Pinkstinks und die Prostitutionsdebatte

Liebe Menschen,­­­

wenn wir einen langen Artikel über uns im Handelsblatt p­­osten und in jenem im Nebensatz vorkommt, dass wir „nicht für das Sexkaufverbot“ sind, kann man davon ausgehen, dass es bei uns auf Facebook wild wird. Diese vier Wörter lösen eine wilde Diskussion über die Grundsatzfrage aus, ob wir bei Pinkstinks überhaupt Feminist*innen sind – auch, wenn der Artikel selbst unser Wirken gegen Sexismus lobt.

Wir haben uns einmal (2013) zum Sexkaufverbot positioniert – nicht, weil es unser Kernthema ist oder wir darin aktivistisch oder politisch unterwegs sind, sondern weil uns die unglaubliche Brutalität der Debatte provozierte und wir den großen Wunsch hatten, diese Brutalität zu benennen. Es folgten Hass-Attacken aus dem Netz, einige Großspenden wurden eingestellt und man schrieb uns Drohbriefe. Diese Angriffe haben uns nicht dazu gebracht, unseren Post aus dem Netz zu nehmen. Wir haben die freundlichere Kritik mit Aufmerksamkeit gelesen, recherchiert, diskutiert, das Thema von allen Seiten angeschaut und kommen immer wieder auf das gleiche Ergebnis. Das ist alles.

Die Angriffe hören aber nicht auf. Die Wut auf uns scheint bei diesem Thema riesig: Dabei ist es nur eine Meinung, die sich auf andere Analysen stützt als die der Abolutionistinnen. Wollen tun wir alle das Gleiche: Frauen schützen. Nur sehen wir verschiedene Wege dafür als richtig an. Die Kritik klingt anders: Wir persönlich wären Schuld am Menschenhandel in Deutschland.

Ich fasse die Kernthesen der letzten Diskussion auf Facebook zusammen: Während die eine Seite argumentierte, unser generelles Wirken ziele darauf ab, dass Sexarbeiter*innen respektvoll behandelt werden und Männer Frauen nicht als verfügbare Objekte sondern gleichwertige Menschen ansehen, argumentierten andere, wer nicht sofort Sexkauf in Deutschland verbieten wolle, sei Mitschuld an Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch. Immer wieder wird eine solche Argumentation auf folgende Füße gestellt:

1.) Das „nordische Modell“ zeige ganz klar, dass sich durch das Verbot von Sexkauf Prostitution im Straßenbild verringere.

2.) Außerdem habe das „nordische Modell“ erzielt, dass skandinavische Männer Sexkauf als solches verpönen.

3.) Das deutsche Prostitutionsgesetz (bzw. seit 2016 „Prostitutionsschutzgesetz“) sei Schuld an der Tatsache, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution boome.

4.) In die Prostitution werde man nur gezwungen, es könne keine freiwillige Sexarbeit geben.

5.) Wer freiwillig und gerne der Sexarbeit nachgehe und für das Recht, diese Arbeit auszuführen, kämpfe, sei Mitschuld am Menschenhandel.

Weil es anscheinend nach vier Jahren Zeit ist, unsere Antworten auf diese fünf Punkte noch einmal geordnet und mit aktuelleren Links aufzuschreiben, werde ich das gerne tun und sage gleich vorweg, dass wir für diese Diskussion nur Kommentare freischalten werden, die kürzer als 1200 Zeichen sind. Mit Verlinkungen auf eigene Blogeinträge oder die schon ausgeführten Argumente anderer müssten wir es schaffen, alle Meinungen sichtbar zu machen ohne einen nicht lesbaren Thread zu generieren. Wir danken für euer Verständnis.

