Woher kommt diese ungesunde Idee von einer Traumfigur?

Wer braucht schon Diäten?

Wenn es um Diäten geht, lautet die Frage oft: Welche Diät ist die richtige für mich, damit ich endlich meine Traumfigur erreiche? Doch eigentlich müsste die Frage sein: Woher kommt diese ungesunde Idee von einer Traumfigur? 

Wer nach „Diät“ googelt, findet Artikel wie “Abnehmen mit Apfelessig und Wasser”, “Die Gurken-Blitz-Diät” oder „55 Diäten im Test“. Dazu kommen ähnliche Suchanfragen à la „Welche Diät ist effektiv und schnell?“. Oder „Wie ernähren zum Abnehmen?“. Kein Zweifel: Diäten beschäftigen uns. In Zeitschriften, Online-Magazinen und auf Instagram wimmelt es nur so von Diät-Tipps und Ernährungsratschlägen. Klassisch wie früher mit Kohlsuppe oder etwas moderner mit Grünkohl-Smoothies. Und es kommen ständig neue Hypes ums Hungern dazu. Zum Beispiel Sirtfood, das vor allem aus pflanzlichen Lebensmitteln besteht, die durch das Enzym Sirtuin den Stoffwechsel ankurbeln sollen. Oder das Keto-Konzept, bei dem vermehrt Proteine und so wenig Kohlenhydrate gegessen werden, dass sich der Körper seine Energie aus Fettreserven holt. Die Optimierung unseres Essverhaltens findet kein Ende. Dabei geht es bei allen Varianten im Kern immer um dasselbe: Mit viel Anstrengung und Aufwand einem Ideal zu entsprechen.

Oft werden Diäten unter dem geschönten Begriff „Wellness“ angepriesen. Nach dieser Logik kann sich nur ein schlanker Körper wirklich gesund und wohl fühlen. Diäten werden mit Achtsamkeit und (Ernährungs-)Bewusstsein gleichgesetzt. Daraus ist längste eine Riesen-Industrie entstanden: Im Jahr 2018 hatte der weltweite Markt für Diätprodukte einen Wert von knapp 190 Milliarden Dollar. Wer sich bewusst ernährt – mit anderen Worten: aufpasst und kontrolliert, was er*sie zu sich nimmt – tut sich und der eigenen Gesundheit etwas Gutes; die Anstrengung und der Aufwand lohnen sich, so die Botschaft. In Wahrheit lautet die Botschaft aber: Wer den eigenen Körper wertschätzt, reißt sich gefälligst zusammen und verzichtet.

Körper, die von der schlanken Norm abweichen, gelten hingegen als ungesund und faul. Und als eine Belastung. Für Herz und Kreislauf, für die Gelenke, aber auch für das Gesundheitssystem. Wer nicht schlank genug aussieht, heißt es, hat sich nicht im Griff, lässt sich gehen und schadet sich selbst ebenso wie der Allgemeinheit. Das ist falsch bis gefährlich und kann sogar zu Essstörungen führen. Natürlich ist es wichtig, dass der Körper alle Nährstoffe bekommt, die er braucht. Auch klar, dass ausgewogene Ernährung auf Dauer am besten funktioniert. Das ist jedoch keinesfalls gleichbedeutend mit Diäten. Und nicht jeder schlanke Körper ist automatisch gesund.

Unter Essstörungen litt zum Beispiel auch auch die britische Feministin Mary Evans Young – weshalb sie 1992 den „International No Diet Day“ ins Leben rief, der einerseits Akzeptanz für verschiedene Körper und andererseits Aufmerksamkeit für Essstörungen schaffen soll. Gefeiert wird er mittlerweile jedes Jahr am 6. Mai mit Fat-Flashmobs, Picknicks, Eat-Ins oder auch einfach nur mit Treffen in körperpositiver Stimmung. Auf der dazugehörigen Website heißt es: „Für so viele Menschen, insbesondere Frauen, bedeuten unerreichbare Körperideale und Druck Essstörungen, ein niedriges Selbstwertgefühl, Mobbing und ungesunde, strikte Diäten.“ 

Kalorien zählen setzte sich mit dem ersten Diät-Bestseller „Diet and Health: With Key to the Calories“ von 1918 durch. Seit 100 Jahren wird also schon gerechnet und gehungert. Und zwar vor allem von femininen Menschen.

