In der Regel ein Tabu: Unsere Menstruation

In der Regel ein Tabu

Ein Auszug aus dem Buch “Menstruation” von Jovana Reisinger aus dem Reclam-Verlag

Einer der nachhallendsten Sätze meiner Kindheit und Jugend konnte mich wiederholt mit enormer Sprengkraft in die Schranken weisen – selbst, wenn er nicht an mich gerichtet wurde. Manche (gute) Sätze können das. Sie erschaffen auf mehreren Ebenen eine neue Realität. Sie enthalten einen Richtwert, eine Mahnung, eine Konsequenz und manchmal, wie in diesem Fall, eine Demütigung. Es handelt sich dabei um einen denkbar einfachen Satz. Viel eher eine Vermutung als eine Feststellung. Er kommt vielleicht daher wie ein Erklärungsversuch, dient aber lediglich der Abwertung. Schon lange, bevor ich selbst anfing zu menstruieren, bevor ich wusste, dass es einen Uterus gibt und die Hälfte der Weltbevölkerung so etwas in sich trägt, bevor ich zum ersten Mal diese Form der Schmerzen erlebte, wusste ich, dass Menstruieren etwas Entsetzliches sein muss. Aber das dachte ich nicht aufgrund von mangelndem medizinischem Wissen oder gar Desinteresse, diskriminierenden Arbeitsstrukturen oder einer historisch manifestierten Angst vor (giftigem) Menstruationsblut. Nein, es war ein anderer Verdacht, der in mir auf fruchtbaren Boden fiel. Denn mit dem einfachen Satz, der beinah neutralen Mitteilung: „Die hat wohl ihre Tage.“ war alles gesagt, was notwendig schien. Ein Situationsbericht. Auskunft und Aufspürung.

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„Die hat wohl ihre Tage“

Diese Person, an die der Satz gerichtet oder über die er gesagt wurde, ist gerade nervig, laut, traurig, unzurechnungsfähig, hysterisch, unzumutbar, ruhestörend, unerfreulich, peinlich, nervenaufreibend, provozierend – und wenn nichts davon, so ist sie zumindest anders als sonst. Diese Person erlebt offenbar etwas, was aus ihr zeitweise einen anderen Menschen macht. Einen, den andere nicht mögen. Der andere belästigt, zu viel Raum einnimmt, zu viel einfordert und sich generell mal lieber zurücknehmen sollte. Also eine Variante, die man selbst nicht sein sollte, möchte man nicht weiter auffallen und nicht als ärgerlich diskreditiert werden. Nun kommt so ein Satz (und andere damit vergleichbare) nicht unbedingt nur aus dem Mund von cis männlichen Personen, die, sofern zusätzlich weiß und heterosexuell, am meisten von patriarchalen Strukturen profitieren – sondern auch von Menstruierenden selbst. Was freilich relativ einfach mit ihrer Sozialisierung in diesen patriarchalen Systemen (wie unserer Gesellschaft) zu erklären ist. In meinem Heranwachsen habe ich diese stetige Abwertung der Menstruation (oder der menstruierenden Person) bei den unterschiedlichsten Menschen im Umfeld erlebt – nicht zuletzt bei jenen, die es gerade selbst erlebten. Sich für einen Umstand zu entschuldigen, der wirklich nicht gut kontrollierbar, der weder selbst herbeigeführt noch verschuldet ist, entspricht exakt dem Klischee, auf dem die Demütigung fußt. Ich korrigiere: es wird geradezu eingefordert. Die Abwertung von außen also anzunehmen, zu verinnerlichen und sich selbst kleinzuhalten – damit es andere gar nicht mehr erledigen müssen und das System sich selbst erhält. Das wird von Frauen nicht nur gefordert, sondern ihnen seit Jahrhunderten beigebracht.

Wie Frauen es machen – sie machen es falsch

Frauen, so das klassische Verständnis der binär strukturierten, patriarchalen Gesellschaft, dürfen nicht zu viel wollen, nicht zu viel fordern, geschweige denn Raum einnehmen. Vor allem nicht mit Frauenthemen. Denn die sind wie sie selbst zweitrangig, uninteressant, nebensächlich und irrelevant. Nun ist das Leben als weiblich gelesene Person in so einer Welt eh schon anstrengend genug (und je mehr Marginalisierungen sie betreffen, umso mühsamer wird’s), aber wohl auch deshalb ekstatisch widersprüchlich. Denn, so die auch befreiende Erkenntnis: wie sie es machen – sie machen es falsch. 