1.) Dass es ein einheitliches „nordisches Modell“ gibt, ist umstritten. Deshalb möchten wir uns im Folgenden nur auf Schweden konzentrieren. Hier gibt es die Aussage von Polizei und Behörden, dass sich die Prostitution und der Menschenhandel durch das Sexkaufverbot reduziert habe. Diese Erhebungen werden kritisiert: Einige Autoren behaupten, dass durch die Preissteigerung für Sexarbeit durch das Sexkaufverbot Menschenhandel sogar noch lukrativer für Kriminelle geworden wäre. Weiterhin sind zwar weniger Prostituierte auf den Straßen der Großstädte wahrnehmbar, es gibt aber keine Erhebungen über Wohnungsprostitution, Männer in der Prostitution und jene, die Sex außerhalb der großen Städte auf der Straße anbieten. Da der Vergleich in der Zeit von 1999-2010 getätigt wurde und dies auch jener Zeitraum ist, in der Mobiltelefone und Internet die Kontaktmöglichkeiten zu Prostituierten übernommen haben, ist zu fragen, ob sich der Straßenstrichkontakt nicht auch ohne Verbot reduziert hätte. Tatsächlich klagen Sexarbeiterinnen in Wohnungen über hohe Diskriminierung und Angst vor Gewalt.

2.) Umfragen zeigen, dass sich zwar schwedische Männer in der Öffentlichkeit gegen Sexkauf aussprechen, gleichzeitig gibt es aber weiterhin Sextourismus nach Deutschland von schwedischen Kunden. (Jetzt kommt das gegnerische Argument: Deshalb müssen wir auch in Deutschland Sexkauf verbieten, damit die nirgendwo mehr hin können. Da sich Frauen in einer ungerechten Welt aber weiter prostituieren werden, ist der nächste Punkt dagegen zu halten:) Zwar ist Sexkauf in der öffentlichen Meinung verpönt, dieses geht aber auch einher mit einer Diskriminierung von Sexarbeiterinnen und dem häufig geäußerten Wunsch, auch die Sexarbeit selbst zu kriminalisieren. Die Verschiebung der Ächtung von der Sexarbeiterin zum Kunden hin war somit erfolglos.

3.) Das Prostitutionsgesetz entstand kurz vor der Osterweiterung der EU. Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution kommen häufig aus Bulgarien und Rumänien. Dass dies unter einem legalen Deckmantel vereinfacht wurde, könnte vermutet werden. Da sich aber in Norwegen der Menschenhandel nach Einführung des Sexkaufverbots nicht reduzierte kann der Grund im gehäuften Vorkommen von Menschenhandel in Deutschland auch am geopolitischen Standort liegen. Gleichzeitig ist es unsinnig zu behaupten, dass der Menschenhandel (siehe 1.) sich durch die Kriminalsierung von Sexkauf auflösen würde. Eine Verringerung könnte eher durch mehr polizeiliche Investigationen (mehr Ausgaben!) erreicht werden. Sind Zwangsprostituierte nicht mehr in öffentlichen Bordellen sondern Hinterhöfen und Wohnungen tätig, wird dies umso schwieriger bis unmöglich.

4.) Dies ist sicher der Punkt, zu dem am meisten gestritten wird. Ich z.B. habe lange im Hamburger Rotlichtbereich gewohnt und kenne auch aus weiteren Bekanntenkreisen Frauen, die sich freiwillig prostituiert haben. Sie wollten eine teure Ausbildung finanzieren oder einfach nur Grenzerfahrungen machen. Manche nur kurz, andere ein paar Jahre. Alle sind irgendwann wieder ausgestiegen und würden den Job nur eingeschränkt empfehlen. Ebenso wie meine Freundinnen, die abgetrieben haben, niemandem wünschen würden, er müsse diese Erfahrung machen. Wie bei der Prostitutionserfahrung gilt auch hier: Manche haben schwere emotionale Narben davongetragen, andere haben es als Erfahrung verbucht und es hat sie nicht belastet. Sie hatten jedoch alle die Möglichkeit, selbst über ihren Körper zu bestimmen. Weiterhin gibt es Frauen, die diesen Job wirklich sehr lieben. Sie sind meist in privilegierten Positionen: Sie arbeiten in einem Bordell mit guten Konditionen und Absprachen oder sind Escort in einem honorigen Unternehmen. Diese Konditionen kann man sich nur für jede Frau wünschen, die in der Sexarbeit tätig werden möchte.

