Ich habe eine Schwäche für die Farben Pink und Rosa. Ich liebe Kirschblüten. Meine große Tochter weiß, dass ich Jahre nicht nach Geburtstagen, sondern danach zähle, wie oft ich wohl noch Kirschblüten sehen werde. Deshalb plant sie mit mir irgendwann Hanami in Japan – also die Kirschblütenschau im Frühling. Manchmal trage ich sogar einen pinken Anzug, wenn es etwas für Pinkstinks zu feiern gibt oder es ein paar Leute zu schockieren gibt.
Seit ich vor mittlerweile 10 Jahren bei Pinkstinks als Bübchen für Alles angeheuert habe, steht die Frage im Raum, wie das eigentlich zusammenpasst. Seitdem haben wir ein ums andere Mal erklärt, dass Pinkstinks einfach nur die knackige Form von „Diese verdammte Pinkifizierung, mit der Mädchen genötigt werden, im Spätkapitalismus ihre Geschlechtsidentität zu verifizieren, ist echt nicht in Ordnung, und das Gleiche gilt natürlich auch für Jungen und Hellblau“ ist, aber so wirklich nicht auf T-Shirts, Visitenkarten oder in das Vereinsmelderegister passt. Pink und Hellblau an sich sind total super. Was könnte gegen die Farbe von Kirschblüten und gegen die Farbe des Himmels an einem warmen, sonnigen Tag sprechen?
Tatsächlich kann ich mich aber nicht davon freisprechen, zumindest eine Zeit lang bei meinen älteren Kindern eine Vermeidungsstrategie gefahren zu haben, die heute sehr viel üblicher ist als vor zehn, zwölf Jahren. Ich rede von sogenannten „geschlechtsneutralen“ Farben: Gelb, Mintgrün, Beige, Braun, Orange, Grau. Das funktioniert auch einigermaßen. Farben zu wählen, denen kein Geschlecht zugeschrieben wird, macht die Dinge zunächst einfacher. Allerdings umgeht man damit die Problematik, anstatt sie zu lösen. Denn der Impuls, Dingen, Farben, Vorlieben und Tätigkeiten ein Geschlecht zu geben, ist damit weder adressiert, geschweige denn gelöst. Die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen bleiben und werden einfach auf andere, auf mehr Farben verteilt. Khaki, Braun, Olivgrün und Grau für Jungen. Pastellfarben wie Eierschale, Creme, Beige und Flieder für Mädchen. Die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen werden aus anderen Bedeutungsräumen importiert, in denen sie noch einigermaßen intakt sind und nicht von Leuten wie uns ständig demoliert werden. Militär und Ballett zum Beispiel.
Trotzdem hat die Umgehungsstrategie auch Erfolg gehabt. Als ich Mitte der 00er Jahre nach Kinderklamotten außerhalb des Rosa-Hellblau-Kosmos gesucht habe, waren die Ergebnisse eher dürftig. Heute gibt es ganze Einrichtungskonzepte und Bekleidungslinien, die bewusst auf Rosa und Hellblau verzichten. Auf der anderen Seite gibt es Gender Reveal Partys, bei denen sich alles um Rosa und Hellblau dreht. Und selbst wenn es zur Abwechslung mal Grau und Mintgrün sein sollten, sitzen die Zuschreibungen ja trotzdem.
Letztendlich kommen wir nicht umhin, die eigentliche Arbeit zu tun. Und die besteht nun einmal darin klarzustellen, dass Farben eben genauso wenig ein Geschlecht haben wie Gerüche, Töne oder Formen. Kein Pink ist folglich auch keine Lösung. Geschlechtsspezifische Zuschreibungen darüber, wie sich Frauen und Männer qua Geschlecht zu verhalten haben, finden trotzdem statt. Gleichzeitig missachtet man immer noch wirklich relevante Unterschiede, wie beispielsweise in der Gender-Medizin. Frauen sind also nicht qua Geschlecht niedlich, lieb, friedlich und rosafixiert, dafür sehen die Symptome eines Herzinfarkts bei ihnen zumeist anders aus als bei Männern.
Die Lösung besteht nicht darin, als problematisch wahrgenommene Farben zu vermeiden. Nicht darin, weniger Farben für alle auszurufen, sondern eben alle Farben für alle. Pink für alle. Hellblau für alle. Andernfalls drehen wir uns mit unseren leider allzu stabilen Vorurteilen nur im Farbkreis und kommen womöglich an einer anderen Stelle des Farbspektrums heraus, haben aber unser gedankliches Spektrum immer noch nicht erweitert. Deswegen gerne mehr Pink für alle, die möchten. Auch für so mittelalte Pink Boys wie mich. Allein schon wegen der Kirschblüten. Ach ja, Kirschblüten. Bald ist es wieder so weit. Kirschblüten vor einem strahlenden Himmel.
Wenn wir in unseren Texten von Frauen und Mädchen bzw. Männern und Jungs sprechen, beziehen wir uns auf die strukturellen und stereotypen gesellschaftlichen Rollen, die alle weiblich und männlich gelesenen Personen betreffen. Wenn wir die Adjektive „weiblich” oder „männlich” benutzen, beziehen wir uns ebenfalls auf die stereotypische gesellschaftliche Verwendung der Begriffe.
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Bildquelle: Jason Leung, Unsplash