments, wollen besser integrieren und mehr Übersetzungsarbeit leisten. Das ist fest in uns drin und wird nicht hinterfragt, man darf uns spöttisch „Gutmensch“ schimpfen, auch das ist uns wurscht.

Was ich nicht verstehe: Warum wollen wir hier die große Kommunikation, warum geht das in Bezug auf Erdogan-Fans, nicht aber auf konservative Gegner*innen feministischer Ziele? Da patzen wir rum, schreiben „F*ck you!“ auf Facebook, da ist uns wertschätzende Kommunikation pfurzegal. Wo ist da unsere Übersetzungsarbeit? Warum ist es „cooler“, Türkisch zu lernen (ist fest auf meiner Liste) als eine Sprache, Bildsprache oder Kampagnen zu finden, mit der CDU zu kommunizieren?

Der meistgelesene Online-Text zu Feminismus am 8. März diesen Jahres war – nach meinem und anderer Menschen Google-Ranking zu beurteilen – ein Hassbrief an den intersektionalen Feminismus von Birgit Kelle in DIE WELT. Die 10.000 Feminist*innen, die in Berlin auf der Straße protestierten, fanden kaum eine Erwähnung in der Presse. Sie wurden öffentlich kaum wahrgenommen. Mein Anliegen heute: Kritisch zu hinterfragen, welchen Anteil wir selbst daran haben, dass unsere Botschaften nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung ankommen und von Birgit Kelle dermaßen verzerrt werden können, dass viele Leser*innen ihre Version begeistert lesen und teilen. Wo grenzen wir aus? Wo müssen wir mehr Übersetzungsarbeit leisten?

Als Kind wurde ich oft gehänselt, weil meine britische Mutter komische Dinge servierte, die als eklig galten (Baked Beans, Marmite, Apfelsoße mit Schweinefleisch). Jedes „Iiih! Wie könnt ihr nur!“ verhalf dazu, mich als 13-Jährige zur überzeugten Royalistin zu machen. Ich kann die Notwendigkeit wütender Identitätsbekundungen als Abgrenzung zu den „Anderen“ sehr gut nachvollziehen.  Als bi-nationaler Wisch-wasch hatte ich immer das Bedürfnis, irgendetwas zu sein. Erst spät habe ich verstanden, dass meine eigenen identitären Bestrebungen immer mit der Ausgrenzung anderer verbunden waren und meinen vertrauten „Ja, wir essen Wabbelwürstchen und ich bin stolz darauf! Ätsch!“-Modus bekräftigten.

Nach linken Politisierungsschritten, „Lady Di“ war inzwischen Geschichte, habe ich lange gebraucht, um konservatives Denken um mich herum ertragen zu können und in fruchtbare Kommunikation zu treten. Denn in der freundlichen Öffnung liegt auch immer eine Angst vor Identitätsverlust. In der Abgrenzung zum Anderen kann man sich sehr stark fühlen. Und diese Angst vor den Anderen müssen wir dringend thematisieren. Wenn ich Steine schmeißend in der besetzten Hamburger Hafenstraße sitze, dann tue ich das in einer berechtigten Wut gegen Gentrifizierung und dem Glauben an soziale Gerechtigkeit. Ich fühle mich aber auch stark in der Gruppe, in der Coolness der Graffiti-bemalten Wände und der Sicherheit meiner, von einer linken Jugendkultur abgesegneten Identität. Ich wünschte, wir würden diese Angst vor Öffnung dieser Räume öfter thematisieren. Denn wenn Birgit Kelle am Weltfrauentag all jene mitnehmen kann, die uns nicht verstehen und denen wir wiederum Angst machen, dann ist das besorgniserregend. Als ich am 8. März in Hamburg mit immerhin 1500 Menschen im strömenden Regen auf der von verschiedenen Gruppen tapfer organisierten Demo der Kundgebung lauschte, stellte ich mir vor, ich stünde hier das erste Mal, hätte Interesse, aber wenig Fachwissen. Mein trauriges Fazit: Ich würde wahrscheinlich weglaufen, nie wiederkommen und Birgit Kelle recht geben. UND DAS IST NICHT GUT.

Es regnete in Strömen, wir standen in Pfützen um den Kundgebungswagen. „Feiert euch nicht, weil ihr hier im Regen steht und protestieren geht, denn es geht Women of Colour und migrantischen Frauen und Frauen mit Behinderung noch viel schlechter als euch gerade jetzt!“ Das ist nicht der korrekte Wortlaut, aber die ungefähre Botschaft, die ich in lauten, wütenden Tönen vernahm. Nun – ich hatte diese Woche weit über Vollzeit gearbeitet, damit wir mehr Förderung für unsere Theaterarbeit gegen Homophobie und Mobbing an Schulen erhielten. Kaum geschlafen, zwischen Berlin und Hamburg gependelt und noch kurz vor der Demo massenhaft Vergewaltigungsdrohungen von der Youtube-Seite gelöscht. Mir war sehr nach heißer Dusche und ich fand mich verdammt gut, dass ich es zur Demo geschafft hatte. Natürlich hatte die Speakerin voll, ganz und absolut recht, aber wen holte sie damit ab? Eine blonde Frau neben mir fragte: „Was sind Women of Colour genau?“, eine andere: „Was ist ein Cis-Mann?“ und eine Dritte: „Ist das hier die Demo für die Ausländerinnen?“ Blanca und ich rollten mit den Augen und mussten dann aus Übermüdung lachen. Wie, in Gottes Namen, sollten wir so zusammen kommen?

