Die Banalität des Sexismus

„Ich bin nichts Besonderes und deshalb bin ich hierfür richtig.“
Die Frau, die diesen Satz schreibt, ist die Journalistin und Autorin Caroline Rosales. Sie hat ihn in  ihrem neuen Buch Sexuell Verfügbar notiert und legt damit nicht nur einen Teil ihrer Motivation für diesen Text offen, sondern positioniert sich zugleich in ihrer Rolle als Verfasserin und als Objekt ihrer Zeilen. Aber der Reihe nach – vor diesem Satz und dem damit verbundenen Selbstverständnis steht der Titel des Buches: Sexuell Verfügbar.
Er ist der Grund dafür, warum ich diese Rezension ein wenig aufgeschoben habe. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten ziemlich viel über sexualisierte Gewalt gelesen. Von Betroffenen, von Therapeut*innen, sogar von Tätern. Das Entsetzen und der Kontrollverlust, die die Lektüre dieser Bücher bewirkt, sind also sehr frisch. Daher war ich nach den ersten Seiten von Sexuell Verfügbar einigermaßen erleichtert darüber, dass es wohl nicht ganz so furchtbar werden würde. Nur um nach einigen Seiten mehr feststellen zu müssen, wie furchtbar alles werden kann.

Denn Caroline Rosales schildert entlang ihres eigenen biografischen Erlebens Sexismus, übergriffiges Verhalten und sexualisierte Gewalt in einem scheinbar so gewöhnlichen Rahmen, dass die Einzelheiten zunächst einmal gar nicht so schlimm wirken. Es gibt keine großen Brüche, keine Extreme, nichts, bei dem man sich vorher glaubt anschnallen zu müssen, bevor man weiterliest. Stattdessen gibt es ein bisschen Scheidungskind, ein bisschen Rumprobieren in den 20ern, beruflichen Erfolg, Kinder, Trennung – sowas. Gehoben mittelschichtigen Durchschnitt. Man ertappt sich dabei, den im Buch beschriebenen Übergriff mit anderen zu vergleichen und allenfalls als mittelschwer zu bewerten… und läuft damit gerade in die von Rosales präzise aufgestellte Falle. Inmitten der geschilderten Alltäglichkeiten tun sich so viele Abgründe auf, dass man keinen Schritt mehr tun, kein Wort mehr lesen kann, ohne dabei den Halt zu verlieren. Rosales  erzählt von Jungen, die Mädchen auf dem Schulhof nachjagen und sie ohne Einwilligung anfassen, um „ein bisschen Ärgern zu spielen“. Von Körpernormierungsversuchen durch die Umwelt, von Demütigungen und dem sattsam bekannten Repertoire an passiv-aggressiven Spitzen, das Familien so draufhaben. Von jungen Männern, die gespannt darauf warten, wie ihre Freundin reagiert, wenn man ihr einen Porno mit Gina Wild zeigt. Von Vorgesetzten, die ihre Macht und Frauen in einer Art und Weise missbrauchen, dass sie sich anschließend keiner Schuld bewusst sind.

Und immer wieder erzählt sie von sich und anderen Frauen. Frauen, die bis ins Mark verinnerlicht haben, zu gefallen und „die Fickpuppe“ spielen zu müssen. Frauen, die als Komplizin des Patriarchats auftreten und andere Frauen disziplinieren. Frauen, die von einer Beziehung in die nächste treiben, weil ein anderer Mann neu und/oder stärker Begehren und Interesse an ihnen bekundet. Was Rosales da anpackt sind alles andere als heiße Eisen. Aber genau deshalb erlauben sie, nein erzwingen sie die Frage, was das eigentlich alles mit einem selbst zu tun hat. Mit mir zu tun hat. Auch und gerade als Mann. Die Autorin und mich trennen nur wenige Jahre. Ich kenne die Schulhofspiele, die Jungmännerprahlereien, die zutiefst bürgerliche Dimension, die #MeToo eben auch hat. Was in Sexuell Verfügbar verhandelt und seziert wird, ist nicht der Exzess sondern die Banalität des Sexismus, die so normal und unumstößlich daherkommt, dass alle Beteiligten einwilligen, weil es sich nun einmal so gehört.

Caroline Rosales gelingt mit Sexuell Verfügbar ein sehr lesenswertes Buch, das darauf verzichtet, Untiefen auszuloten, um stattdessen zu zeigen, auf wie vielfältige Weise wir alle immer wieder in seichten Gewässern ertrinken. Es ist immer dann am stärksten, wenn es die eigene bildungsbürgerliche Privilegierung detailliert ausstellt – auch und gerade auf die Gefahr hin, dabei gewöhnlich zu wirken. Am schwächsten ist es in den blinden Flecken für den immer wieder aufblitzenden Wunsch, eben doch etwas Besonderes zu sein. Wenn Rosales davon spricht, dass sie aufgrund einer schlechten Erfahrung mit Slutshaming in einer Frauenclique nicht zu viel von sich preisgibt, sich aber später darüber wundert, dass niemand „in den Muttertreffs, in der Schwangerschaftsgymnastik und unter Freundinnen sagt, dass sie mehr Sex will“, ist sie sehr nachsichtig mit sich selbst und sehr unnachgiebig mit anderen Frauen. Das gilt auch für ihre nachvollziehbare Verstimmung mit „feministisch gepolten Heckenschützen“ wie Charlotte Roche, die sich darüber aufregen, dass sich um sie herum gerade alle (und eben auch Rosales) „die Brüste machen lassen“. Die hält Caroline Rosales nämlich nicht davon ab, ihrerseits den Barbie-Vorwurf an Helene Fischer zu richten. Aber auch diese blinden Flecken sorgen dafür, dass der eingangs zitierte Satz stimmt. Und deshalb ist Caroline Rosales für dieses Buch genau richtig.

Sexuell Verfügbar erscheint am 25.01.2019 im Ullstein Verlag. 286 Seiten, 18,00 €.