Esra Karakaya fragt: Wo sind die Frauen in den Medien?

Wo sind die Frauen in den Medien?

Corona, Krieg, Krisen und Nachrichten – fast egal, worum’s geht, in den Medien erklären nach wie vor in erster Linie weiße cis Männer, was auf der Welt los ist. Daran mögen wir unbewusst gewöhnt sein, aber ein Naturgesetz ist es deshalb noch lange nicht! 

Eine große Studie – das Global Media Monitoring Project – hat im Jahr 2020 über 30.000 Berichte in TV, Zeitungen, Radio und auf Websites in 116 Ländern untersucht. Ergebnis: Weibliche Personen kommen in der Berichterstattung viel zu wenig vor. Nicht mal ein Viertel der Menschen, die interviewt wurden oder über die berichtet wurde, waren weiblich.  

Selbst bei Themen, die Frauen direkt betrafen – wie beispielsweise geschlechtsspezifische Gewalt – hatten männliche Stimmen den Vorrang. „Die Hälfte der Weltbevölkerung war so gut wie nicht vertreten“, so das vernichtende Urteil der Studie. Zudem kamen Frauen in den untersuchten Medien nur selten in der Rolle der Expertin oder Fachperson vor. Männer erklären die Welt – überall.  

Auch in Deutschland. Laut einer Studie der MaLisa-Stiftung (2020) sind 74 Prozent der Expert*innen in Informationssendungen männlich und 26 Prozent weiblich. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie der Neuen deutschen Medienmacher*innen (2021): Nur 21 Prozent der Expert*innen, die in deutschen Abendnachrichten zu Wort kommen, sind weiblich – ein eindeutiges Ungleichgewicht! 

Bisher entspricht das Gesellschaftsbild im Film und Fernsehen eher selten dem Bild aus Bus und Bahn. Und nur langsam tut sich etwas in Richtung Vielfalt. Ob nicht-binäre und trans* Personen, Menschen mit Behinderung oder von Rassismus betroffene Personen – sie alle tauchen auf deutschen Bildschirmen noch viel zu wenig auf. Eine Schwarze Frau mit Behinderung als Fußballexpertin zur Prime Time: Klingt ungewöhnlich, sollte aber längst total normal sein.

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Wieso ist das so?

Dahinter stecken soziale und strukturelle Systeme wie Kapitalismus, Kolonialismus und Rassismus. Die alten, verkrusteten und diskriminierenden Strukturen des Patriarchats tragen insbesondere dazu bei, dass die meisten Expert*innen in Film und Fernsehen männlich sind. Motto: „Lass den Papa mal machen, der weiß Bescheid!“ 

Erstens ist in einer patriarchalen Gesellschaft der Anteil von weißen Männern in Machtpositionen grundsätzlich viel größer. Auch in Redaktionen. Das heißt, weiße Männer entscheiden, wer wann vor die Kamera oder das Mikro kommt. Und für welches Thema. 

Die Ergebnisse der Diversitäts-Studie der MaLisa-Stiftung zeigen: Von allen Fernseh-Genres ist der Frauenanteil in fiktionalen Geschichten mit 47 Prozent am höchsten; hier liegt der männliche Anteil bei 53 Prozent. Am wenigsten tauchen Frauen in Informationssendungen auf; da ist nur etwa ein Drittel weiblich. Innerhalb der Unterhaltungsformate ist der Frauenanteil in Doku-Soaps und Kochshows mit 45 bzw. 46 Prozent am höchsten; am seltensten kommen Frauen in Quiz-Shows vor.  

Das hängt unter anderem mit der Aufteilung der Geschlechterrollen zusammen und wie sie sich im 19. Jahrhundert verfestigt haben. Kurzversion: Damals wurde Frauen der häusliche Bereich zugeordnet und Männern der öffentliche. Frauen also Küche, Kinder und Gefühle; Männer hingegen Macht, Politik und Geld. Aus diesem Grund werden noch immer in erster Linie Männer als Experten für Themen der Öffentlichkeit angefragt und Frauen die Expertise auf diesen Gebieten abgesprochen.

Zweitens sind benachteiligte Gruppen in einer patriarchalen Gesellschaft weniger sichtbar. Weibliche und möglichst diverse Expert*innen zu finden, bedeutet mehr Aufwand. In Kombination mit dem Zeitdruck, dem Redaktionen häufig unterliegen, wird aus Bequemlichkeit dann doch wieder Dr. Thorsten Schmitt für ein Interview angefragt.

