Wie sollten Informationen zu Abtreibungen aussehen?

Kristina Hänel ist bekannt als die Medizinerin, die ein Gerichtsurteil gegen sich anfechtet und bis zum Verfassungsgericht bringen will: Ihr wurde die Verletzung des Paragraphen 219a vorgeworfen, weil sie auf ihrer Webseite informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Auch wenn der Paragraph inzwischen leicht verändert wurde, darf nach wie vor nicht darüber informiert werden, in welcher Form Abbrüche vorgenommen werden. Die von der Großen Koalition angekündigte „Rechtssicherheit“ besteht nach wie vor nicht.

Damit werden weiterhin wichtige Informationen versagt und Frauen in ihrer Selbstbestimmtheit verhindert. Zusammen mit vielen Aktivist*innen und Mediziner*innen kämpft Hänel gegen diesen Irrsinn und erhielt dafür im Juni den Emotion Award 2019.

Als Mitglied im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung kämpft auch Pinkstinks für die komplette Streichung von §219a. Uns interessiert darüber hinaus die Frage, wie genau frei verfügbare Information aussehen soll, was sie optimal enthalten muss und ob sie weiterhin staatlicher Regulierung bedarf. Über diese Fragen sprach Stevie mit Kristina Hänel im Interview.

Stevie Schmiedel: Ich mache mal ein Worst-Case-Szenario auf, damit es nicht heißt, wir würden nicht alle Facetten einer Debatte beleuchten. In Großbritannien ist es erlaubt, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen und darüber auf den eigenen Webseiten zu informieren, es gibt keinen Beratungszwang wie in Deutschland. Ich kenne zwei Beispiele, bei denen das – neben der positiv überwiegenden Tatsache, dass Abtreibung verfügbar gemacht wird – auch eine negative Auswirkung hatte. Einer Freundin wurde beim Abort die Gebärmutterschleimhaut eingerissen. Sie hatte danach schwere, immer wiederkehrende Gebärmutterschleimhautentzündungen, die sich auf einen Eierstock übertrugen, es folgten schwerwiegende Operationen. Es hatte kein aufklärendes Gespräch vor dem Abbruch gegeben außer: „Are you sure?“

Eine andere Freundin ging in die renommierte Marie Stopes Clinic. Auch hier nur ein kurzes Vorgespräch im gleichen Ton. Als die Freundin die Klinik verließ, warteten massenhaft Pro-Life-Supporter mit „Mörder!“-Bannern und Schildern vor der Tür, Bildern von Föten, versuchten sie am Wegfahren zu hindern und schlugen ihr aufs Autodach. Da sie zwar entschlossen aber dennoch schweren Herzens abgetrieben hatte, wurde sie schwer traumatisiert. Niemand hatte sie gewarnt.

Deshalb meine Frage an dich, Kristina: Was müsste ein Vorgespräch optimaler Weise enthalten? Was kann man neben der Information zu gesundheitlichen Risiken dort vermitteln?

Kristina Hänel: Hier sind zwei Aspekte zu bedenken. Der eine ist eine Beratung vor dem Abbruch im Sinne einer Schwangerschaftskonfliktberatung. Diese wird ja als freiwilliges Angebot auch von denen gefordert, die den im §218 festgelegten Beratungszwang ablehnen. In einer solchen Beratung können verschiedene Aspekte abgearbeitet werden. Ein Leitfaden könnte sinnvoll sein, der auf Grundlage häufiger Fragen von erfahrenen Berater*innen erstellt werden sollte. Die Beratung hat neben dem Anteil an fachlichen Wissensfragen noch eine entscheidendere Dimension: die zwischenmenschliche Interaktion. Wenn diese nicht auf Augenhöhe und mit Respekt erfolgt, bringt auch der beste Leitfaden nichts. Ich gehe aber stark davon aus, dass das in vielen Beratungseinrichtungen bereits im Sinne der Frauen umgesetzt wird. Idealerweise sollten der Frau die Informationen angeboten werden, die sie auch selbst möchte. Dazu können Informationen gehören, die Frauen Wege aufzeigen, sich trotz ihrer schwierigen Situation für das Austragen der Schwangerschaft zu entscheiden. Sollte die Frau in ihrem Entschluss gefestigt sein und keine solchen Informationen wünschen, sehe ich darin allerdings keinen Sinn. Das Gespräch sollte für die Frau eine Hilfe und keine zusätzliche Belastung sein. Da kann es schon ausreichen, sich die Geschichte der Frau anzuhören und sie je nach Möglichkeit beratend zu unterstützen.

