Auf das neue Buch von Julia Schramm haben wir uns sehr gefreut. Nicht nur weil sie bei unserer Demo gegen Sexismus in der Werbung am Brandenburger Tor die Bühne gerockt hat
oder als Digital Native das Phänomen Angela Merkel jenseits tagespolitischer Unschärfe beleuchtet, sondern weil nicht zwingend damit zu rechnen war, dass überhaupt noch mal eins von ihr kommt. Mit ihrem 2012 erschienenen Debüt „Klick Mich“
wurde sie Opfer eines gewaltigen Shitstorms, im Zuge dessen nicht nur ihr Buch verrissen wurde (was legitim ist), sondern sie persönlich in einer Art und Weise angefeindet wurde und übergriffigem Verhalten ausgesetzt war, die nicht zu rechtfertigen ist.
„Fifty Shades of Merkel“ profitiert ungemein von den Erfahrungen, die Schramm mit dem Literaturbetrieb und der Netzkritik gemacht hat. Die mitterweile auch für die Amadeu Antonio Stiftung als Fachreferentin für Hate Speech tätige Autorin weiß zum einen, wovon sie spricht, und wählt zum anderen einen ausgesprochen wohltuenden und klugen Rahmen für ihr neues Werk – den des Understatements. Schramm gelingen unaufgeregte kenntnis- und facettenreiche Miniaturen zu Angela Merkel, denen man die Mühe und die Recherchearbeit, die sie gekostet haben, nicht anliest.
Komplett entzückt, checke nicht wie man so klug/liebevoll/belustigt/ernst (gleichzeitig) über Merkel schreiben kann. pic.twitter.com/Ko5mvoWunO
— Margarete Stokowski (@marga_owski) April 1, 2016
In 50 Betrachtungen zeigt sie dabei, wie sich Merkel, deren politischer Erfolg ja auch und gerade der Tatsache geschuldet ist, dass sie sich nicht greifbar macht, manifestiert – als Machtpolitikerin, Fußballfreundin, Profiteurin, Gestalterin und vieles mehr. Dabei wirkt „Fifty Shades of Merkel“ immer dann am smartesten, wenn einem vollkommen einleuchtet, warum es gut ist, dass das Buch keine neue Merkelbiografie ist. Kein Mammutwerk, keine Politikschau, keine Lobhudelei, keine Abrechnung à la „Die Patin„. Schramm versucht erst gar nicht, sich als intime Merkelkennerin zu inszenieren, sondern folgt stattdessen ihrem ernst gemeinten Interesse an der Frau, die nicht nur dieses Land sondern eben auch sie selbst regiert.
Am aufschlussreichsten ist das Buch, wenn Schramm Merkels Platz in der Gesellschaft analysiert. Es lohnt sich tatsächlich, einmal genauer vor dem Hintergrund der Tatsache, dass „das Gesicht einer Frau immer auch Kampfgebiet ist, egal ob sie Kanzlerin ist oder nicht“, darüber nachzudenken, warum Menschen und Medien sich so obsessiv mit Merkels Mundwinkeln befassen. Oder darüber, dass die kinderlose Bundeskanzlerin mit ihrer Partei genau die Politik betreibt, die dafür verantwortlich ist, dass Frauen mit Kindern der Weg an die Spitze vielfach verwehrt bleibt.
Und am schwächsten ist es da, wo die Autorin ihren Verzicht auf Deutungshoheit über die Person Angela Merkel eine Spur zu weit treibt. Dann wird aus „Fifty Shades of Merkel“ schnell ein Fifty Shades of Konjunktiv. Hätte, wäre, könnte. Möglicherweise ist anzunehmen. Trotzdem bleibt genau diese Herangehensweise in der richtigen Dosierung einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, dass das Buch eine kurzweilige, spannende Lektüre über eine Frau ist, mit der man sich trotz oder gerade wegen ihrer scheinbaren Omnipräsenz im Grunde viel zu selten beschäftigt.
Fifty Shades of Merkel, erschienen im Hoffmann und Campe Verlag. 240 Seiten, 15 €.