Die Alpha Show

Die Alpha-Show

Wenn man sich wie ich für die Belange von Männern interessiert, für ihr Fortkommen, ihre Gesundheit und ihre Emanzipation, wird man schnell feststellen, dass dieser Platz leider schon besetzt ist. Schade, aber da ist bedauerlicherweise nichts zu machen. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts für Sie zu sehen und zu tun. Sie stören die Alpha-Show.

Die Alpha-Show läuft schon seit einigen Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten und veranstaltet ein Heidenspektakel darum, dass Männer angeblich nicht mehr so sein dürfen oder können wie Männer und sich deshalb jetzt aber mal so richtig krass machen sollen. Muskeln aufbauen, Dominanz ausstrahlen, businessmäßig reinhauen, Frauen klären. Dafür dann wahlweise Rapmusik von Kollegah hören bzw. gleich an seinem Alpha-Mentoring-Programm teilnehmen. Oder für die Freunde der gebildeteren Unterhaltung die 12 Rules For Life von Jordan Peterson lesen und den Meister in zahlreichen YouTube-Clips bewundern, in denen er sich in endlosem Geschwafel akademischen Worthülsen bedient, die irgendwie Eindruck schinden sollen.

Im Spektrum zwischen Kollegah und Jordan Peterson gibt es zahlreiche Männer, die sich diesem nahezu kultischen Weltbild auf die eine oder andere Art verschreiben. Männer, die Kurse darüber geben, wie man Frauen, die Börse oder den Fitnessclub dominiert. Männer, die anderen Männern immer wieder Versionen vom Mythos des Auserwählten präsentieren: Du bist besonders, du bist mächtig, du hast Anspruch, du verdienst Gefolgschaft. Falls sich das alles bisher in deinem Leben nicht materialisiert haben sollte, bist du nicht Alpha und hast etwas falsch gemacht. Dann musst du dich besonders machen/mal zusammenreißen/disziplinieren/formen, bis du als Mann das Erbe deiner patriarchalen Existenz endlich annehmen und ausspielen kannst. Es sind einfache Antworten auf komplexe Fragen. Das ganze Leben gilt als ständiger Kampf um Dominanz und Macht, um sich an die Spitze der menschlichen Hierarchiepyramide zu setzen.

Alpha-Männer, auch gerne als Alphatiere bezeichnet, existieren in allen politischen Farbschattierungen. Oskar Lafontaine wurde ebenso als Alphatier bezeichnet wie Joschka Fischer, Ralf Stegner, Wolfgang Kubicki und „das Alphatier aus dem Sauerland“ Friedrich Merz. Unverkennbar aber herrschen Brauntöne vor. Die Sehnsucht nach unwidersprochener Autorität, Selbstwirksamkeit und Macht innerhalb des angeblichen „Alpha-Mindsets“ ist in weiten Teilen anschlussfähig, wenn nicht deckungsgleich mit rechtskonservativen, nationalistischen, ja rechtsradikalen Identitätsvorstellungen. Es geht um den „verweichlichten Westen“, die „linke Meinungsdiktatur“ und immer wieder um das als unmännlich charakterisierte Verhalten von Männern, die sich tatsächlich nicht weniger dafür interessieren könnten, ob irgendwelche Proud Boys, schlagende Verbindungstypen und Faschodudes sie für „echte Kerle“ halten oder nicht. Die aber zu ihrem Unglück in einer Gesellschaft leben, die Männlichkeitskonzepte mit Wahnvorstellungen von Härte, Stärke, Gefühlskälte und Frauenverachtung füllt.

Warum aber verfängt all das auch diesseits rechter Männer? Die Alpha-Show ist aus drei Gründen bei Männern erfolgreich. Da wäre zum einen der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt. Wir neigen dazu, uns besser und kompetenter einzuschätzen als wir faktisch sind. Wenn sich über 70% der befragten Personen für überdurchschnittlich hält, wer ist dann noch durchschnittlich? Oder gar unterdurchschnittlich? Wenn alle durch eigene Leistung, Anstrengung und „Mindset“ zum Alpha, zum King, zum King of Kings, Boss der Bosse, Überheld und natürlich zum überheldischen Alphakingbossbossdonmackplayerboss werden können, wer stellt dann die Masse, über die sich „alle“ erheben? Wenn alle an die Spitze der Pyramide drängen, wer ist dann noch unten?

Zum anderen verkauft sich der Ratschlag „Wenn du nicht bekommst, was du willst, musst du einfach sehr viel heftiger und rücksichtsloser zugreifen“ deutlich besser als alle entgegengesetzten. Wer will schon hören, dass ihm etwas womöglich gar nicht zusteht. Dass er sich bescheiden und loslassen sollte, anstatt „dem Leben an die Gurgel zu gehen und es zu seiner Schlampe zu machen„.

