Wenn ich irgendwo das Wort „Vaterschaftsurlaub“ lese oder höre, möchte ich am liebsten laut schreien und etwas kaputt treten. Aber sei es drum, wir müssen darüber reden. Wir müssen darüber reden, dass die EU eigentlich vorsieht, dass Väter nach der Geburt eine zehntägige bezahlte Freistellung bekommen. Kriegen sie aber nicht und deshalb hat Deutschland jetzt zu Recht ein Vertragsverletzungsverfahren am Hals.
Das heißt im Klartext, dass Deutschland nicht genug für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tut. Unter Bundeskanzlerin Merkel hat sich die Regierung immer wieder herausgeredet, dass man den Anforderungen der Richtlinie schon durch das Elterngeld mehr als genüge. Aus dem zum damaligen Zeitpunkt von Franziska Giffey geführten BMFSFJ kam die Vermutung, die Vaterschaftsfreistellung könne das Ziel des Elterngeldes – nämlich die höhere Beteiligung von Vätern an Care-Arbeit – womöglich konterkarieren.
Dabei haben Expert*innen in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass eines das andere nicht ersetzt oder gar ausschließt. Im Gegenteil: Die Möglichkeit, in den ersten Tagen eine bindungssichere Beziehung zu dem Kind aufbauen zu können, ist von zentraler Bedeutung für die weitere Gestaltung der Vaterschaft. Außerdem braucht niemand bei aller Freude über die Fortschrittlichkeit des Elterngeldes in Jubelschreie auszubrechen: Mehr als die Hälfte der Väter nimmt das Elterngeld überhaupt nicht in Anspruch. Von den 43% Elterngeldbeziehern nehmen 75% nur die leider viel zu üblichen als „Vätermonate“ beschönigte oder „Wickelvolontariat“ belächelten 2 Monate. Darüber hinaus haben arme Menschen einmal mehr das Nachsehen: Das Elterngeld wird auf die Grundsicherung angerechnet. Betroffene sind zugleich verpflichtet, den bürokratischen Aufwand der Elterngeldbeantragung auf sich zu nehmen, auch wenn am Ende für sie faktisch das Gleiche dabei herauskommt. Darüber hinaus profitieren sie im Gegensatz zu Erwerbstätigen nicht von einem Mehrlingszuschlag. So rosig ist die Lage also gar nicht.
Sie sollte aber besser werden. Zumindest hatten alle Koalitionsparteien die Freistellung in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Im Koalitionsvertrag steht sie auch.
„Wir werden eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen. Diese Möglichkeit soll es auch für Alleinerziehende geben.“
heißt es da. Nun soll die Freistellung Bundesministerin Paus zufolge 2024 kommen. Und zwar erst dann, weil die wirtschaftliche Situation für kleine und mittlere Betriebe gerade schwierig sei. Das ist zweifellos richtig. Richtig ist aber auch, dass aus Fehlern nicht die angemessenen Schlüsse gezogen werden. Wie oft wollen wir denn noch nichts aus der Katastrophe der versäumten Gleichberechtigung lernen? Man muss sich Gleichberechtigung nicht leisten können. Es ist genau andersherum. Die Krisen der vergangenen Jahre haben deutlich gemacht, dass wir für unsere Versäumnisse in Sachen Gleichberechtigung bitter bezahlen müssen. Und die allgemeine Unwilligkeit, diesbezüglich mit nachdrücklichen Schritten voranzugehen, drückt sich eben auch in der Wortwahl aus. „Vaterschaftsurlaub“. Es geht nicht um ein Leckerli, dass man Vätern hinhält, damit sie sich auch mal beteiligen. Auch wenn viele Männer nach wie vor sehr befremdliche Ansichten von Care-Arbeit haben.
Es geht um die Wertschätzung und das Ermöglichen von Kümmern. Um gute Bindung. Um Familie. Für mich ist der Zug abgefahren. Bei der Geburt meiner Tochter 2005 gab es das Elterngeld noch nicht. Von Vaterschaftsfreistellung ganz zu schweigen. Und auch sonst sah es mit Unterstützungsangeboten sehr mau aus. Das ist kein Grund, es so zu belassen. Es ist ein Grund, deutlich schneller in die Gänge zu kommen als bisher. In Spanien sind die ersten 6 Wochen Elternzeit nach der Geburt seit Anfang letzten Jahres für Väter ebenso obligatorisch wie zuvor schon für Mütter. Worauf warten wir also? Vaterschaft ist kein Urlaub. Es wird höchste Zeit, Care-Arbeit endlich fair zu verteilen und nicht weiterhin so zu tun, als wären Kümmern und seine systemischen Voraussetzungen reine Privatsache. Höchste Zeit, Vätern zu ihren Rechten zu verhelfen und sie in die Pflicht zu nehmen. Und zwar jetzt und nicht vielleicht irgendwann später.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich” oder „männlich” benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.
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