Wir können uns noch so sehr hinstellen und brüllen und fordern – die auch auf der Demo geschwungene Parole „Keine von uns wird frei sein, solange nicht alle frei sind!“ ist leider für viele eine leere Drohung. Birgit Kelle, die vor ein paar Jahren noch umsonst für den „European“ schrieb, nagt auf jeden Fall nicht am Hungertuch und scheint auch kein Problem damit zu haben, dass es anderen Frauen nicht so gut geht wie ihr. Ihr Mann ist ehemaliger CDU-Politiker, Springer-Veteran und Medienunternehmer mit guten Kontakten, was der Verbreitung ihrer Publikationen sicher zuträglich ist. Mit ihrem grauenhaften Buch „Dann mach doch die Bluse zu!“ machte sie ordentlich Presse. Und mit ihrem kruden Populismus hätte sie es vielleicht auch ohne ihn geschafft, die „Hausfrau der Nation“ zu werden.

Vielleicht wäre ich hier nicht so streng mit meiner linken Blase, wenn nicht, während wir marschierten, ein Mädchen mit Piercing und Undercut ihrer Freundin ihre neuen Nike-Air zeigte. Jemand lachte: „Morgen gehen die doch eh wieder alle bei Zara shoppen.“ Das stimmt nicht. Es gibt genügend, die schon am nächsten Tag Poster für eine weitere Demo aufhängten und sich weiter für die Rechte von Migrantinnen und all jene einsetzen werden, die nicht nur als Frauen sondern mehrfach diskriminiert sind. Sie machen eine wunderbare Arbeit und es gebührt ihnen jeder Respekt. Ich verstehe auch, dass eine starke Protestbewegung als Abgrenzung notwendig ist um Positionierungen zu ermöglichen. Trotzdem wünsche ich mir mehr Versuche der Kommunikation und das Verständnis dafür, dass auch wir Angst vor Öffnung haben. Kann es nicht wütende Parolen UND gleichzeitige Übersetzung geben? Warum – ich werde es nie verstehen – „müssen“ sich Menschen engagieren, um die akademisierte Gender-Sprache zu verstehen? Warum erklären wir es nicht freundlich? Warum nutzen wir nicht eine solche Demo, um jene mitzunehmen, die durch die Anti-Trump-Stimmung der letzten Wochen zu uns auf die Straße gekommen sind? Nützt uns der Bezug auf uns selbst wirklich um jene zu schützen, für die wir uns einsetzen?

Ich erinnere mich an meine ersten Demos: Zunächst mit Wut, unglaublich viel Wut. Später mit dem Glücksgefühl, mein politisches Zuhause gefunden zu haben. In der Masse fühlte ich mich stark, dazugehörig und gesehen. Alleine dafür sind wütende Bewegungen notwendig. Aber zu Hause konnte ich nicht übersetzen. Meine wenig gebildeten Eltern schauten mich eingeschüchtert und verständnislos an, wenn ich mit meinen studentischen Parolen kam. Der einzige Grund, warum sich meine Mutter durch jede meiner Hausarbeiten in den Gender-Studies quälte, war Liebe. Sie wollte mich verstehen.

Eine Frau, die vielleicht durch einen Artikel in der „Brigitte“ aufgefordert wurde, auf die Demo zu gehen, sich brav die Fingernägel pink lackiert hat und ein Selfie machen und einschicken will, weil Chefredakteurin Huber dazu aufrief, hat aber keine Motivation, sich durch den Hass durch zu arbeiten. Sie wird vielleicht maximal an einem Feminismus hängen bleiben, der fordert, dass mehr Frauen in Führung kommen – nicht, dass es deren migrantischen Putzhilfen besser geht.

Wie wäre es gewesen, wenn es auf der Demo so zugegangen wäre:

„Liebe Menschen! Danke, dass ihr euch in strömenden Regen zu uns aufgemacht habt! Wir sind heute ganz viele – manche sind schon länger im Feminismus aktiv, andere sind das erste Mal dabei. Wir möchten euch erklären, was wir persönlich als wichtig ansehen. Schreibt uns, wenn ihr dazu mehr Fragen habt, lasst uns in Kommunikation treten! Teilt uns eure Sichtweisen mit!“

Wäre das so schlimm gewesen? Wäre es ein Ausverkauf? Und wie viel muss man geben, um zu bekommen, in einer kapitalistischen Welt? Jede*r hat das Recht, sich dieser Rechnung komplett zu entziehen. Ich frage mich nur, was die Konsequenzen sind – und vor allem, wer sie ertragen muss.

Über eure Meinung hierzu würde ich mich freuen!

Eure Stevie