Das lässt sich problemlos auf jeden Lebensbereich übertragen. Single oder in einer Beziehung? Mutter oder kinderlos? Schön oder hässlich? Karrierefrau oder in einem nicht angesehen Beruf tätig? Reich oder arm? Konsumentin oder verzichtend? Die Überzeugung, sich fortan die Kirschen aus jedmöglicher Sahnehaube herauszupicken und sich von tradierten Rollenverständnissen nicht beeindrucken zu lassen. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Schamlos.Was freilich leichter gesagt, geschrieben, gefordert ist als getan. Die Erkenntnis, dass auch ich eine hoffnungsvolle Träumerin bin, eine, die sich an guten Tagen eine andere Welt, andere Gesellschaft und andere Erfahrungen vorstellen kann. Die Erfahrung, dass auch ich nicht selten an Anforderungen, Stereotypisierungen, Klischees und nicht zuletzt an meinem Körper scheitere.

Ich tropfe. Ein undichter Körper.

Eine Frau soll also schön sein, aber nicht zu schön. Sie darf sexy sein, aber nicht sexuell. Also eine Augenweide, ein Augenschmaus, aber sich dessen nicht bewusst. Wenn sie es weiß, soll sie nicht damit arbeiten, damit spielen, damit reizen. Versteht mich nicht falsch. Eine Frau darf natürlich alles. Aber gleichzeitig auch herzlich wenig. Nicht zu provokant, zu fordernd, zu gefährlich sein. Eine Frau, die bereits durch ihr Erscheinungsbild (Look, Outfit, Pose, Attitüde) zu viel Raum einnimmt, ein Begehren artikuliert (Status, Sex, Macht, usw.) wird nicht selten mangelnder Intelligenz bezichtigt (Tussi, Barbie) oder als auf den Mann fixiert beschrieben (was ein interessanter Vorwurf ist, ist das doch das Grundprinzip dieser gesellschaftlichen Struktur). Eine Frau soll lieb sein, das heißt ihrer Natur (wer hat sich das ausgedacht?) entsprechend fürsorglich, mitfühlend, empathisch, sanft und gutmütig. Eine Frau soll folglich Platz machen, sich zurücknehmen. In diesem Verständnis für den Mann. Das bitte überall – in der Gesellschaft, bei ihrer Arbeit, in ihrem Haus, in ihrer Wohnung, in ihrem Bett, in ihrem Körper, in ihrem Herzen, in ihrem Gehirn. Männer, so die lange Zeit populäre Annahme: das starke Geschlecht, verdienen all das Schöne, Gute, Prächtige (Geld, Status, Macht, Gesundheit, usf.) und mögen nicht mit Frauenleiden konfrontiert werden. Dafür entschuldigen sich dann die Leidenden. Es werden Vorkehrungen getroffen. Tabus. Stigmatisierungen. Verbote. Regeln. Moralische, ethische, gesellschaftliche Konstrukte.

Es ist ein irrsinniger Widerspruch. Denn gleichzeitig wird gem. dieser Logik ein weiblich gelesener Körper permanent bewertet, kategorisiert; über ihn wird auf unterschiedliche Weise bestimmt und verfügt. Das geht von Bevorzugung (Schönheit), Übergriffen (Catcalling, Berührungen, Vergewaltigung), Gesetzen (Abtreibungsregelung), Benachteiligung (jegliche Form von Lücke: ob Gender Pay, Orgasm, Pension oder Care Gap) nahtlos über zu sexistischer Medizin (mangelnde Erforschung des weiblichen Körpers), fehlender Sicherheit (unzureichendem Schutz vor partnerschaftlicher, sexualisierter oder genderbasierter Gewalt, aber auch die lange Zeit ausschließliche Verwendung männlich gebauter Crash Test Dummys) bis hin zu einem niedrigeren Status.

Dieser geringere Status betrifft alles im Leben. Er betrifft die Gesundheit, den Schutz, die Literatur, Filme, Theater, die Künste an sich, die Arbeitsstrukturen, die Lebensqualität. Werden Umstände, die fünfzig Prozent der Weltbevölkerung betreffen, tabuisiert, verschwiegen, ignoriert, banalisiert und gleichzeitig pathologisiert, hat das enorme Auswirkungen auf individueller, aber auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Macht, Ignoranz, Politik.

Öffentlich menstruieren fürs Pinkwashing?