Drittens teilt das Patriarchat die Sorgearbeit nach wie vor der Frau zu. Darum kann es sein, dass Expertinnen weniger Zeit für Interviews haben, weil sie sich um die Familie kümmern müssen. Von dem ganzen Hass, der ihnen im Netz häufig entgegen geschleudert wird, mal abgesehen. 

Viertens wird von einer Frau als Expertin viel mehr erwartet. „Bei Männern reicht weniger, die müssen nur eine Masterarbeit zu einem Thema verfasst haben, Frauen aber gleich zehn Bücher. Somit stehen dann automatisch weniger Frauen zur Auswahl“, sagt Professorin Elizabeth Prommer, die die MaLisa-Studien geleitet hat. 

Letztlich unterschätzen Frauen auch oft ihre eigene Fachkompetenz, weil sie mit unbewussten Botschaften aufwachsen: Frauen können und wissen weniger, Männer hingegen erklären die Welt. 

Warum ist das ein Problem? 

Genau hier schließt sich der Kreis. Wenn überwiegend Männer als Welterklärer zu sehen sind, dann formt sich in den Köpfen der Menschen die Vorstellung: Experte = männlich. Durch die ständige Wiederholung von männlicher Expertise wird männliche Autorität und Deutungshoheit bestätigt. 

Und je weniger Frauen zu sehen sind, desto mehr verstärkt sich gleichzeitig die Vorstellung, dass sie keine Expertinnen sind oder sein können; sie machen halt das mit dem Haushalt und unterstützen ihren Mann bei seiner wichtigen Arbeit. Ihre „natürliche“ Rolle.  

Diese unbewussten Vorstellungen ziehen sich dann durch alle Bereiche des Lebens. So verstärken Geschlechterstereotypen (Frau = Herd; Mann = Experte) die Benachteiligung von weiblich sozialisierten Personen.  

Außerdem bestimmen männliche Erklärer, worüber gesprochen wird – und worüber eben auch nicht. Das führt dazu, dass viele Perspektiven, Themen und Menschen gar nicht auftauchen. Und so finden Menschen, die eben keine weißen, nicht-behinderten, cis Männer sind, sich und ihre Anliegen in der Öffentlichkeit oft nicht wieder. Dadurch fehlen nicht nur Vorbilder, es beeinflusst auch den politischen Diskurs – und damit die Teilhabe und ganz konkret das tägliche Leben dieser Menschen. 

Es geht auch anders!

Schon während der Pandemie haben Frauen geholfen, das Virus und die Maßnahmen zu erklären. Wie beispielsweise die Professorin Melanie Brinkmann, Professorin Sandra Ciesek und Professorin Marylyn Addo

Dazu gehört auch die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die unter anderem einen Grimme-Preis für ihre Erklärungen zu Corona bekommen hat.

Im Zuge des Krieges in der Ukraine haben sich einige Expertinnen für Sicherheitspolitik hervorgetan. Zum Beispiel Florence Gaub, Claudia Major, Ulrike Franke, Jana Puglierin und Margarete Klein

Und auch Außenministerin Annalena Baerbock zeigt in Gesprächsrunden immer wieder, dass sie sehr genau weiß, was Phase ist – wie hier in diesem Ausschnitt aus 2020:

Also, es gibt wirklich viele Expert*innen, die uns die Welt mindestens genauso gut erklären können wie weiße Männer. Oder sogar besser. Wir müssen ihnen nur endlich mal zuhören. 

Wichtige Studien auf einen Blick


Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich” oder „männlich” benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe. Häufig greifen wir auch Statistiken auf, die meistens leider nur die binären Geschlechter “Frau” und “Mann” berücksichtigen. 

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Bildquelle: Pinkstinks Germany e. V.

Bildquellen aus dem Video:
Wikimedia Commons Lizenz CC BY-SA 4.0
Düzen Tekkal: Richard Pflaume, keine Änderungen vorgenommen
Friederike Otto: Stefanie Loos / re:publica, Ausschnitt aus Originaldatei, keine weiteren Änderungen vorgenommen
Hadija Haruna-Oelker: Harald Kriche, keine Änderungen vorgenommen 
Tupoka Ogette: Tavin, keine Änderungen vorgenommen 
Annalena Baerbock: Sandro Halank, keine Änderungen vorgenommen 
Public Domain:Sawsan Chebli: Elke A. Jung-Wolff / usbotschaftberlin