Eine Kolumne von Nils Pickert
Als Twitter noch Twitter war und nicht die einbuchstabige Egomaschine eines zutiefst gekränkten Mannes, bin ich vor Jahren über einen Tweet gestolpert, der mir immer noch zu denken gibt. Er lautete ungefähr so:
Die meisten eurer angeblich so großartigen Hetero-Beziehungen erfüllen nicht einmal die Ansprüche an mittelmäßige Freundschaften. So wie ihr miteinander umgeht, würde man nicht darauf kommen, dass ihr euch tatsächlich leiden könnt.
Es gibt mir zu denken, weil viele der heterosexuellen Paare auf meinem Radar tatsächlich nicht besonders, nun ja, nett und freundschaftlich miteinander umzugehen scheinen. Sie haben zwar Momente, die von Innigkeit, Wertschätzung und Wohlwollen geprägt sind, aber oftmals wirken sie auch einigermaßen konsterniert darüber, warum der oder die andere überhaupt so viel in ihrem Leben stattfindet. Und wenn man anfängt, in diese Richtung zu recherchieren, stellt man schnell fest, dass der Eindruck nicht täuscht. Heterosexuelle Paare erliegen der „Tragödie der Heterosexualität“ wie es die Autorin Jane Ward formuliert.
Grob zusammengefasst könnte man diese Tragödie so zusammenfassen: Jetzt haben Heten also die letzten paar Jahrhunderte damit verbracht, patriarchale romantisierende Liebesvorstellungen zu etablieren, und das haben sie jetzt davon. Beziehungsweise nicht „sie“, sondern vor allem die Frauen. Für heterosexuelle Frauen ist es statistisch gesehen am unwahrscheinlichsten, dass sie während des Sex einen Orgasmus haben (Orgasm Gap). Sie sind sexuell und emotional unzufriedener mit ihren Beziehungen als ihre männlichen Partner. Sie waten knietief in sexistischer, misogyner Scheiße, während sie sich die Seele aus dem Leib um alle anderen kümmern, in die Altersarmut rutschen, nur um nach getaner Arbeit gegen eine deutlich jüngere Frau ausgetauscht zu werden, weil sie – mann weiß gar nicht, warum – in letzter Zeit irgendwie nur noch schlecht gelaunt, verbraucht und fertig gewirkt haben. Klassisches Beispiel für diese spezielle Form männlicher Ignoranz: Vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl 2017 gab der damalige Ministerpräsident Torsten Albig dem Magazin Bunte ein legendäres Interview: Darin sprach er über die Trennung von seiner Ehefrau und über seine neue Beziehung zu einer jüngeren Frau. Die Trennung begründete er wie folgt:
Irgendwann entwickelte sich mein Leben schneller als ihres. Wir hatten nur noch ganz wenige Momente, in denen wir uns auf Augenhöhe ausgetauscht haben. Ich war beruflich ständig unterwegs, meine Frau war in der Rolle als Mutter und Managerin unseres Haushaltes gefangen.
Wer sie in dieser Rolle gefangen hielt, kam ihm wie vielen anderen irgendwie nicht in den Sinn. Ehe sollte für heterosexuelle Frauen mit einem Warnhinweis kommen: Während verheiratete Männer länger leben als unverheiratete, gilt für Frauen das genaue Gegenteil. Sich in ein gemachtes Nest zu setzen, hält also gesund, während Nestbau und -pflege unfassbar stresst. So weit, so wenig überraschend. Da ist es dann auch kein Wunder, dass gleichgeschlechtliche Paare glücklicher sind. Sie teilen sich Finanzen, Care-Arbeit und Verantwortung anders auf. Sie kommunizieren anders miteinander. Sie haben anderen Sex. Jane Ward schreibt zu letzterem, dass die Vorstellung, mit dem Orgasmus eines Mannes sei der Sex beendet, im Grunde ziemlich witzig, weil lächerlich wäre. Allerdings nur solange, bis man sich vergegenwärtige, was das für heterosexuelle Frauen bedeutet.
Heterosexuelle Beziehungen sind also oft gar nicht mal so gut. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen biologisiert und überbetont werden, während ihre Beziehungen miteinander unter romantischem bzw. sexualisiertem Generalverdacht stehen. Frauen gelten Männern als das andere, geheimnisvolle, rätselhafte Geschlecht, mit dem sie gemäß dem Harry-Und-Sally-Syndrom (über das ich mich schon verschiedentlich aufgeregt habe) nicht miteinander befreundet sein können. Deswegen wollen Dudes auch immer raus aus der Friendzone. Die Friendzone, das ist der Wartesaal in der Vorhölle zur unfreiwilligen Sex- und/oder Beziehungslosigkeit, in dem mann dann mit den anderen Dudes rumsteht und Bretzeln knabbert.
Weil Freundschaft, füreinander da sein und „können wir uns einfach nur miteinander unterhalten“ natürlich keine Beziehung mit Aussicht auf Ficken ist und daher ganz, ganz schlimm.
Nicht dass wir uns missverstehen: Natürlich kann es ätzend sein, wenn man sich in eine Person verknallt, die diese Gefühle nicht erwidert. Aber Freundschaft ist dabei ganz sicher nicht das Problem. Im Gegenteil: Eigentlich sollten heterosexuelle Männer und Frauen, die Freundschaftszone geradezu stürmen und ihre Liebesbeziehungen gleich mitnehmen. Denn für meine Freundin würde ich doch nicht wollen, dass sie finanziell übervorteilt wird, in Care-Arbeit ersäuft und schlechten Sex hat. Für meinen Freund würde ich mir etwas anderes wünschen, als dass er sich für eine Karriere krumm machen muss, die er so womöglich gar nicht will, kaum Zeit mit seinen Kindern verbringen kann und darüber nicht mal seine Gefühle auszudrücken vermag.
Aber bei Partnerin und Partner ist das dann irgendwie ok, oder was?
Die Freundschaftszone kann gar nicht groß genug sein. Ja, es ist vielleicht schwieriger, in dieser Zone erotische Spannung aufzubauen, weil man sich dort so nah ist, dass man sich kaum fremd genug werden kann, um etwas in Distanz heranzubegehren. Aber erstens ist Begehren auch in größtmöglicher Nähe möglich. Und zweitens hätte ich da abschließend noch eine Frage:
Was ist wahrscheinlicher: Dass Männer den Menschen, mit dem sie am engsten befreundet sind, beschimpfen, verprügeln, vergewaltigen und töten… oder ihre Partnerin?!
Wenn wir von Frauen und Männern sprechen, beziehen wir uns auf strukturelle gesellschaftliche Rollen, die weiblich und männlich gelesene Personen betreffen. Gleiches gilt für die Adjektive “weiblich” und “männlich”. In Statistiken und Studien, die wir zitieren, wird leider oft nur zwischen Frau und Mann differenziert.
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Bildquelle: istock/gorodenkoff