Menschenrecht unter Vorbehalt - das Selbstbestimmungsgesetz

Das Selbstbestimmungsgesetz – Menschenrecht unter Vorbehalt

Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Darum geht es uns alle was an, wenn unsere Gesetzgebung trans* Personen diskriminiert und ihnen dieses Recht verwehrt. Wir haben für euch zusammengefasst, warum die aktuelle Rechtslage diskriminierend ist, welches Potenzial im geplanten Gesetzesentwurf steckt und was ihr tun könnt, um euch für eine gerechte Gesetzgebung einzusetzen.

1981 trat das sogenannte „Transsexuellengesetz (TSG)“ in Kraft. Seitdem verletzt es die Würde von trans*, inter*, ageschlechtlichen und nicht-binären Menschen und behindert sie in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer körperlichen Selbstbestimmung: Denn für die Änderung des Geschlechtseintrags ist bis heute ein Gerichtsverfahren nötig, dem zwei Gutachten mit intimsten Fragen vorausgehen. Betroffene müssen die Kosten selbst tragen und beschreiben diese Gutachten als langwierig und herabwürdigend. Ganze sechsmal wurden Teile des Gesetzes bereits für verfassungswidrig erklärt! Jetzt, nach über 40 Jahren, ist es endlich so weit: Die Rechtslage wird angepackt und es gibt einen neuen Gesetzesentwurf. Mit Inkrafttreten des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes könnten trans* Menschen ihren korrekten Geschlechtseintrag und ggf. einen anderen Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt erhalten – ohne diskriminierende Gutachten und langwierige Gerichtsverfahren. 

Damit Selbstbestimmung tatsächlich möglich ist, gibt‘s allerdings noch Nachbesserungsbedarf …

Worüber aktuell diskutiert wird – und worüber nicht genug

Der Entwurf zum sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“ wurde am 23. August 2023 vom Bundeskabinett verabschiedet. Im nächsten Schritt wird der Kabinettsentwurf an den Bundesrat weitergereicht, worauf die erste Lesung im Bundestag folgt und ein entsprechender Ausschuss über den Entwurf berät. Das Gesetz tritt erst in Kraft, wenn es vom Bundestag verabschiedet wird. 

Die öffentliche und mediale Debatte zum Thema wird aber schon jetzt hitzig geführt. Leider geht es dabei viel zu selten um die Lebensrealität von trans* Menschen und die damit verbundene Diskriminierung. Stattdessen werden Angstszenarien zu Auswirkungen auf die vermeintliche „Mehrheitsgesellschaft“ geschürt. Außerdem enthält der Gesetzesentwurf selbst weiterhin Misstrauensparagrafen, die zu Diskriminierungen und Ausschlüssen von trans* Personen beitragen. Die Kritikpunkte und Warnungen in den Stellungnahmen von Fachverbänden wurden weitestgehend ignoriert. Das ist inakzeptabel.

Deshalb fordern wir: Raus mit den diskriminierenden Misstrauensparagrafen aus dem Gesetzesentwurf! Damit das Menschenrecht auf Selbstbestimmung endlich auch für trans*, inter*, ageschlechtliche und nicht-binäre Personen verwirklicht wird. Denn eine gerechte Gesetzgebung für ALLE nimmt niemandem etwas weg, im Gegenteil, sie bildet den Grundstein für eine gerechte Gesellschaft.

Notwendige Anpassungen im Gesetzesentwurf

Was in der Diskussion weitgehend auf der Strecke bleibt: Für die große Mehrheit unserer Gesellschaft ändert das geplante Selbstbestimmungsgesetz … nichts. Für trans* Menschen, eine kleine und lange diskriminierte Minderheit, bietet es Potenzial für eine große Revolution. Und ein – endlich – selbstbestimmteres Leben. 

