Karneval

Zu viel Wind um Karneval?

TW: In diesem Beitrag werden kulturelle Aneignung, Queerfeindlichkeit und Rassismus behandelt.

Wie ja allgemein bekannt sein dürfte, ist PINKSTINKS Teil einer linksgrünversifften Gutmenschenverschwörung, die mithilfe von Genderwahn und Sprachverhunzung die Weltrevolution des Feminismus anstrebt. Im Prinzip geht es darum, immer möglichst empört zu tun und allen anderen den Spaß zu verderben, wenn sie das tun, was man gemeinhin als „ganz normale Dinge“ bezeichnet. Sich an Karneval als Pocahontas zu verkleiden oder das Gesicht schwarz anzumalen zum Beispiel. Und weil wir hier ja unter uns sind, dachte ich, es wäre doch ganz nett, wenn ich mal berichte, wie die internen Verschwörungsbesprechungen zum Karneval abgelaufen sind.

Wir saßen also mit dem ganzen Team im geheimen Hauptquartier der Woke-Bewegung in Berlin-Kreuzberg (sollte klar sein). Die Mitglieder der Homolobby hatten gerade ihren jährlichen Verschwulungsbericht vorgestellt, als sich die Anitrassist*innen erhoben, um die diesjährigen Inhalte der Operation Karneval kaputtwoken vorzustellen. Ohne hier jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Die Kombination aus altbewährten Strategien und neuen Möglichkeiten, sich grundlos aufzuregen, hatte es wirklich in sich. Karl May kam dabei vor und Friedrich Merz natürlich. Blackfacing und diverse Kita-Mitteilungen zum Verzicht auf Kostüme, die sich durch kulturelle Aneignung hervortun. Und natürlich die Distanzierung des WDR von der Show „Die letzte Instanz“, in der Showmaster Thomas Gottschalk erklärte, er hätte auf einer Party im Jimi Hendrix-Kostüm auch mal erlebt, wie „sich ein Schwarzer fühlt“.

Ich bin natürlich nicht sicher, ob die zahlreichen Vertreter*innen der sogenannten deutschen Leitkultur wirklich glauben, dass es so abläuft. Aber wenn man sich auch nur ein paar Minuten in sozialen Netzwerken, Kommentarspalten oder auch Artikeln rechtskonservativer Zeitungen aufhält, kann man sich dieses Eindrucks nicht erwehren. Als gäbe es wirklich diese seltsame Verabredung, Mitmenschen ihre liebgewonnenen Traditionen zu vermiesen, weil es so lustig ist. Stänkern als Selbstzweck quasi. Und wenn es auf einem Gebiet nichts mehr zu stänkern gibt, dann zieht der woke Tross weiter und sucht sich ein anderes Betätigungsfeld, wo anderen noch gründlich der Spaß versaut werden kann.

Tatsächlich begegnet man hier Forderungen nach politischer und sozialer Veränderung mit einem unguten Gemisch aus taktischem Missverstehen, Überzeichnung und, es lässt sich nicht anders sagen, dreisten Lügen. Wir haben 2022 den halben Sommer damit verbracht, über ein Winnetou-Verbot zu diskutieren, das weder gefordert wurde, noch überhaupt möglich ist. „Die ARD cancelt Winnetou“ hieß es da, obwohl bei näherer Betrachtung absolut nichts dran war. Und die Werke von Karl May werden auch nicht verboten. Sie sind vielmehr gemeinfrei, also im Besitz von allen. Jeder und jede kann alle Werke von Karl May drucken lassen und unter die Leute bringen. Ob man das für eine gute Idee hält, ist eine andere Frage.
Denn die Sinnhaftigkeit oder Angemessenheit einer Sache infrage zu stellen, bedeutet nicht, die Sache selbst zu verbieten. Was wurde 2019 nicht für ein Aufschrei inszeniert, als es hieß, eine Hamburger Kita würde den Kindern verbieten, sich als indigene Menschen zu verkleiden. Das ginge zu weit, fand man beim Stern. Schließlich könne man an Fasching ja auch über „andere Kulturen“ lernen. Aber erstens stimmte das mit dem Verbot nicht. Die Kita hatte lediglich auf die Problematik aufmerksam gemacht und auf die Vorzüge von stereotypsensiblen Verkleidungen hingewiesen. Und zweitens, ach ja? Was haben wir denn die vergangenen Jahre und Jahrzehnte an Fasching „über andere Kulturen gelernt“? Wie viele Sprachen spricht die indigene Bevölkerung Amerikas heute noch? Was sind ihre wichtigsten kulturellen Errungenschaften? Wie viele Menschen fielen dem von weißen Menschen verübten Genozid zum Opfer? Welcher indigenen Ethnie entstammt eigentlich der Traumfänger?