Das gehört dir nicht.
Das steht dir nicht zu.
Darauf hast du keinen Anspruch.
Das geht dich nichts an.

Alles keine Verkaufsschlager wie der, endlich durch rücksichtsloses Arschlochverhalten und ein paar Psychotricks endlich die Sorte Mann zu werden, der sich „Frauen unterwerfen“.

Das Patriarchat hat einen eingebauten Selbstschutzmechanismus, der darin besteht, Fragen wie „Warum sollte ich wollen, dass sich Frauen mir unterwerfen?“ als unmännlich zu charakterisieren. Wer seine eigenen Zurichtungen und die Übergriffe gegen andere infrage stellt, ist kein richtiger Mann. So einfach ist das.

Zu einfach ist auch der dritte Grund, warum die Alpha-Show so gut läuft. Denn sie erklärt Dinge so unterkomplex, so holzschnittartig und schlichtweg falsch, dass am Ende simple Lösungen für sehr schwierige Probleme bleiben. Die Vorstellung davon, was ein Alpha-Mann ist, beruht größtenteils aus einer überholten und widerlegten Annahme über Wolfsrudel. Tatsächlich hat sich der sogenannte Alpha-Wolf nicht gegen seine Artgenossen durchgebissen, um sich als Anführer an die Spitze des Rudels zu setzen. Stattdessen handelt es sich bei dem Wolfsrudel eher um einen Clan und der sogenannte Alpha-Wolf ist lediglich das Vatertier, das seine Nachkommen führt. Der Verhaltensforscher L. David Mech hat den Begriff nach damaligem Wissensstand in den 70er Jahren durch ein Buch populär gemacht und danach lange gegen seine fälschliche Verbreitung gekämpft.

Aber auch bei den Tierarten, in denen die Vorstellung eines Alphamännchens Substanz hat, funktioniert es sehr anders, als es sich biologisierende Menschenmännchen vorstellen. Der Primatenforscher Frans de Waal, ein weiterer Wissenschaftler, der den Begriff Alphamännchen populär gemacht hat, beschreibt es so: Für Männer, die sich für Alpha-Männer halten oder es gerne wären, ist der Begriff offenbar gleichbedeutend mit Bully. Mit rücksichtsloser Durchsetzungskraft zum Erreichen der eigenen Ziele. Tatsächlich ist das Alpha-Konzept jedoch deutlich vielschichtiger.

Bei Schimpansen wird beispielsweise nicht zwangsläufig das stärkste Männchen zum Alphamännchen. Stattdessen bestimmt sich die Führung einer Schimpansengruppe durch hochkomplexe soziale Vorgänge wie Koalitionsbildung, Verwandtschaft, Kümmern um andere und Interessenlage. Alpha sein heißt vielfach nicht sich durchsetzen, sondern eingesetzt werden – und zwar nach unterschiedlichen Kriterien.

Die Alpha-Show will uns weiß machen, Leben sei durchdrungen von Hierarchien und Hierarchien seien grundsätzlich pyramidenförmig angeordnet. Aber selbst in der Tierwelt gibt es soziale Ordnungen, die als Heterarchie nicht von Über- und Unterordnungsverhältnissen, sondern von einem gleichberechtigten Nebeneinander gekennzeichnet sind. Und da, wo es sich um Hierarchien handelt, sind sie in den seltensten Fällen reine Pyramidenkonstrukte. Selbst innerhalb der Alpha-Show hat man(n) das festgestellt und deshalb den Sigma-Male erfunden – quasi ein Alphamännchen, das irgendwie außerhalb der sozialen Rangordnung steht, den ganzen Rummel um seine Person nicht wirklich braucht, aber trotzdem super erfolgreich und beliebt ist. An anderer Stelle wurde der Alphamann auch etwas aufgeweicht und als ein Mann beschrieben, der sich auch um andere sorgt, weil er ja die Gruppe führt. Egal wie man es dreht und worum die Alpha-Show in Zukunft noch erweitert, eines steht fest:

Menschen sind mehr als die Alpha-Show. Männer sind mehr als die Alpha-Show. So real hierarchische Strukturen sein mögen, so komplex sind sie auch. Man(n) durchschaut sie nicht mit biologistischen Tiervergleichen. Man(n) meistert sie nicht mit Ignoranz und Durchsetzungvermögen. Soziale Interaktionen zeichnen sich durch weit mehr Dinge aus als Dominanz und Unterwerfung. Die Alpha-Show ist ein ziemlich verzweifelter Versuch, das zu bekommen, was Männern angeblich zusteht. Und wenn wir irgendwann endlich fertig sein sollten mit dieser in alle Richtungen übergriffigen Luftnummer, dann können wir vielleicht anfangen, uns damit zu beschäftigen, wer Männer sind und was sie brauchen.

Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen. Wenn wir die Adjektive „weiblich“ oder „männlich“ benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.

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Bildquelle: Pinkstinks e.V.