Staatlich verordnete Elternkonkurrenz

Eine Kolumne von Nils Pickert

»Mit der Neuregelung soll eine langfristig partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit beider Elternteile gefördert werden.«
Immer wieder lese ich diesen Satz und frage mich, wen man wohl mit welchen Mitteln dazu genötigt hat, ihn zu verfassen. Er steht in den Fragen und Antworten zu Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024 und ist, man kann es nicht anders sagen, eine absolute Frechheit. Aber der Reihe nach:

Das Bundesfamilienministerium regelt also zum April dieses Jahres für werdende Eltern das Elterngeld neu. Neben der Absenkung der Einkommensgrenze, ab der Eltern keinen Anspruch mehr auf Elterngeld haben, geht es vor allem um die Reduzierung von gemeinsamen Elternzeitmonaten auf sage und schreibe einen. Maximal einen Monat können Eltern künftig innerhalb der ersten 12 Monate gemeinsam Basiselterngeld beziehen. Das klingt gegenüber den zwei sogenannten Partnermonaten, die man zuvor nehmen konnte, zunächst als eher unauffällige Kürzung. Wenn man sich allerdings vor Augen führt, dass dieser Monat jetzt in die ersten 12 Monate fällt, dann wird schon deutlicher, was hier gerade begraben wird. Aber es geht um noch mehr: Bislang war es auch möglich, dass Eltern 7 Monate gemeinsam Elternzeit nehmen und dafür Elterngeld beziehen. Die Faustregel lautete wie folgt:

Hey, wenn ihr euch beide an der Betreuung eures Kindes beteiligt, ersetzen wir 14 Monatslöhne durch Elterngeld – wie ihr das aufteilt, bleibt euch überlassen. Wenn ihr Bock habt auch 7 Monate gemeinsam.

Ab dem 1. April lautet die Regel nun wie folgt:

Also wir finden, dass Eltern in den vergangenen Jahren zu viele Möglichkeiten hatten, abgesichert durch Kündigungsschutz und Basiselterngeld, gemeinsam Zeit mit ihrem Baby zu verbringen. Ihr kriegt jetzt nur noch einen gemeinsamen Monat. Und wenn ihr die vollen 14 Monate haben wollt, dann muss der jeweils andere (und wir wissen, dass das der Vater sein wird) sich einen Monat alleine um das Kind kümmern. Partnerschaftlich ist nicht mehr! Ihr macht das jetzt in Konkurrenz zueinander, das Kind soll ja auch früh lernen, was eine patriarchal-kapitalistische Leistungsgesellschaft ist. Außerdem verkomplizieren wir die Antragstellung, geil oder?!

Zur Verteidigung des Familienministeriums muss man sagen, dass diese Änderungen schon die Kompromissvariante zu den Maximalforderungen von Finanzminister Lindner sind, die auch Leistungskürzungen enthielten. Christian „falls ich mal Kinder habe und mit Care-Arbeit dran sein sollte, schreibe ich ein Buch, promoviere und imkere ein bisschen“ Lindner scheint seine Politik daran auszurichten, von sich auf andere zu schließen. Deshalb soll jetzt Schluss sein mit der Möglichkeit, über einen Monat hinaus Elternzeit miteinander zu verbringen.

Das Familienministerium schafft es nun wiederum, den üblichen neoliberalen shit takes die Krone aufzusetzen, indem es einen Sprecher mitteilen lässt: »Väter sollen darin bestärkt werden, Elterngeldmonate abwechselnd mit der Partnerin zu beziehen. Dies ist auch aus gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten sinnvoll.«
Nee, is klar. Es ist gleichstellungspolitisch sinnvoll, wenn die Care-Arbeit an einer Person hängen bleibt und diese Person in der überwältigenden Anzahl an Fällen einmal mehr die Mutter sein wird. Denn genau das wird passieren. Oder glaubt ernsthaft irgendjemand, dass in einer Welt voller Gender Pay Gaps und Gender Care Gaps diese Regelung dazu führt, dass Väter sich mehr an Haushalt und Betreuung beteiligen? Die im Schnitt immer noch deutlich besser als Mütter verdienenden Väter werden einen Teufel tun und »Elterngeldmonate abwechselnd mit der Partnerin beziehen«. Sie werden das übrigens auch ziemlich häufig in Absprache mit der Partnerin tun, weil beide den Berg an Rechnungen sehen, die es zu bezahlen gilt, und sich notgedrungen für die pragmatischste Lösung entscheiden. Aber dass man glaubt, es mit Eltern und insbesondere mit Müttern ja machen zu können, wissen wir ja spätestens seit der Corona-Pandemie. Wir erinnern uns an den brandenburgischen SPD-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, der fand, dass Lockdowns doch auch eine gute Möglichkeit für Eltern wären, ihre Kinder überhaupt mal kennenzulernen.

Oder an die schicken Muttiplakate von SPD

und CDU,

die Frauen als entspannte Supermamas »feiern«, während Mütter Tag für Tag in Care-Arbeit ersaufen.

Und diese »Neuregelung des Elterngelds« ist jetzt also der Dank dafür. Für den ganzen Scheißdreck, den man Eltern während der Pandemie aufgehalst hat. Für den Mehraufwand, das »Home-Schooling«, die lächerlich vorbereiteten Schulen, die abgesperrten Spielplätze, den Fiebersaftmangel. Für die mangelnden Belüftungskonzepte und Maskenpflicht in Kitas statt in Büros. Für die gestohlene Jugend, den Wechselunterricht und die ganzen Säcke, die auch noch die Dreistigkeit besaßen, Jugendlichen vor einem »Corona-Abitur zweiter Klasse« Angst zu machen.

»Wir schulden den Kindern viel.« sagt Karl Lauterbach. Ja, ach nee. Wie wäre es, die Schulden auch zu begleichen? Ihr schuldet uns unter anderem noch 430.000 fehlende Kitaplätze und die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, die seit 2018 aufgeschoben wird. Ihr schuldet uns die ebenfalls aufgeschobene Kindergrundsicherung, die Einführung der Familienstartzeit und ein Elterngeldkonzept, das wirklich dafür sorgt, dass Eltern sich möglichst gemeinsam um ihre Kinder kümmern können und Väter sich mehr beteiligen.
Wenn das der Dank ist, dann ebenfalls danke. Danke für den beschissensten Aprilscherz seit längerem.
Danke für nichts.


Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive “weiblich” und “männlich”. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.

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Bildquelle: Canva