Gummibärchen gegen Falten?

Manche Dinge klingen einfach zu schön, um wahr zu sein: magische Zimmer, die man niemals aufräumen muss oder süße Gummibärchen, die schöne Haut machen. Moment mal… Davon haben wir schon gehört. Aber geht das wirklich?

Hersteller wie Tempting Collagen oder Bears with Benefits bewerben ihre bunten Gummibärchen in Magazinen oder bei Douglas mit Hinweisen auf den gesundheitlichen Nutzen der Leckereien. Vor allem Kollagen, aber auch Q10 oder Hyaluronsäure sollen beim Naschen ganz nebenbei ein jüngeres Hautbild zaubern. 

Ökotrophologin Susanne Liedtke, die die Plattform nobodytoldme gegründet hat, kann darüber nur den Kopf schütteln.

Was an den Versprechen der Hersteller dran ist und was schlichtweg nicht stimmt, verrät sie im Interview mit Pinkstinks.  

Susanne Liedtke ist Gründerin der Plattform nobodytoldme, die alle, die menstruieren oder menstruiert haben, durch die Menopause begleitet. Bildquelle: Helen Fischer

Pinkstinks: Wie bist du auf die Gummibärchen aufmerksam geworden? Und warum hast du bei den Beauty-Versprechen genauer nachgeforscht?

Susanne Liedtke: Ich habe die Gummibärchen zwar schon öfter bei Douglas und in Online-Shops gesehen, aber eigentlich immer nur belächelt. Mit meiner Plattform nobodytoldme begleite ich Frauen durch die Perimenopause und Menopause. Meine Kernkompetenz als Ökotrophologin dabei ist die Ernährung. Dazu bekomme ich viele Fragen aus der Community. Da kam auch die Frage nach den Kollagen-Gummibärchen immer wieder auf. Deshalb habe ich mich entschlossen, genauer nachzulesen, mit welchen Versprechen eigentlich geworben wird. Mit der Gynäkologin Dr. Christina Enzmann, die mich bei nobodytoldme unterstützt, habe ich mir die Produkte genauer angesehen. 

Werbeversprechen: „Wenn du alterst, produziert dein Körper weniger Kollagen, was zu trockener Haut führt. Mit den Tempting Collagen Gummies von Sway hast du eine gesunde und leckere Alternative …“ 

Tempting Collagen Gummies 

Pinkstinks: Kollagen ist nicht nur irgendein Eiweiß, sondern mit einem Anteil von 30 Prozent sogar dasjenige, welches in unserem Körper am meisten vorkommt. Es ist gibt der Haut Festigkeit, findet sich aber auch in Knochen oder Zähnen. Warum kann ich nicht einfach Kollagen essen, um schönere Haut zu bekommen und um meinem Körper etwas Gutes zu tun?

Susanne Liedtke: Mit zunehmendem Alter bauen wir mehr Kollagen ab als auf. Das hängt damit zusammen, dass das Hormon Östrogen dafür verantwortlich ist, dass Kollagen gebildet wird, die Haut festbleibt und jung wirkt. Ab 35 Jahren wird das Östrogen bei Frauen aber langsam weniger. Damit fehlt ein wichtiger Baustein für die Kollagenbildung. Wenn in den Gummibärchen also nur Kollagen enthalten ist und die Frauen führen nicht noch zusätzlich Östrogen zu, bringt das Frauen, die bereits einen niedrigen Östrogenspiegel haben, gar nichts. 

Pinkstinks: Östrogen ist doch ein „weibliches“ Geschlechtshormon. Wie ist das dann bei Männern?

Susanne Liedtke: Der Kollagenaufbau bei Männern wird durch das Hormon Testosteron angeregt und das macht die Haut um bis zu 20 Prozent dicker. Das Mehr an Kollagen ist die Ursache, weshalb Männer in der Regel später im Leben Falten bekommen. Jetzt kommen Männer auch nicht in die Wechseljahre. Deren Testosteronspiegel sinkt zwar auch im Laufe ihres Lebens, aber das geht langsamer und kontinuierlicher vonstatten als bei Frauen.

Pinkstinks: Mit ausreichend Östrogen im Körper machen die Kollagen-Süßigkeiten dann aber schöne Haut, oder nicht?

Susanne Liedtke: Das kann man so nicht unbedingt sagen. Wenn wir die richtigen Proteine aufnehmen, haben wir die Chance auf strahlendere Haut, festere Fingernägel und kräftigeres Haar bei guter und körpereigener Östrogenversorgung. Wenn wir die vermeintlich gesunden Gummibärchen essen werden im Magen erst einmal alle zugeführten Eiweiße, also auch das Kollagen aus den Gummibärchen, in kleinere Einheiten aufgespalten. Im Dünndarm geht die Proteinverdauung dann weiter. Die Aminosäuren aus den Proteinen werden ins Blut aufgenommen und zur Leber transportiert. Dort werden sie verstoffwechselt und dorthin transportiert, wo sie im Körper gebraucht werden. Im Bindegewebe entsteht so unter anderem mit Hilfe des Östrogens Kollagen. Dafür braucht es aber kein Kollagen aus Gummibärchen, sondern einfach nur Eiweiß mit hoher Bioverfügbarkeit.