Damit dieses Potenzial genutzt wird, müssen im Gesetzesentwurf allerdings dringend Punkte nachgebessert werden:

  • Raus mit dem expliziten Hinweis auf das Hausrecht: Der Verweis auf das Hausrecht suggeriert, dass trans* Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität der Zugang zu Einrichtungen und Räumen verwehrt werden kann. Das steht im Widerspruch zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und erhöht aktiv das Diskriminierungsrisiko für trans* Personen.
  • Keine 3-monatige “Anmeldefrist” und 1-jährige Sperrfrist: Theoretisch ist mit dem Selbstbestimmungsgesetz eine mehrfache Änderung des Eintrags möglich. Die Wartezeiten stellen die generelle Glaubwürdigkeit der Entscheidung von trans* Personen infrage und schaffen eine zusätzliche, unverhältnismäßige Hürde – zumal der Anteil der Personen, die bislang eine Änderung ihres Namens oder Geschlechtseintrags rückgängig machen, bei etwa 1% liegt.
  • Keine Ausnahmen vom Offenbarungsverbot: Das im Gesetzesentwurf enthaltene und grundsätzlich begrüßenswerte Offenbarungsverbot legt fest, dass frühere Geschlechtseinträge ohne Zustimmung der betreffenden Person nicht offenbart werden dürfen. Das Outing gegen den Willen der Person oder sogenanntes Deadnaming, die Verwendung des ehemaligen Namens, könnten dann mit einem Bußgeld bestraft werden. Von diesem wichtigen Schutz gegen ein Zwangs-Outing sind nahe Angehörige und (frühere) Ehepartner*innen allerdings ausgeschlossen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass es Personen gestattet wird, trans* Personen absichtlich zu schädigen.
  • Trans* im Verteidigungsfall: Im Fall einer Mobilmachung wäre eine trans* Frau oder nicht-binäre Person trotz amtlicher Änderung des Geschlechtseintrags wehrpflichtig, sofern die Änderung weniger als zwei Monate zurückliegt. Und zwar für die gesamte Kriegsdauer. Die taz bringt auf den Punkt, warum das diskriminierend und zu kurz gedacht ist.
  • Übermittlung von Personendaten an Behörden: Ändert eine Person ihren Namen und Geschlechtseintrag, werden ihre personenbezogenen Daten an eine lange Liste von Behörden übermittelt – vom Verfassungsschutz, dem Inlandsgeheimdienst über die Polizei bis zum Zoll. Auch, wenn die Person noch nie Kontakt mit diesen Behörden hatte. Einmal mehr werden trans* Personen so unter Generalverdacht gestellt.
  • Trans*feindliche Narrative: Immer wieder wird in der öffentlichen Debatte z.B. die Sorge geäußert, cis Männer könnten das Gesetz ausnutzen, um die Intimsphäre von cis Frauen in Umkleiden und Saunen zu stören. Sogar der Gesetzesentwurf geht auf das Narrativ ein. Diese vermeintliche Sorge stellt trans* Personen unter Generalverdacht, manifestiert das absurde Bild des als Frau verkleideten Sexualstraftäters, das von Rechten und TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminism) herbei fantasiert wird und ist nicht Zweck, sondern Mittel! Denn wenn Männer Frauen und weiblich gelesene Personen belästigen wollen, gehen sie dafür nicht zum Amt und danach mit geändertem Geschlechtseintrag in die Frauensauna. Sondern setzen sich in die U-Bahn, gehen in den Club oder einfach nach Hause. Statistiken zeigen: Der gefährlichste Ort für Frauen und weiblich gelesene Personen ist noch immer das eigene Zuhause! Zudem sind trans* Personen besonders häufig selbst von Gewalt betroffen. 

Weitere Punkte und Details zu den einzelnen Paragrafen findet ihr hier.

Was kann ich tun?

Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben für alle Geschlechter ist ein feministisches Kernanliegen. Wir finden es darum wichtig, nicht wegzusehen, sondern gemeinsam laut zu werden:

  • Informiert euch und euer Umfeld: Sprecht unbedingt mit Menschen in eurem Umfeld und erklärt, weshalb ihr für trans* Rechte einsteht. Es gibt viele kostenlose Infomaterialien, die ihr lesen und verteilen könnt. Wie die Broschüre „Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden?“ vom LSVD und Bundesverband Trans*. Oder dieses tolle Video zur Veranschaulichung von Nicht-Binarität:
  • Auf Social Media gibt’s viele tolle Accounts, die sich für geschlechtliche Vielfalt einsetzen. Von folgenden lernen auch wir immer wieder neu dazu:
    • Der Bundesverband trans* veröffentlicht regelmäßig Updates zum Stand des Selbstbestimmungsgesetzes.
    • Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.) engagiert sich seit 1998 für die Verbesserung der Lebenssituation von TIN*Personen.
    • Queermed macht sich für queerfreundliche und sensibilisierte Ärzt*innen und Praxen stark.
    • Queerlexikon ist eine Online-Anlaufstelle für sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt. Hier kannst du unter anderem deine Fragen zu Transition, Coming Out oder Labels loswerden.
    • Beim Lesben- und Schwulenverband gibt’s queere News im Zeichen von Menschenrechten, Vielfalt und Respekt. 
    • Gazelle bringt auf Instagram und TikTok Hunderttausende zum Lachen – und erklärt uns nebenbei mit preisverdächtiger Leichtigkeit Pronomen und Gendern.
    • Aktivistische Inhalte zu intersektional queeren Themen gibt’s von Aktivist Duke Duong auf Instagram und TikTok. Er klärt auf, ordnet ein und sagt seine Meinung. Leicht verständlich und auch mal humorvoll.
    • Felicia Ewert kratzt mit ihren Tweets, Memes und Kommentaren an Transfeindlichkeit, Transmisogynie, Homofeindlichkeit und Sexismus. Aus queerfeministischer Perspektive, aber auch persönlich und emotional. 
    • Julia Monro setzt sich als Aktivistin für trans* Rechte ein und beleuchtet auf ihrem Kanal unterschiedliche Aspekte rund um das Thema geschlechtliche Vielfalt. Dabei ist sie nicht nur ausgesprochen kompetent, sondern auch extrem sympathisch. 💜
  • Lest euch ein: Ihr merkt, dass euch noch Wissen über die Lebensrealitäten von trans* Menschen fehlt? Dann empfehlen wir euch diese tollen Bücher:
    • Mehr Als Binär – Alok Vaid Menon
    • Trans. Frau. Sein – Felicia Ewert
    • Lieber Jonas oder Der Wunsch nach Selbstbestimmung – Linus Giese 
    • Ich bin Linus – Linus Giese
  • Nutzt eure Stimme: Unterschreibt die aktuelle Eilpetition und gebt euer „Ja“ zur Selbstbestimmung: Damit die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen den Entwurf ändern, bevor es zu spät ist. Gemeinsam mit über 350 Erstunterzeichner*innen fordern wir ein Selbstbestimmungsgesetz, das seinen Namen verdient. Was noch hilft: Die Petition mit Freund*innen und Familie teilen. 💜
  • Unterstützt mit eurer Spende: Wenn ihr könnt, unterstützt mit eurer Spende Vereine, die sich für die Rechte von trans* Personen starkmachen. Schaut doch mal, ob es in eurer Nähe engagierte Menschen gibt, die ihr finanziell supporten könnt. Viele Vereine sind auf Spenden angewiesen. Darum zählt jede Unterstützung – egal wie hoch, ob einmalig oder regelmäßig.
  • Werdet aktiv: Informiert euch, wo in eurer Nähe Demos und Kundgebungen zu Selbstbestimmungsgesetz und trans* Rechten stattfinden. Und vielleicht bringt ihr eure Freund*innen, Kolleg*innen und Familie gleich mit? Wer sich inhaltlich einbringen möchte, kann sich in trans* Verbänden und queeren Vereinen engagieren.

Quellen und weiterführende Links


Wenn wir von Frauen und Mädchen oder von Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive “weiblich” und “männlich”. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.

Cis bedeutet, dass du dich mit dem Geschlecht identifizierst, das dir von außen zugeschrieben wird. Wenn dir bei deiner Geburt das Geschlecht „männlich“ zugeordnet wurde und du dich selbst als Mann identifizierst, bist du also cis.