Baba konnte nicht anders als hart sein

In der Zeit vor der Kontaktsperre waren es meist Freundinnen, mit denen ich offen bin. Wenn wir uns wie jeden Samstag in unserem Weddinger Lieblingscafé zum Flat White treffen, weiß ich, dass ich nicht nur gleich leckeren Cheesecake esse, sondern auch endlich Zeit zum Plaudern habe. Auch über die letzte Party, aber vor allem über Ängste, Gefühle, und die Möglichkeit, Dinge auszusprechen, die sonst in meinem Kopf noch größer geworden wären. Dieser Austausch fehlt mir oft mit meinen Jungs. Wir reden über unseren Alltag, über die Situation auf der Arbeit, über Pläne am Wochenende. Aber dabei bleibt es meist. Auch wenn es keinen Unterschied machen sollte, mit wem ich über Empfindungen und Ängste rede, habe ich oft darüber nachdenken müssen, warum ich diese Gespräche nur mit meinen besten Freundinnen haben kann, aber mit meinen Jungs, besonders meinen migrantischen Männerfreunden, solche Gespräche oftmals nicht entstanden sind. Ich will wissen, woran es liegt, dass sie keine gute Beziehung zu sich selbst aufbauen, weniger über Gefühle reden und welche Rolle die Familie, und besonders der Vater, spielt. Denn ich weiß selber, dass mein Baba anders ist, aber manchmal auch nicht anders sein kann.

Familie steht oft über allem. Das ist in Zeiten von Corona auch wichtig, fast täglich telefoniere ich mit meinen Eltern. Aber an der Art und Weise, wie wir miteinander reden, hat sich nicht viel geändert. Über Gefühle und Ängste schweigen wir, es geht meist darum, was ich heute gegessen habe, und dass ich ja rausgehen sollte, weil das Wetter so gut ist. Gerade migrantische Männer haben dabei oft Probleme, über Gefühle mit den Eltern zu reden. „Ich rede über Privates meist mit Freunden. Mit der Familie ist das schwierig.“ sagt Fatjon. Fatjon ist ein guter Freund. Er lebt seit ein paar Jahren in Deutschland und kommt aus Albanien. Als als ich ihn frage, mit wem er meistens über Gefühle spricht, erklärt er, dass es eher ungewöhnlich ist, mit der Familie zu reden. „Man redet vielleicht bisschen über Ängste und Sorgen, aber nur oberflächlich.“ Das kenne ich sehr gut, besonders wenn ich mit meinem Vater rede. Wenn ich manchmal das Bedürfnis verspüre, meine Eltern anzurufen und etwas Wichtiges aus meinem Leben teile, verläuft sich das Gespräch in Phrasen, die ich seit meiner Kindheit kenne. „Ja, du wirst schon wissen, wie das läuft. Ich vertraue dir.“ ist so ein Satz meines Vaters, der mich zwar kurz besänftigt, aber nicht loslässt. Denn es klingt wie eine Ausrede, nicht weiter darüber reden zu wollen.

Das gut gemeinte Vertrauen klingt wie eine Ausrede

Keine wirkliche Auseinandersetzung, keine Rückfragen, kein Austausch. Mit meinen Schwestern ist das anders. Ich kann vieles ansprechen, aber auch das hat Grenzen. Denn während ich mit meinen besten Freundinnen auch über Intimes reden kann und (zumeist) keine Details ausspare, geht es mit meinen Schwestern zwar tiefer als mit meinen Eltern, aber auch hier werden klare Linien gezogen. Es hilft, aber es nicht das Gleiche. Und mit Brüdern? „Seitdem ich in Deutschland lebe – und da meine Eltern noch in Albanien leben – spreche ich anders über Gefühle. Mit meinen älteren Brüdern fällt es mir schwer über Emotionen und Gefühle zu reden“ erklärt mir Fatjon weiter. Ich frage mich, wieso das ist. Woran es liegt, dass als migrantisch markierte Männer mit Männern nicht offen über Gefühle reden können. Die Beziehung zum Vater spielt dabei eine besondere Rolle. Wenn ich daran denke, wie oft mein Vater zu einem ernsten Gespräch ansetzte und begann, von sich zu erzählen, nur um sich wieder schnell in der Sicherheit seiner bekannter Phrasen zu verstecken, macht mich das traurig. Denn ich sah ihn oft, wie er aus dem Raum ging, um zu weinen. Aber wir durften das nicht sehen. Das hatte einen Einfluss auf mich, wenn ich jetzt darüber nachdenke.