Wir wissen es nicht. Und es interessiert uns auch nicht. Wir nehmen uns, was wir haben wollen. Wir halten an dem fest, was „irgendwie“ zu uns gekommen ist und verteidigen es als „Tradition“, „Interesse“ oder „kultureller Austausch“. Tatsächlich aber ist es genau das nicht. Zwischen kultureller Aneignung und dem, was gerne als „Wenn sich die Kulturen nicht mischen und es keine kulturellen Transfers mehr gibt, dann entsteht überhaupt nichts mehr“ bezeichnet wird, gibt es einen sehr deutlichen Unterschied. Und der hat mit Macht zu tun. Wenn eine Rapperin wie Shirin David Blackfishing betreibt und sich an Elementen Schwarzer Kultur bedient, dann hat sie nach ein paar Jahren immer noch die Möglichkeit, Make-Up und Selbstbräuner abzuwaschen und mit einem anderen Image Geld zu verdienen. Der schwarze Kulturjournalist René Aguigah hingegen hat nicht die Möglichkeit, seine Haut abzustreifen.

Den Unterschied zwischen Transfer und Aneignung hat der Comedian James Acaster am Beispiel des Britischen Museums unmissverständlich deutlich gemacht: Unsere Vorfahren haben euren Vorfahren gewaltsam jede Menge Zeug gestohlen. Ihr wisst es, wir wissen es, alle wissen es. Auf kleinen Plaketten neben dem Zeug steht sogar, von wem wir es gestohlen haben und was es den Leuten bedeutet hat. Wir geben es aber trotzdem nicht zurück, weil wir noch nicht fertig damit sind „es anzuschauen“.

Das muss doch besser gehen. Es muss doch möglich sein, einen kulturellen Austausch herzustellen, bei dem sich eine dominante Kultur nicht beliebig an einer unterworfenen bedient; oder aber, falls das in der Vergangenheit geschehen sein sollte (Spoileralarm: JA!), dass man damit einen offenen und sensiblen Umgang findet.
Das heißt eben nicht, dass „Verbote“ ausgesprochen oder gar Kinder „indoktriniert“ werden. Es heißt lediglich, dass wir uns alle sehr gründlich darüber verständigen sollten, ob unsere „traditionsreiche Verkleidungskultur“ wirklich schwerer wiegt und bedeutender ist, als die realen Kulturen ganzer Völker (Auch hier Spoileralarm: NEIN!). Kulturen, von denen wir tatsächlich lernen könnten. Mit denen es ein Geben und Nehmen sein könnte und nicht nur eine plakative, sinnentkernte Zurschaustellung von dem, was wir für diese Kulturen halten und was wir von ihnen genommen haben. Was wir ihnen entrissen haben. Darüber zu reden, ist sicher nicht gerade erfreulich und entspannt. Aber es ist ein Fortschritt. Es ist ein Fortschritt, dass wir mit und über Comedians lachen, die ihre eigene Migrationsbiografie mit Humor verarbeiten, anstatt wie in den 90ern zwei weißen Männern aus Bayern dabei zuzusehen, wie sie als „Erkan und Stefan“ mit einer hämischen Stereotypisierung von Menschen Geld verdienen, die bis dahin in der Comedy-Szene kaum bis gar nichts zu melden hatten.

Es ist also keine Frage von „Was muss verboten werden“, sondern vielmehr ein offenes Gespräch darüber, was besser gemacht werden kann und sollte. Zweifellos werden das einige Jugendidole, so manche Verkleidung und das ein oder andere Wort diesen Prozess nicht unbeschadet überstehen. Das ist auch gut so. Denn schon viel zu lange werden Menschen von ihnen beschädigt. Zeit, die Verschwörungstheorien und das „Ihr wollt alles verbieten!“ Geschrei einzustellen, und das längst überfällige Gespräch in allen Teilen der Gesellschaft in Gang zu bringen.


Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich” oder „männlich” benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.

Kennt ihr den Begriff „Othering“? Er beschreibt den sozialen Prozess, bei dem eine Gruppe („Wir“) eine andere („die Anderen“) abgegrenzt und so als „fremd“ einordnet. „Othering“ kann aufgrund von Unterschieden in Ethnizität, Kultur, Religion, Geschlecht oder anderen Merkmalen auftreten und verstärkt Vorurteile und Diskriminierung. Macht spielt dabei eine entscheidende Rolle: Die ausgegrenzte Gruppe hat oft wenig Möglichkeit, sich gegen stereotype Zuschreibungen zu wehren. Daher ist es auch so wichtig, zum Beispiel bei Karnevalskostümen darauf zu achten, keine stereotypen Darstellungen, koloniale Narrative und „Othering“ zu reproduzieren. 

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