5.) Wie in 1.-3.dargestellt ist es unsinnig zu behaupten, dass, wenn Frauen um ihre Rechte kämpfen, dieser Arbeit nachgehen zu können, andere darunter leiden. Gleichzeitig sind wir nicht vorrangig gegen ein Sexkaufverbot, um die Damen unter 4. zu schützen, sondern diejenigen, die Prostitution als Verdienstmöglichkeit wählen (müssen), um sich und ihre Kinder durchzubringen, ihrer Drogensucht beizukommen oder sich vor der Obdachlosigkeit zu retten. Ich habe zur Prostitutionsdebatte nicht nur viel gelesen sondern bin selbst wiederholt zu befreundeten Organisationen in Hamburg-St. Pauli und -St. Georg gegangen um mich vor Ort zu informieren. Gerade Sozialarbeiter*innen, die mit jugendlichen, drogenabhängigen und migrantischen Prostituierten arbeiten und sich um deren Befinden sorgen haben furchtbare Angst vor einem möglichen Sexkaufverbot. Ihre Schützlinge werden, aus verschiedenen Gründen, nicht aufhören, sich zu prostituieren. (Christiane F. gab es schon 1982). Dies würden sie fortan ungeschützt in Hinterhöfen tun oder in ihren Heimatländern, in denen es überhaupt keinen Schutz gibt. All jene, die mit diesen Frauen* und Männern* Kontakt haben, fordern einen anderen Weg, den auch wir unterschreiben:

Es ist unserer Meinung nach bezeichnend, dass der Sexkauf-Verbot-Appell von EMMA zuforderst von CDU Politiker*innen unterschrieben wurde, die das Sexkauf-Verbot auch in den Auseinandersetzungen um das neue Prostitutionsschutzgesetz im Sommer 2016 favorisierten. Während die sozialistischen Parteien sich für die Frauenquote, neue, gendergerechte Bildungspläne an Schulen sowie eine Erweiterung des Anti-Diskriminierungsartikels im Grundgesetz um sexuelle Vielfalt einsetzen, ist von all jenem bei der CDU nichts zu lesen. Während sich linke Parteien für ein bedingungsloses Grundeinkommen aussprechen, dass die Not, sich zu prostituieren, abschaffen würde, würden die Ziele der CDU Sexkauf in die prekären Hinterhöfe zwingen. Während sich andere Parteien höhere Ausgaben in der Sozialarbeit (z.B. zur Ausstiegshilfe) wünschen, scheint die CDU zu glauben, dass diese nach einem Sexkaufverbot nicht mehr nötig wären. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Wir schließen uns deshalb den Stimmen an, die mehr Personal für kriminalkommissarische Investigationen im Menschenhandel fordern, die statt Meldezwang und Überwachung von Prostituierten deren Ausstiegsmöglichkeiten fördern und dies vorrangig und dringend durch die Errichtung des bedingungslosen Grundeinkommens.

Wir können hier gerne jetzt elend lang diskutieren, aber vielleicht sollten die Kontrahent*innen unserer Meinung ihre Einwände eher dort anbringen, wo Entscheidungen getroffen werden – wir von Pinkstinks sind nicht aktiv im Bereich der Prostitutionspolitik, weil wir das personell nicht bewerkstelligen können. Gefragt und provoziert, geben wir aber gerne unsere Meinung ab – wie auch zu anderen Debatten, in denen wir Frauen bedroht sehen. Gleichwohl wissen wir (ich wiederhole mich), dass auch Abolitionist*innen sich um das Wohl von Frauen sorgen und aufgrund anderer Erfahrungswege andere Meinungen vertreten. Deshalb lasst uns bitte gewaltfrei kommunizieren.

Zu Sexarbeit und Werbung: 1.) haben wir ein Gesetz, nachdem Sexarbeit nur „unauffällig“ beworben werden darf, was mit den Großplakaten der letzten Monate definitiv nicht eingehalten wurde – hallo, Werberat? 2.) stört uns in den Plakaten, auch wenn sie kleiner und an unauffälligeren Standorten wären, dass Frauen oft devot abgebildet und als „Girls“ betitelt werden – hier gelten dieselben Kriterien wie generell zur sexistischen Werbung. Wo wir können, merken wir dies auch an.

Besten Gruß, Stevie Schmiedel

Hierzu sehr lesenswert: http://www.deutschlandfunk.de/prostitution-jedes-verbot-ist-ein-heimliches-gebot.1184.de.html?dram:article_id=279118