„‚Nur Wutreden halten, wie Greta vor den Vereinten Nationen, das wird uns nicht weiterhelfen‘, sagt Entwicklungshilfeminister Gerd Müller mit unverhohlenem Ärger.“
Eigentlich ist in diesem Zitat schon alles zusammengefasst, worum es in diesem Text gehen soll. Nämlich um die Delegitimation von weiblicher Wut und die Selbstverständlichkeit, ja die geradezu wohlwollende und anerkennende Aufmerksamkeit, mit der männlicher Wut begegnet wird. Die Wutrede von Greta Thunberg geht also irgendwie zu weit, ist nicht angemessen und überzogen. Dass ein deutscher Bundesminister darauf mit „unverhohlenem Ärger“ reagiert, ist hingegen angebracht. Überhaupt Wutreden. Das Thema fasziniert mich schon länger, …
… weil wir an ihm erkennen können, wie sehr wir eine menschliche Emotion geschlechtsspezifisch unterschiedlich bewerten. Wut steht Frauen buchstäblich und im übertragenen Sinn nicht gut zu Gesicht. Am Beispiel Greta Thunbergs – eine der wenigen Wutreden von Frauen, über die überhaupt berichtet wurde – lässt sich das sehr gut verdeutlichen: „Die Wangen sind rot geworden von all der hitzigen Wut. Die Stimme brüchig, die Augen zu Schlitzen geformt, sie füllen sich mit Tränen.“
Wer sich mal anschauen möchte, wie brüchig die Stimmen von hitzig wütenden Männern werden, wie verzerrt ihre Gesichter sind und wie ausladend-übertrieben die Gesten, sollte einfach mal auf YouTube den Suchbegriff „Wutrede“ eingeben. Das Ergebnis lässt sich mit dem Satz „Greta und die Männer“ ganz gut zusammenfassen. Denn im Gegensatz zu Frauen wird Männern Wut zugestanden, sie wird situativ sogar erwartet. Oder wie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner zum Abschluss einer vielbeachteten Wutrede im NRW-Landtag bemerkte: „So. Das hat Spaß gemacht!“
Das merkt man ihm auch an. Vermutlich hatte auch Oliver Pocher Spaß an seinem „Wut-Feldzug“ gegen Influencer auf Instagram, als er sich bis zum Satz „Ich mach‘ euch alle tot […] Wenn’s der Virus nicht macht, dann mach ich’s!“ hochsteigerte. So ein Wutausbruch reinigt ja auch. Er klärt Situationen, er schiebt Dinge an, er bringt Menschen in Bewegung. Für Frauen gilt das nicht. Die Autorin Soraya Chemali hat darüber ein bemerkenswertes Buch geschrieben. In Speak out! Die Kraft weiblicher Wut beschreibt sie detailliert, wie Frauen immer wieder eingetrichtert wird, dass ihre Wut nicht berechtigt sei, dass ihre Wut eine Übertreibung ist, dass sie unweiblich ist und ihnen schlussendlich zum Nachteil gereicht. Wut ist etwas, das Frauen und Mädchen nicht ausdrücken sollen, weil es sie hässlich und unsympathisch macht.
Frauen und Mädchen sollen ihre Wut unterdrücken. Wenn sie es nicht tun, so zeigen Studien, dann schiebt man ihre Wut Persönlichkeitsmängeln zu. Bei Männern wird Wut hingegen als (berechtigte) Reaktion auf widrige äußere Umstände angesehen. Weibliche Wut soll internalisiert und darf nicht entäußert werden. Für weibliche Wut gibt es keine Räume. Für die Wucht dieses Furors sind nur die eigenen Körper und die Psychen von Frauen und Mädchen vorgesehen. Und das hat Folgen: Mädchen neigen 8 mal häufiger als Jungen zu selbstverletzendem Verhalten. Essstörungen treten bei 16-jährigen Mädchen mehr als doppelt so häufig auf wie bei gleichaltrigen Jungen. Fast doppelt so viele Frauen wie Männer tragen nachts eine Beißschiene, damit sie ihre Zähne nicht beim unwillkürlichen Knirschen und Mahlen schädigen. Weibliche Wut gehört also nach innen. Würde oder wird sie nach außen getragen, ist sie fehl am Platz und gilt als hysterisch.
Dass mit diesem Trick der Delegitimation von weiblicher Wut seit Jahrzehnten und Jahrhunderten Forderungen von Frauen belächelt und abgetan werden, wissen „wütende Feministinnen“ wie beispielsweise die Journalistin Teresa Bücker nur zu genau. Sie wissen, dass man, um ihnen überhaupt Gehör zu schenken, oftmals eine „nette, sympathische“ Rahmung erwartet. Aber sie wissen eben auch, warum man es tut und was passiert, wenn Frauen wütend werden.
Und dass Wut als unweiblich deklariert wird, weil eigentlich alle wissen, wie viele Gründe Frauen haben, wütend zu sein:
Sexismus, Rassismus, unfaire Bezahlung, vorenthaltene Reproduktionsrechte, sexualisierte Gewalt – um nur einige zu nennen. Aber allmählich ändern sich die Dinge, und die Welt erlebt, was es bedeutet, wenn die Wut von Frauen Räume füllt und Gestalt annimmt. Ob sie sich gegen das faktische Abtreibungsverbot in Polen richtet oder gegen Femizide und Vergewaltigungen in Mexiko.
Es ist die Wut, die diese Protestbewegungen befeuert. Wut, die nicht länger beschwiegen, internalisiert und gegen sich selbst gerichtet wird. Und während immer noch viel zu viele glauben, sie könnten den „Wut macht dich unattraktiv, hör auf damit, Schätzchen!“ Trumpf noch sehr lange zu ihrem Vorteil gegen Frauen und Mädchen ausspielen, ist eines längst klar:
Wütende Frauen werden die Welt verändern.
Anmerkung: Uns ist bewusst, dass der Text nur eine cis-Perspektive darstellt. Hier geht es um “Männer” und “Frauen”, obwohl das längst nicht alle Menschen umfasst – es gibt mehr als nur diese beiden Geschlechter. Wir setzen uns hier mit gesellschaftlichen Konstruktionen auseinander, die noch immer auf “männlich” oder “weiblich” basieren und wollen diese hinterfragen.
Bild: iStock
Kommentare zu diesem Text könnt ihr uns in unseren sozialen Netzwerken hinterlassen und dort mit insgesamt 110.000 Menschen teilen!