Die Menstruation ist so ein Thema. Dieser im Zyklus auftretende, regelmäßig stattfindende, Hormone verändernde Vorgang betrifft die Hälfte der Menschheit – und dennoch schaffte es die andere Hälfte, die, deren Körper es eben nicht direkt betrifft, dieses Thema jahrtausendelang zu einem minderwertigen und nichtigen zu machen. Nicht der Rede wert. Das bedeutet: keine Relevanz. Weder in der Forschung, in der Kunst, in der Staatsführung noch in der Gesellschaft. Keine Anerkennung, Teilnahme oder Fürsorge.

Seit 2020 schreibe ich eine Kolumne für Vogue Deutschland, die sich der Periode widmet. Sie heißt Bleeding Love und erscheint unregelmäßig regelmäßig (so wie häufig die Blutung selbst). Wenn etwa auf dem Vogue-Deutschland-Instagramkanal ein Zitat aus der Kolumne gepostet wird, finden sich darunter immer (trans*-) feindliche, beleidigende und amüsant aufgebrachte Kommentare, in denen von Ekel, Abscheu und lächerlichem Gejammer zu lesen ist. Ob, und falls ja, welche Reaktionen außerdem auf Stories oder per Mail kommen, weiß ich nicht. Konfrontation. Löschung der Hasskommentare. Konzentration auf die positiven Rückmeldungen. Weitermachen. Wozu?

Der Wunsch nach Veränderung, oder Vermarktung durch Aufreger? Die eigene Positionierung, die zugleich eine genauere Einordnung ergibt. Die feministische Autorin, die (natürlich) auch über die Blutung schreibt. Tradition, Kreislauf, Demut.

Über Menstruation zu sprechen, baut Vorurteile ab

Zu Recht gibt es auch innerhalb feministischer Bewegungen Kritik an solchen Formaten. Unterliegen diese Initiativen einem (ehrlichen) Veränderungswillen oder doch nur kapitalistischen Marktstrategien, Hypes und Pinkwashing? Von einem Mitglied der Gruppe Kritische Medizin München wurde mir der Ausverkauf feministischer Themen vorgeworfen. Sie sagt, dass Modezeitschriften, die mit unrealistischen Schönheitsstandards werben, im Extremfall Essstörungen begünstigen, was übrigens dazu führen kann, dass die Menstruation ganz ausbleibt. Daher erscheint es ihr fragwürdig, ausgerechnet für so ein Medium zu schreiben. Berechtigt?

Die Frage: Inwieweit spiegeln solche Artikel, Texte, Essays, Kolumnen (usw.) politische Bestrebungen, Diskurse wider und gehen tief genug, um gesellschaftlich akzeptierte Normen und Moralvorstellungen in Frage zu stellen? Ist das überhaupt der Anspruch? Können sie es denn? Whit Stillman hat mir einmal gesagt: Wenn man die Gesellschaft verändern will, muss man den Mainstream unterwandern. Daran klammere ich mich fest. Widersprüche aushalten. Wechselbeziehungen standhalten. Das ist meine Position. Was ist denn die deine?

Es ist denkbar einfach. Schon über die Menstruation zu sprechen, ist ein klares und ein effektives Mittel, um Vorurteile abzubauen und neue Realitäten zu erschaffen. Das liegt an der Sprache an sich. Sie trägt schließlich eine alles verändernde Kraft und enormes Potenzial in sich. Langatmige, hitzige, egoistische Debatten über genderneutrale, inklusive Sprache sind Zeugnis dessen. Ständige Beteuerungen, dass doch alle mitgemeint seien. Dafür braucht es große Vorstellungskraft. Was nämlich keine Begriffe hat, nicht benannt oder verschwiegen wird, ist nicht existent. Existenz durch Wortgebung. Positiv über die Periode zu sprechen, davon bin ich wirklich überzeugt, ist die Grundlage für eine zumindest in diesem Punkt aufgeklärte, interkulturell-solidarische Gesellschaft. Positiv heißt auch unterstützend, fürsorglich, tatsächlich mitdenkend.

Wir brauchen eine Neubewertung. Jetzt, wo weltweit Rechte von Frauen, von trans*-, nicht-binären-, queeren, inter- und homosexuellen Menschen weiter eingeschränkt werden. Genau dort müssen wir hinsehen und agieren. An exakt diesen fragilen Stellen, bei denen so viel auf dem Spiel steht. Unsere Sicherheit. Wie sprecht ihr über die Periode – im privaten, im Arbeitskontext, im öffentlichen Raum?


Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive “weiblich” und “männlich”. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert. Und: Natürlich gibt es Menschen, die menstruieren und keine Frau sind.


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