Mehr Sorge als die Schwangerschaftskonfliktberatung macht mir seit langem das Verhalten einiger Gynäkolog_innen. Immer wieder kommen Frauen zu mir in die Praxis, die bei ihrem/ihrer Frauenärzt*in respektlos, verletzend oder gar herabwürdigend behandelt wurden, weil sie sich für den Schwangerschaftsabbruch entschieden haben. Sie werden dann ohne Überweisung zu mir geschickt oder man sagt ihnen nicht die Blutgruppe, obwohl wir diese Information benötigen. In unverantwortlicher Weise werden den Frauen damit Steine in den Weg gelegt, obwohl sie gerade besonderen Schutz bräuchten.

Der zweite Aspekt ist das ärztliche Vorgespräch vor dem Abbruch. Hierzu gehört natürlich die Aufklärung über das Procedere und die möglichen Komplikationen. Das ist ja bei jedem Eingriff Pflicht und wurde anscheinend bei dem Abbruch in London überhaupt nicht gemacht.

Stevie Schmiedel: Wieviel dieser Informationen und Vorbereitung sollte schon vorab auf der Webseite oder durch Links auf der Webseite zu öffentlichen Webseiten zur Verfügung stehen?

Kristina Hänel: Was genau an Information auf eine ärztliche Webseite sollte, müssen Mediziner*innen selbst entscheiden können. Darum geht es doch. Sinnvoll wäre es natürlich, alle Methoden aufzuführen, die durchgeführt werden können. Dabei sollten die Formulierungen zur Beschreibung der Eingriffe jedem selbst überlassen sein. Außerdem ist es für die Frauen sehr wichtig, dass sie wissen, was sie alles zu ihrem Termin mitbringen müssen. Viele wissen gar nicht, dass sie eine Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragen können. Ein Zu-Viel an Information kann es kaum geben. Natürlich bringt es nichts, jemanden mit allen fachlichen Details zu überfordern, aber das ist auch nicht das Ziel. Das Ziel ist das Informationsrecht zum Schwangerschaftsabbruch. Irgendwelche Informationen auf Webseiten nicht zu geben, macht natürlich überhaupt keinen Sinn. Außer, wenn man die medizinische Versorgung der Frauen schlecht halten will. Dann muss man Informationen unterdrücken und Frauen von Wissen fernhalten.

Stevie Schmiedel: Sollten Berater*innen oder Personen, die informieren und Abbrüche vornehmen, in irgendeiner Form staatlich geschult und überprüft werden?

Kristina Hänel: Dass eine staatliche Schulung oder Kontrolle die Qualität der Beratung erhöht, kann ich mir nicht vorstellen. Sollten Wissenslücken bestehen, wäre es unbedingt geboten, diese zu schließen. Ansonsten kann man etwas wie die Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch und zur körperlichen Selbstbestimmung der Frau nicht schulen. Eine Schulung kann nicht verhindern, dass der Frau in einer Vier-Augen-Situation ablehnend begegnet wird. Hier sind die Beratungsstellen gefragt.