Es gibt keinen Grund, künstlich Kollagen in die Ernährung zu integrieren. Keine einzige zugelassene Studie bestätigt, dass Kollagen in Nahrungsergänzungsmitteln die Haut optisch verbessert. Meist fügen Hersteller dann beispielsweise Vitamine zu den Produkten hinzu. Damit können sie trotzdem als Produkt mit gesundheitlichem Nutzen verkaufen werden.

Pinkstinks: Was kann ich stattdessen essen, um meinen Körper bei der Kollagenbildung zu unterstützen?

Susanne Liedtke: Geflügel, Fisch, Ei, Tofu, Hanfsamen und Nüsse. Aber auch Hülsenfrüchte wie Bohnen in Kombination mit Mais liefern wertvolles Eiweiß. Wer sich vegan ernährt, muss ein wenig mehr auf die Zusammensetzung der Proteine achten. Nicht alle pflanzlichen Eiweiße enthalten alle essentiellen neun Aminosäuren, die der Körper braucht. Hanfsamen enthalten zum Beispiel alle davon. Kollagen in der Nahrungsergänzung ist übrigens immer tierischen Ursprungs. Es gibt kein pflanzliches Kollagen. Was so bezeichnet wird, ist eigentlich Proteinpulver, das den Körper mit pflanzlichen Proteinen versorgt, mit denen er selbst Kollagen bilden kann.

Proteine stecken zum Beispiel in Geflügel und Fisch, aber auch in Tofu und Hülsenfrüchten. (Foto: Megan Sherling/Unsplash)

Pinkstinks: Was ärgert dich am meisten an den Produkten? 

Susanne Liedtke: Am meisten stört mich, dass suggeriert wird, dass diese Produkte eine schöne, jugendliche Haut schaffen. Hier wird mit der Unwissenheit der Verbraucher:innen viel Geld gemacht. Außerdem sind die Gummibärchen sehr teuer. Da zahlt man für ein Kombipaket mal eben den “Angebotspreis” von 99 Euro…
Eine der Marken enthält als Hauptbestandteil Zucker. Wenn ein “Lebensmittel“ schlecht für die Haut ist, dann Zucker. Als empfohlene Tagesdosis werden bei einem der Produkte dann vier Gummibärchen angegeben. Aber wer isst denn nur vier Gummibärchen? Bei einer anderen Marke werden kalorienarme Süßungsmittel verwendet. In diesem Fall sind es Zuckeralkohole, die bei übermäßigem Verzehr zu Blähungen und Durchfall führen können. Insgesamt ist das Essen von angereicherten Gummibärchen ganz weit weg von guter und gesunder Ernährung. Ich würde von den Herstellern und Herstellerinnen gerne wissen, ob sie wollen würden, dass ihre Töchter lernen, dass man so seinen Vitaminbedarf deckt. Und last not least, dürfen diese angereicherten Nahrungsergänzungsmittel nicht sichtbar aufbewahrt werden, denn für Kinder sind Gummibärchen einfach Gummibärchen und die bleiben definitiv nicht bei den ausgewiesenen vier Stück, sondern essen gleich die ganze Box.

Werbeversprechen: Kollagen ist ein Strukturprotein, dass die Haut mit Feuchtigkeit versorgt für ein jugendlich-glattes Erscheinungsbild. Die Wirkung wird zusätzlich von Hyaluronsäure, Coenzym Q10, Vitamin C und E unterstützt.“ 

Bears with Benefits

Pinkstinks: Warum glaubst du, ist der Markt für Produkte mit Zauberwörtern wie „Kollagen“, „Q10“ oder „Hyaluronsäure“ so groß? Auch bei letzteren gibt es schließlich keine nachgewiesene Wirkung, was schönere Haut betrifft, wenn man sie durch Nahrungsergänzungsmittel zu sich nimmt.

Susanne Liedtke: Alle wollen möglichst lange jung bleiben, weil das Älterwerden in unserer Gesellschaft negativ belegt ist. Wir wollen alles tun um lange jung, gutaussehend und potent zu sein. Und wir alle sind ein bisschen faul. Wenn es eine Pille gibt, die wir schlucken können, ist das einfacher als Veränderungen an unserem Lebensstil vorzunehmen.

Pinkstinks: Die Herstellerinnen von Bears with Benefits werben mit dem Begriff Anti-Aging. Was hältst du davon?

Susanne Liedtke: Anti-Aging suggeriert, dass Älterwerden etwas Schlechtes ist, was man bekämpfen muss. Aber Älterwerden ist ein Privileg, was leider nicht jeder und jedem von uns gewährt wird. Trotzdem haben viele Angst davor, weil wir unser Leben lang lernen, dass nur jugendliche Schönheit zählt. Wir haben heute keine Wertschätzung für die ältere Frau, obwohl unsere Gesellschaft immer weiter überaltert. Ich finde es gut, dass einige Unternehmen mittlerweile den Begriff Pro-Aging verwenden, aber das würde Produkte wie die Gummibärchen auch nicht besser machen. 
Wir sollten jedes Lebensalter mit allen Vor- und Nachteilen genießen können und dürfen und nicht die Augen vor dem Älterwerden verschließen. Frauen, die heute 20 sind, haben mit 50 vielleicht noch das halbe Leben vor sich. Sie sollen nicht denken, sie gehören dann zum alten Eisen und sind nichts mehr wert. 

Mehr Infos:

Wir möchten darauf hinweisen, dass wir im Artikel zwar verstärkt aus einer binären Perspektive auf das Thema blicken, aber dass auch Männer menstruieren können.

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Bildquelle: Wendy Rake/Unsplash