Denn obwohl männliche Personen vor allem in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auch mit entsprechenden Körperidealen konfrontiert wurden, ist die perfekte Figur für sie noch immer viel weniger ausschlaggebend als für Frauen. Das liegt daran, dass Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft nicht nach Talent oder Erfolg, sondern vor allem nach ihrem Äußeren bewertet werden. Da ihnen sonst nicht viel anderes bleibt (weniger Macht, weniger Geld, weniger Status) ist es im Patriarchat für weibliche Personen entscheidend, attraktiv zu wirken – beziehungsweise „fickbar“, wie Laurie Penny in ihrem Buch „Unsagbare Dinge“ schreibt. Und dazu gehört im westlichen Kulturkreis der 2000er Jahre nun mal standardmäßig ein schlanker Körper.

So übt die Diätkultur auf weibliche Personen Druck aus, einem dünnen und oft unerreichbaren Ideal zu entsprechen und ihr Leben danach auszurichten. Das hat aber noch einen anderen Effekt: Sich ständig selbst zu optimieren, kostet jede Menge Zeit, Energie und Geld. Frauen sollen sich und ihre Ressourcen nicht darauf ausrichten, ihre Lebensumstände und bestehende Ungerechtigkeiten zu verändern, sondern sie sollen sich auf ihre Körper konzentrieren. Damit sie für Männer attraktiv sind. So lenken Diäten Frauen einerseits gedanklich ab und täuschen ein Gefühl der Kontrolle vor – in einer Gesellschaft, die weiblichen Menschen nicht genug echten Einfluss zugesteht. Gleichzeitig bringen sie sie dazu, immer neue Produkte auszuprobieren. Bücher, Kurse, Nahrungsergänzungsmittel, Pillen, Apps … Beim Thema Diäten greifen Patriarchat und Kapitalismus besonders perfekt ineinander. 

Deshalb ist es ein radikaler Ansatz, sich von Diäten zu verabschieden; Ressourcen freizumachen für wichtigere Dinge als „Traumfigur“, „Bikini-Body“ oder „Idealgewicht“ – zum Beispiel für Gleichberechtigung aller Geschlechter oder körperliche Selbstbestimmung. Und zu verstehen, dass Körper verschiedener Menschen nun mal komplett unterschiedlich aussehen. Sie verändern sich auch im Laufe eines Lebens, das ist ganz natürlich. Niemand hat mit Mitte vierzig den gleichen Körper wie mit Anfang zwanzig. Zudem dient Essen nicht nur der optimalen Versorgung mit Nährstoffen. Es ist nicht bloß Mittel zum Zweck, es ist auch Genuss, Trost und ein Stück Lebensqualität. Außerdem ist permanente Selbstkontrolle kein Zeichen von Stärke oder Status – auch dann nicht, wenn sie als „Selbstliebe“ und „Achtsamkeit“ verkauft wird.

Zeit, die Kohlsuppe schwungvoll in den Gulli zu gießen und stattdessen körperliche Vielfalt zu zelebrieren, den eigenen Körper so anzunehmen, wie er ist. Auch, wenn das manchmal ein langer Weg sein kann. Aber der lohnt sich. Dick, dünn, groß, klein, apfel- oder birnenförmig – Hauptsache, gesund, stark und glücklich.

Anmerkung: Uns ist bewusst, dass der Text in Teilen nur eine binäre Perspektive darstellt. Hier geht es um die Erläuterung einer patriarchalen Geschlechterdynamik mit einem binären “Mann”-“Frau”-Gefälle, obwohl das längst nicht alle Menschen umfasst.

Bild: Unsplash

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