Bei denjenigen, die Abbrüche durchführen, verspreche ich mir auch keine höhere Qualität durch staatliche Schulungen. Jede und jeder, die oder der sich dafür entscheidet, Abbrüche zu machen, hat sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt. Sollten Mediziner*innen menschlich weniger für den Eingriff geeignet sein, wird sich dies nicht in einer Schulung herausfinden lassen. Dennoch möchte ich betonen, dass das Erlernen der Abbrüche in die Ausbildung gehört. Auch diejenigen, die Abbrüche persönlich ablehnen, müssen in einer Notsituation in der Lage sein, einen Abbruch durchzuführen, wenn davon das Leben der Frau abhängt. Wichtig sind Ausbildungsstandards. Für die Beratung und auch für den Abbruch selbst.

Stevie Schmiedel: Wie kann man eine Traumatisierung durch Pro-Life-Supporter verhindern – gibt es psychologisch beratende Inhalte, die man öffentlich zugänglich machen könnte?

Kristina Hänel: Gegenwärtig ist es so, dass radikale Pro-Life-Aktivist*innen, die vorhaben, eine Frau durch verstörende Darstellungen von Föten oder schreienden Kindern zu traumatisieren, dieses Ziel auch erreichen können. Der EuGH hat im Fall von Klaus Günter Annen, dem Betreiber der Seite babycaust.de, zwar genaue Grenzen gesteckt, was durch die Meinungsfreiheit gedeckt wird, aber im Zweifel können die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für eine Traumatisierung ausreichen. Daher fordern wir auch die Einführung von Schutzzonen vor Einrichtungen, die die Schwangerschaftskonfliktberatung anbieten, und Kliniken und Praxen, die den Schwangerschaftsabbruch durchführen. Wir wünschen uns eine Sanktionierung derjenigen, die Frauen oder Fachleute vor Beratungs- und Abbrucheinrichtungen belästigen. In Frankreich ist das z.B. der Fall. Dort drohen Bußgelder für eine derartige Belästigung.

Vor der Traumatisierung durch Inhalte im Internet zu schützen, ist noch einmal deutlich schwerer. Hier haben noch immer die Abtreibungsgegner das Monopol, da sie auch gezielte Fehlinformationen zum Beispiel zu den Risiken und Folgen eines Abbruchs verbreiten dürfen. Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, ist es auch nach der Ergänzung des § 219a StGB unverändert verboten, über Abbrüche und ihre Arbeit öffentlich zu informieren. Eindrucksvoll hat sich die neue „Rechtssicherheit“ im Fall von Bettina Gaber und Verena Weyer gezeigt, die zu einer Strafe von 4000 Euro verurteilt wurden, weil sie auf ihrer Homepage stehen haben, dass sie narkosefreie und medikamentöse Abbrüche in der Praxis durchführen. Diese Informationsschieflage, die durch den §219a entsteht, muss entschärft werden. Fachleuten muss es möglich sein, sachlich und seriös zu informieren. Absichtlich irreführende und verletzende Webseiten sollten untersagt werden, wie es z.B. in Irland geschehen ist.

Wir informieren alle Frauen, die zu uns kommen, falls die „Abtreibungsgegner“ vor der Praxis stehen, damit sie wissen, was auf sie zukommt. Diese Information ist das mindeste, was für die Frauen geleistet werden muss. Das wurde bei dem angesprochenen Fall versäumt und die Frau tappte unvorbereitet in das traumatische Erlebnis, so dass für sie der Eindruck entstehen musste, die Marie Stopes Klinik habe ihr das angetan, da sie die Information verschwiegen hatten. Je mehr Informationen im Netz öffentlich werden, die vor den verleumdenden Webseiten warnen, desto besser können Frauen geschützt werden, solange es kein staatliches Verbot für irreführende, verleumdenden Webseiten gibt, die Frauen in die Irre führen. Ein psychosoziales Angebot für durch die Umstände des Abbruchs traumatisierte Menschen wäre eine gute Idee. Diese Verletzungen passieren ja ständig und Frauen erhalten keine Hilfe, sondern nur weiteren Druck.

Stevie Schmiedel: Liebe Kristina Hänel, vielen Dank für diese Einschätzungen, viel Kraft für den weiteren Kampf und wir werden unterstützen, wo wir können.