Mein Vater musste sich hart geben, obwohl er sensibel ist

Brian, ein guter Freund aus meiner Heimatstadt in Mittelhessen, kennt das gut. Auch er hat viel über seine emotionale Beziehung zu seinem Vater nachgedacht. „Meine Eltern sind sehr tough und introvertiert. Besonders mein Vater hat versucht, Stärke zu zeigen, obwohl er tiefgründig und sensibel ist.“ Das Bild vom starken Mann, der nach außen hin keine Emotionen zeigen will. Ein viel zu bekanntes Männlichkeitsbild, das Stärke darin sieht, Emotionen zu unterdrücken. Seine Erfahrung ist auch meine Realität. Manchmal frage ich, was dazu geführt hat, dass mein Vater sich mir gegenüber oft so gefasst, pragmatisch und fast ein wenig distanziert zeigt. Er hat in meinem Alter bereits zwei militärische Coups in der Türkei erlebt, musste aus politischen Gründen seine Heimat verlassen, sich ein neues Zuhause in Deutschland aufbauen.

Der Rassismus in Deutschland hat ihn verändert

Er erzählt mir, dass er ein starker Vater sein musste, weil er es sonst nicht aushielt. Die Tränen seiner Angst sollten wir nicht sehen. Seine Schwächen sollten vor uns verborgen bleiben wie der Rassismus in Deutschland, denn dieses neue Zuhause war für viele Männer (und Familien) mit Einwanderungsgeschichte kein sicherer Ort. Für ihn war es ständiges Spiel zwischen notwendigem Rückzug ins Gewohnte und mutigem Ausbruch ins Gefährliche. Zwischen Menschen, die deine Sprache sprechen und denjenigen, die diese Sprache am liebsten verstummt sehen wollen. Der Rassismus in Deutschland prägte ihn und sein Männlichkeitsbild. Er erzählte von Kollegen im Lehrerzimmer, die ihn als Kümmeltürken bezeichneten, über Abweisungen bei Wohnungsbesichtigungen, weil sie eine „Lehrerfamilie“ erwarteten. Nicht aber meinen Vater, meine Mutter, meine Schwester und mich. Keine Leute wie uns. Er war schon vorher mit dem Bild eines starken Mannes aufgewachsen, aber sein neues Zuhause veränderte ihn, bis er verstummte und Gefühle zeigen eine Last wurden. Sein Männlichkeitsbild ist auch meins geworden.

Viele Männer haben unterschiedliche Beziehungen zu ihren Eltern, aber besonders das emotionale Verhältnis zum Vater ist oft geprägt von einer Distanz, die festgefahren ist. Aber einige entscheiden sich auch, dieses Muster aufzubrechen. Brian erzählt rückblickend: „Ich bin schon so aufgewachsen mit der Vorstellung eines starken Manns, aber habe entschieden, dass ich das nicht sein will. Ich brauche den Austausch, ich kann das nicht alles alleine bewältigen.“ Genau deshalb ist es wichtig, sich auszutauschen, den Gefühlen Raum zu geben. Denn das Leben für Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist besonders nach Hanau nicht sicherer geworden, im Gegenteil: Gerade jetzt kommt es darauf an, sich zu öffnen, zu reden, zu klagen und in alltäglichen Gesprächen Halt zu finden.

Zum Ende unseres Gesprächs erzählt mir Fatjon, dass er über Gefühle mit Mädels besser reden kann. Ich wünsche mir, dass wir alle als migrantische Männer das auch mit unseren männlichen Freunden, Brüdern und unseren Vätern machen. Denn genau jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür, damit anzufangen. Rassismus tut weiterhin weh. Der Austausch über Gefühle hilft dabei zu heilen.

Foto Credit: Photo by Nick Cooper on Unsplash

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