Diskriminierung in Schulbüchern

Eigentlich sollte alles ganz klar sein: „In Schulbüchern darf kein Platz sein für Klischees, Ressentiments oder gar Rassismus. Schon der Anschein muss vermieden und Missverständnissen konsequent vorgebeugt werden.“ So unmissverständlich formuliert es der Pressesprecher des niedersächsischen Kultusministeriums. Der Anlass für dieses Zitat zeigte diesen Sommer allerdings, wie viel Raum Lehrmaterialien Sexismus, Rassismus und anderen Diskriminierungsformen noch bieten. In dem Arbeitsbuch Schroedel Abitur Deutsch in der Einführungsphase, das 2018 von der Westermann Gruppe herausgebracht wurde, befand sich ein Textabschnitt, der sich mit „Kanakisch“ befasst. Eine dem Inhalt des Buches nach sehr wortschatzarme Jugendsprache voller „Kraftausdrücke aus dem Fäkal- und Sexualbereich“, die Menschen mit Migrationshintergrund aus dem türkischen oder arabischen Raum pauschal unterstellt, die deutsche Sprache kaum zu beherrschen und Frauen* grundsätzlich sexistisch abzuwerten.

Nicht nur wurden dieser und ein weiter Text vollkommen unkritisch verwendet und der Begriff „Kanakisch“ gebraucht, ohne ihn zu problematisieren; zu allem Überfluss wurden Schüler*innen mit Migrationshintergrund vom Lehrpersonal aufgefordert, ein Gedicht auf „Kanakisch“ vorzutragen.
Der Fall schlug solche Wellen, dass die Verlagsgruppe sich gezwungen sah, Stellung zu nehmen und um Entschuldigung zu bitten. Wie so oft in Diskriminierungskontexten allerdings in Form einer Non-Apology, also einer Bitte um Verzeihung ohne Schuldeinsicht: „Wir bedauern sehr, dass unsere Materialauswahl als diffamierend empfunden wird.“

Über Diskriminierung in Lehrmaterialien zu sprechen, ist also mehr als angebracht. Nicht nur in der Vergangenheitsform, sondern hier und heute. Denn was sich teilweise in den Schulbüchern für Kinder und Jugendliche befindet, ist zu oft stereotyp bis hin zu offen sexistisch, rassistisch oder antisemitisch. Diskriminierungsstrukturen sind so tief in unser kulturelles und bildungspolitisches Selbstverständnis eingebettet, dass sie häufig unbewusst reproduziert und unkritisch verbreitet werden. Und ja, selbstverständlich kommt es auf den Zusammenhang an. Die Aussage „Mädchen sind ewig im Badezimmer“ könnte auch zum Anlass genommen werden, um Geschlechterstereotype kritisch zu hinterfragen.

Aber in diesem Fall geht es um eine reine Personenbeschreibungen in einem Lehrheft für Drittklässler*innen aus Österreich und keine Jugendlichen, die von dieser Thematik tatsächlich betroffen wären und die entsprechenden Geschlechterklischees kritisch hätten hinterfragen können. Mit Fakten zum Beispiel.

Und außerdem ist es keine gute Idee, sich hinter wohlmeinender Ironisierung und Problematisierung zu verstecken – …

… die eigentlichen Diskriminierungsstrukturen kommen ja doch immer wieder zum Vorschein. Auch und gerade da, wo sie überhaupt nicht hinterfragt werden sollen. Da, wo Mütter* womöglich „auch“ arbeiten, …

… Sätze über bügelnde Männer* und geldverdienende Frauen* falsch sind, und Jungen* gefälligst mit dem Gejammer aufhören sollen.

Antidiskriminierende Bildung ist der Schlüssel zu einer antidiskriminierenden Gesellschaft. Um die zu erreichen, müssen wir an die Lehrmittel ran und uns von liebgewordenen Selbsttäuschungen und -vergewisserungen trennen. Zum Beispiel davon, dass das alles vor langer Zeit stattgefunden hat und sich Zehntklässler*innen 2018 doch nicht mehr mit Fragen beschäftigen müssen wie „welche Augen-, Gesichts- und Haarformen zu welchen Rassekreisen gehören„. Dass solche Sachen – wenn überhaupt – nur bei Kleinverlagen passieren.

Oder dass die Qualitätskontrolle in deutschen Schulbuchverlagen doch bestimmt groß genug ist, um im 21. Jahrhundert antisemitische Karikaturen auszusieben. Aber so ist es nicht. Der Kolonialismus ist immer noch präsent, Jim Knopf kann nicht „unrassistisch“ gelesen werden, …

… die EU finanziert 2020 Schulbücher, die auffordern Juden und Jüdinnen zu hassen und Männer* werden für Politik und Geld zuständig erklärt, während Frauen* sich zu kümmern und ihnen hinterher zu wischen haben.

Die UNESCO hat dieses Problem weltweit identifiziert und mit der Globalen Bildungsagenda 2030 ein Programm zur inklusiveren Gestaltung von Schulbüchern aufgelegt. Denn immer noch ordnen und bewerten Lehrmaterialien Geschlecht. Immer noch spricht Rassismus aus Schulbüchern. Immer noch gelten jüdische Menschen als „die Anderen“.
Wir werden uns anstrengen müssen, um das alles konsequent zu entlernen. Es wird Geld, Nerven und harte Kritik an liebgewonnenen Texten und bequemen Auffassungen kosten. Aber es lohnt sich.

Bildquelle: Unsplash
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